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PoV. Patrick

"Verdammt, was sollen wir denn bitte holen?", erkundigte Manu sich entsetzt bei Maurice, der komischerweise ziemlich versessen darauf war, uns zu verlassen oder wie er es nannte: Etwas Wichtiges zu besorgen. Wahrscheinlich war das nur der Grund dafür, dass er uns dazu beauftragte, uns vorzubereiten. "Am besten irgendetwas zur Ablenkung. Ihr wisst schon, etwas lautes, das wir nutzen können, wenn es brenzlig wird. Macht einfach schnell! Wir treffen uns wieder im West-Wald." Stirnrunzelnd betrachtete ich den Blondhaarigen, der so plötzlich seinen eigenen Kopf zu haben schien, aber hoffentlich wusste, was er da tat. Maurice war die Person, die uns erstaunlicherweise gerade anführte und obwohl niemand von uns gedacht hatte, dass das mal geschehen würde, taten wir ohne irgendwelche Widerworte, was er uns predigte. Ich erinnerte mich noch an Zeiten, in denen er so viel sagen konnte, wie er wollte, wir aber trotzdem mit dem Kopf durch die Wand gesprungen waren. Ich meine, hätten wir damals bei dem Gewitter im Wald auf ihn gehört, hätten wir Nelas gruselige Hütte nie betreten und wären nie in diese Situation gekommen. Vielleicht war es aber trotzdem Schicksal gewesen und wir hätten den gleichen Fehler an einem anderen Tag begangen. 
"Ist es wirklich so gut, sich zu trennen?", hakte ich nachdenklich nach, aber Maurice war schon über alle Berge, sodass nur Manu meinen Einwand gehört hatte. Dieser seufzte aber nur erschöpft und schien immer noch nicht in der Lage zu sein, sich zu beruhigen, was in unserer Situation nun einmal völlig verständlich war.

"Was wäre mit Silvester-Böllern?", erkundigte ich mich schließlich bei Manuel, während wir ohne einen wirklichen Plan schweigend durch Winsen liefen. "Ernsthaft? Willst du sie umbringen?", kam es empört von Manu, weswegen ich nur leise lachte. "Man, Manu. Denkst du wirklich, ich will sie damit bewerfen? Es wäre nur zur Ablenkung im Ernstfall und außerdem müssten wir sie nicht mal kaufen, da wir noch genug Zuhause haben." Erschrocken starrte Manu mich an und hielt mit einem Mal inne in seinen Bewegungen, sodass ich sofort aus dem Reflex heraus auch stehen blieb. "Du willst dort wirklich wieder hin?" "Die Sachen sind in der Garage und außerdem ist heute sowieso Sonntag, das heißt sie sind wahrscheinlich bei meiner Tante.", erklärte ich dem Braunhaarigen, während er mich nur abschätzend beobachtete, "Aber trotzdem danke, dass du dir Sorgen machst, Manu."
Als wir uns dazu entschlossen hatten, meinem Familienhaus einen Besuch abzustatten, wurde mir doch ein wenig flau im Magen. Ich wollte mich nicht daran erinnern, was meine Mutter zu mir gesagt hatte und schon gar nicht an ihren angeekelten Gesichtsausdruck nach meinen bedeutenden Worten. Aber am stärksten war in meinem Kopf immer noch das grausame Bild meines Vaters verankert, der mich wutentbrannt anstarrte und mir schließlich ohne auch nur einen Hauch von Zweifelei eine scheuerte, wahrscheinlich würde ich das nie vergessen. Ich war mir sicher, dass meine Mutter ihm schon von den frischen Ereignissen erzählt hatte, obwohl ich wohl besser nicht darüber nachdenken sollte. Ich würde nicht zu ihnen zurückkommen, niemals.

Still schluckte ich kurz, als wir nun vor meinem Zaun standen und ich unentschlossen das Haus anstarrte, in dem ich meine ganze Kindheit verbracht hatte, aber plötzlich wirkte es nicht mehr wie ein Zuhause, sondern viel mehr wie die Quelle des Schmerzes meines ganzen Lebens. Und ich war mir sicher, dass ich definitiv zu jung dafür war, so etwas zu fühlen. Es sollte ganz einfach nicht so sein. Trotzdem kletterte ich mit einem eleganten Sprung über den Zaun und schien mir sicher zu sein, dass ich das tun musste. Ich würde es bereuen, es nicht getan zu haben, wenn wir gleich in eine brenzlige Situation kamen und keinen Plan B hatten, der uns das Leben retten konnte. Und ich machte lieber Fehler, als im Nachhinein zu bereuen, es gar nicht erst versucht zu haben. Soviel stand fest. "Ich weiß nicht, Pat. Nur weil die Welt fast untergeht, werden die Gesetze nicht einfach abgeschafft, besonders weiß es kein Mensch! Ist es überhaupt so schlau, so etwas mit in den Wald zu nehmen?", teilte mir Manu seine berechtigten Zweifel mit, die mich nur leise grinsen ließen. "Ganz ruhig, okay? Sie werden gar nicht merken, dass ich da war und außerdem wohne ich hier doch irgendwie noch. Und der Wald ist sowieso fast schon ganz abgebrannt. Ich werde aufpassen, ja?" Seufzend blickte er zu Boden und schien immer noch nichts von meinem Plan zu halten. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ich es auf jeden Fall tun musste, komme was wolle. Vielleicht ging es hier auch gar nicht darum, uns für die baldige Situation vorzubereiten, vielleicht ging es hier nur um mich. Es fühlte sich einfach richtig an, hierher zurückzukehren und sich diesem Schmerz zu stellen, der mich das ganze Wochenende geplagt hatte. Besonders nach den Erfahrungen in dieser Parallelwelt und der ständigen Angst momentan, alles für immer zu verlieren, stand es nur noch mehr für mich fest, dieses Grundstück zu betreten. Es schien so, als wäre dort kein morgen mehr und viel zu wenig Zeit dazu, die Dinge zu tun, die wir definitiv noch tun mussten, wann auch immer. Sie mussten einfach geschehen.

Obwohl das Auto meiner Eltern nirgendwo ausfindig zu machen war und ich eigentlich genau wusste, dass sie nicht Zuhause sein konnten, schlich ich mich ganz vorsichtig und mit rasendem Herzen in die Garage und öffnete sie rasch, glücklicherweise hatten sie hier nichts verriegelt. Sie hatten wohl nicht damit gerechnet, dass ihr einziger Sohn sich in ihre Garage schleichen würde und ein paar Böller mitnahm, die sie eigentlich erst in rund zwei Wochen benötigten. Konzentriert suchte ich nach der altbekannten Silvesterkiste und fand sie recht schnell, weshalb ich mir mit einem raschen Handgriff zwei kleine und hoffentlich weniger gefährliche Böller in die Tasche steckte und die Kiste vorsichtig zurückstellte.
Schockiert zuckte ich sofort zusammen, nachdem ich mich umgedreht hatte und in die leeren Augen meines Vater starrte, was dafür sorgte, dass sich eine unangenehme Gänsehaut auf meiner Haut ausbreitete. Für eine halbe Ewigkeit schauten wir uns nur gegenseitig an, aber obwohl ich gedacht hatte, er würde mich anschreien und vielleicht sogar wieder schlagen, verließ kein einziger Ton seinen Mund. Gefühlskalt verließ ich einfach wortlos die Garage und ließ meinen Vater stehen, der mir höchstwahrscheinlich kein Wort mehr schenken wollte, nie wieder. Und komischerweise schien mir das ganz recht zu sein. Mit einem zufriedenen Grinsen auf den Lippen bewegte ich mich wieder auf Manu zu und hatte das Gefühl, als könnte ich für immer mit der Vergangenheit abschließen. Es schien ein Weg in meine Zukunft zu sein, ohne diese herzlosen Menschen und mit Manu, der plötzlich meine große Hoffnung war, die ich für nichts in der Welt eintauschen wollte. Ich hatte recht gehabt, ich hatte das gebraucht. Ich hatte gebraucht, diesen Ort noch einmal richtig verlassen zu können, ohne ein völlig gebrochenes Herz, sondern glücklicherweise mit einem kleinen Schimmer Hoffnung.


(...)


"Maurice, wo warst du denn? Wir haben doch keine Zeit.", kam es sofort gestresst von Manu, der schon ganz verrückt geworden war, weil der Blondschopf einfach nicht erscheinen wollte. "Ganz ruhig, ich bin doch schon da." "Wo warst du denn?", hakte ich nochmals nach, während wir schon schnurstracks auf die kleine Hütte zu liefen, die glücklicherweise nicht mehr weit entfernt gelegen war. "In der Schule, aber das ist kompliziert zu erklären. Vertraut mir einfach und lasst uns sofort Nela suchen. Ihr habt nämlich recht, wir haben keine Zeit." Verwirrt runzelte ich mit der Stirn, aber entschied mich dazu, es dabei zu belassen. Ich zweifelte kein bisschen daran, dass Maurice genau wusste, was er tat und es war einfach keine Zeit mehr, um zu diskutieren und einen neuen Weg einzuschlagen. Es war so, als würde sich unser ganzes Training und die Verbesserung unserer Beziehungen zueinander nun wirklich lohnen. Wir mussten uns nun nämlich blind vertrauen und es fiel mir kein bisschen schwer, sogar Manu beließ es dabei und traute dem Blondhaarigen.

Hysterisch klopfte Manu an der morschen Holztür, aber kein einziges Geräusch war auch nur aus dem Inneren zu vernehmen, weswegen ich mich panisch umsah und unsere Zeitspanne immer enger wurde. "Das kann doch nicht wahr sein! Sie ist doch immer hier!" "Hier ist gewaltig etwas faul.", fügte Maurice dem Gespräch hinzu und schaute sich ein wenig um, weswegen ich es mit der Angst zutun bekam und der Gedanke daran, dass wir zu spät kommen und alles verlieren würden, wieder in mein Gedächtnis gerufen wurde. "Denkst du, Tiana hat sie entführt?", hakte ich panisch bei Manu nach, der nur nachdenklich durch die Gegend schaute und kein Wort mehr sagte. Wir waren so weit gekommen und hatten es aus dieser schrecklichen Parallelwelt geschafft und jetzt sollte es nur an der Zeit scheitern? Es durfte nicht wahr sein, dass Tiana es vor uns geschafft hatte und gewinnen würde, aber schließlich war sie uns immer einen Schritt voraus gewesen, vielleicht musste es also wirklich so kommen. "Wo gehst du hin?", fragte ich den Braunhaarigen, der plötzlich so etwas wie eine Erleuchtung hatte und willensstark hinter die Hütte lief und alles absuchte.
Verwirrt folgte ich ihm, bis mir der Atem stockte, als ich Nela erkannte, die zusammengebunden hinter dem Haus saß und uns mit einem bösen Blick begutachtete, der verriet, dass sie schon Bekanntschaft mit Tiana gemacht hatte. Rasch kam ich ihr näher und nahm das weiße Stück Stoff aus ihrem Mund, weswegen sie uns sofort wütend angiftete, wahrscheinlich zurecht. "Ihr Idioten! Was habe ich euch über dieses Mädchen gesagt? Ich wusste schon vorher, dass das nicht gut enden wird und plötzlich steht sie vor der Tür! Sie hat eure verdammten Kräfte, das kann doch nicht wahr sein! Was habt ihr angestellt, hm? Wieso will sie so plötzlich Winsen zerstören? Und wo ist Michael?" Geschockt und mit offenen Mund starrten wir sie nur an, während Maurice auch schon zu uns gestoßen war und kläglich versuchte, ihre Fesseln von den Händen zu nehmen.




"Er ist gerade bei ihr. Wir wissen, dass wir alles falsch gemacht haben, was man nur falsch machen konnte, aber wir haben einen Plan, okay? Wir lassen das alles nicht zu.", erklärte Manu ihr eindringlich, während wir es endlich zu zweit geschafft hatten, ihre Fesseln zu entfernen. Sie waren irgendwie besonders, wahrscheinlich sorgten sie dafür, dass man die Magie nicht mehr nutzen konnte, solange man sie umbehielt. "Er ist bei ihr? Dann beeilt euch! Sie ist doch völlig außer Kontrolle!"

Erde, Wasser, Luft und Feuer | Kürbistumor & ZomdadoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt