21.

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PoV. Manuel

Schon seit gefühlt tausenden Stunden liefen wir einen schmalen Pfad im Wald entlang und genauso wie meine Füße, platzte auch bald meine Geduld. "Sagt mal, ist der Weg wirklich richtig?", fragte ich sichtlich nervös. Nach einer kurzen Stille, in der ich hundertprozentig gesehen hatte, wie Michael genervt mit seinen Augen rollte, antwortete er mir endlich. "Ja, verdammt. Bitte hab doch mal ein wenig Geduld! Nur ein bisschen, Manuel.", meldete sich Michael letztendlich zu Wort. "Das habe ich schon seit mindestens drei Stunden." Seufzend lief Michael schnell ein Stück weiter, um wohl ein bisschen Abstand von mir zu bekommen.

Ich verstand immer noch nicht, warum er auf einmal unser Leitführer werden musste. Erstens hatte er dazu wirklich kein Talent und zweitens besaß er auch erst seit ein paar Stunden seine besonderen Kräfte. Eigentlich hatte sich jeder für ihn gefreut, dass er nun auch endlich richtig einer von uns war, aber als ich sah was er konnte, wusste ich, dass das nicht gut enden würde. Es war doch nur eine Frage der Zeit bis er komplett ausrasten würde und zum Beispiel die Schule mit einem Erdbeben in zwei Stücke riss.
"Wie wäre es, wenn wir mal eine Pause machen? Ich kann nicht mehr, Micha.", bat Patrick ihn und blieb danach stehen. Sofort stoppten wir auch und warteten darauf, was Michael sagen würde. "Kommt schon, wir haben jetzt Superkräfte und ihr hält nicht mal das hier aus...", lachte Michael provokant und hörte nun auch auf weiter zu gehen. "Das hat nichts mit meiner Kraft zu tun!", meinte Patrick total erschöpft und setzte sich langsam auf einen umgefallenen Baumstamm. Eigentlich würde eine Pause uns noch mehr in der Zeit zurückwerfen, aber als ich an meine schmerzenden Füße dachte, setzte ich mich sofort neben ihn. "Na los, Micha. Eine Pause tut uns allen gut.", überredete Maurice auch ihn dazu, sich zu uns zu setzen. 

Nach wenigen Sekunden saßen wir vier also nebeneinander auf einem blöden Baumstamm mitten im Wald, was in mir ein Déjà-vu hervorrief. Es erinnerte mich an den Tag, an dem wir vier in der Bushaltestelle saßen und auf den Bus warteten, der uns in den Wald brachte, wo dieser Albtraum hier angefangen hatte. Schweigend tranken wir alle ein bisschen Wasser, das wir aus unseren Rucksäcken herausgeholt hatten. "Als wenn das hier etwas bringen würde.", sprach ich flüsternd meine Gedanken aus. "Da bin ich einmal deiner Meinung.", erwiderte Michael darauf, weswegen es gefühlt noch stiller um uns wurde und ich mit den Kopf schütteln musste. "Wow.", hauchte Patrick plötzlich überwältigt, weshalb Michael ihn sofort fragte, was los wäre. "Ihr beide seid wirklich einmal einer Meinung. Ich kann nicht glauben, dass ich das noch miterleben konnte." Sofort brachen wir alle in lautem Gelächter aus. "Das war wirklich bis jetzt euer nettestes Gespräch.", presste Maurice lachend heraus. "Glaube mir, das wird auch so bleiben." Wieder fingen wir alle an laut zu lachen. Langsam versuchte ich mich dann wieder von meinem Lachflash zu beruhigen, aber das Schlimme daran war, dass es wirklich die Wahrheit war, was das Ganze erschwerte. Um ehrlich zu sein hatte ich nie geglaubt jemals mit Michael ein nettes Gespräch zu führen.

 "Wisst ihr was, wir müssen auch immer noch anfangen nach Josh zu suchen.", sagte ich auf einmal ganz ernst, weil es mir gerade so einfiel. Durch meinen Einwand wurde es wieder still um uns. "Keine Ahnung, wie du darauf jetzt kommst, aber lasst uns doch am Wochenende anfangen.", beendete Maurice die kurze Stille. "Das wäre wohl besser.", hing Michael noch daran und Patrick stimmte auch zögernd zu. Ich wollte endlich wissen, warum ich das hier alles tun musste und das konnte nur er sagen. Dazu würde ich ihn auch am liebsten kreuzigen, was ich aber unterlassen sollte. Er wollte ja wohl "nur" die Welt retten.

"Leute, ich habe nachgedacht...Wir sitzen hier und machen zusammen eine Schatzsuche, aber eigentlich kennen wir uns kaum oder hassen uns sogar, aber wir haben jetzt alle das gleiche Geheimnis.", fing Patrick an zu erzählen, was ihn beschäftigte.
Genau genommen hatte er Recht. Die Frage war nur, ob ich sie kennenlernen wollte oder nicht eher kennenlernen musste. Trotzdem musste sich etwas ändern, weil wir alle doch im gleichen Boot saßen. "Warum erzählt nicht jeder ein Geheimnis über sich, was sonst niemand anderes weiß?", schlug Maurice vor und holte mich somit aus meinen Gedanken. Eigentlich war das keine schlechte Idee, aber ich wusste, dass das nicht so leicht für mich werden würde. Besonders die Tatsache, dass Michael etwas geheimes über mich erfahren sollte, war absoluter Selbstmord. Er würde es gegen mich benutzen. Da war ich mir sicher.

"Okay...also ich fange an. Eigentlich hasse ich meine Familie. Meine Eltern sind totale Sicherheitsfreaks und wollen morgen über irgendetwas ernstes mit mir reden und im Großen und Ganzem erwarten sie, dass ich mal Arzt werde oder so etwas. Das einzige erträgliche ist für mich die Schule, die nun aber auch bald zur Hölle wird, weil meine Freundin höchstwahrscheinlich mit mir Schluss macht.", erzählte Patrick bedrückt, was er auf dem Herzen hatte. Etwas geschockt sah ich ihn an. Ich wusste, dass er es mit seinen Eltern nicht einfach hatte, aber das er so einem Druck ausgesetzt war, hätte ich nie gedacht. "Was?! Alessa trennt sich von dir?", fragte Michael entgeistert. "Vielleicht. Wir haben seit deiner gescheiterten Geburtstagparty nicht mehr miteinander geredet." Etwas genervt drehte ich mich weg und hörte gar nicht mehr zu, worüber sie redeten. Mir tat es zwar Leid für Patrick, aber das änderte nichts daran, dass ich Alessa hasste, weswegen ich mir nicht gerne deren Beziehungsprobleme anhörte. Ich werde es nie zugeben, aber eigentlich würde ich mich ein wenig freuen, wenn sie Schluss machen würden.
"Manu?", holte mich die Stimme von Maurice aus meinen Gedanken. Überfordert schaute ich ihn nur an, aber hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte, da ich nicht wusste, was er von mir wollte. "Machst du weiter?", wiederholte er also noch einmal, was er gesagt hatte. Schulterzuckend schwieg ich vor mir hin, weil ich nicht wusste, ob ich überhaupt etwas erzählen sollte. "Dann mach ich erstmal weiter.", meinte er und holte nochmal kurz tief Luft, "Mein Vater ist fast nie zuhause und wir alle glauben, dass er bald nie wieder zurückkommen wird und meine Mutter würde ohne mich untergehen. Außerdem kommen meine Geschwister gar nicht damit klar und ich merke, dass es ihnen psychisch immer schlechter geht." Traurig sah ich den blondhaarigen Jungen an, dem fast die Tränen kamen und er eigentlich sonst immer freudenstrahlend die Stimmung verbesserte. "Und wie geht es dir dabei?", fragte Michael mitfühlend und legte einen Arm um Maurice. "Ich komme klar. Wirklich."

Still saßen Patrick und ich da und wussten nicht, was wir tun sollte. Irgendwie wurde die Stimmung durch dieses "Spiel" bedrückend, aber auch ehrlicher und offener. "Mein Vater hält mit mir nur Kontakt über Geburtstagskarten, weswegen ich die Lust an Geburtstagen verloren habe. Dazu kommt, dass er sich nicht dafür interessiert, dass wir kaum Geld haben.", erklärte Michael und lenkte damit von dem Problem von Maurice ab. Geschockt weiteten sich meine Augen. Michael kam immer so selbstbewusst und fröhlich herüber, weswegen ich nie dachte, dass er auch in einer ernsten Lage war. Doch wenn ich weiter darüber nachdachte, erklärte das auch Vieles. "Was? Deswegen hast du meine Überraschungsparty gehasst? Warum hast du nie was gesagt, Micha?", fragte Patrick ihn schuldbewusst. "Ich rede eigentlich nicht gerne darüber."

Nun herrschte wieder Stille zwischen uns und ich konnte förmlich spüren, wie sie mich anstarrten und darauf warteten, dass ich etwas von mir erzählte. Für mich war das, aber einfach nicht so leicht. Noch nie konnte ich schnell Vertrauen aufbauen. "Ich kann...ähm Klavier spielen?" Nervös schaute ich auf meine Hände und hoffte innerlich, dass sie nicht mehr erwarteten, aber eigentlich wusste ich, dass die Hoffnung nutzlos war. "Echt?", kam es dann von Patrick, der wohl doch ein wenig beeindruckt war. Zögernd nickte ich und traute mich immer noch nicht sie anzusehen. "Komm Manuel, als wenn dein Leben perfekt wäre und du dazu auch noch ein guter Klavierspieler bist. Ich bin mir sicher, dass in dir eine große dunkle Seite steckt. Sonst wärst du ja auch nicht so.", meinte Michael etwas vorwurfsvoll.
Die Wut stieg in mir auf und die Wörter prasselten nur so aus mir heraus. "Ja okay, du hast Recht. Mein Vater ist irgendwo auf dieser Welt und trotzdem kenne ich ihn nicht, weil er seinen Sohn nie kennenlernen wollte. Und meine Brüder finden mich komisch, genauso wie du und machen mir mein Leben zur Hölle. Ach...und in der Schule bin ich ja auch nie sicher, da du alles die ganzen Jahre noch verschlimmern musstest!"

Etwas überrumpelt von diesem Statement, das gerade einfach so aus mir herausgeprasselt war, stand ich auf und schluckte meine große Unsicherheit einfach so herunter und tat dann auch sofort so, als wäre nie etwas passiert. So drehte ich mich um und sah in drei geschockte Gesichter. Bei Michael erkannte man sogar so etwas wie Reue. Trotzdem bildete sich ein großes gefaktes Lächeln auf meinem Gesicht.


"Wir müssen weitergehen, sonst kommen wir ja nie an. Na los!"


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Warum ist dieses Gespräch so weird, aber musste auch gleichzeitig irgendwie passieren? Ich habe dieses Kapitel schon bestimmt 10-Mal gelesen, aber es gibt mir immer noch so viel Unbehagen hahah. Voten auf eigene Gefahr!

Und danke für 1K Reads! :)


Life_17194, der 05.03.2021

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