17.

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PoV. Manuel

"Was hast du dort eigentlich gemacht?", unterbrach Patrick auf einmal diese angenehme Stille zwischen uns, während wir langsam nebeneinander her liefen, ohne ein richtiges Ziel zu haben. Unsicher kaute ich auf meiner Unterlippe herum und dachte mir währenddessen rasch den nächsten coolen Spruch aus, um dieser Frage aus dem Weg gehen zu können. "Darf man jetzt nicht mal mehr sein Haus verlassen?", stellte ich ihm also eine Gegenfrage, welche aus irgendeinem Grund eisiger herüberkam, als sie eigentlich sollte. Schluckend blickte er kurz zu mir herüber und schien ein wenig von mir eingeschüchtert zu sein, weswegen ich ihm rasch ein kurzes Lächeln schenkte, um zu zeigen, dass ich das nicht so gemeint hatte. Manchmal war mein Ton einfach harscher, als er sein sollte. "Nein...also doch!", kam es etwas stotternd von ihm, was mich nur grinsend mit dem Kopf schütteln ließ, "Ich hätte nur nicht gedacht, dass du zum Sportplatz kommst, weil du doch etwas weiter weg wohnst." "Ja, das stimmt.", entgegnete ich ihm schulterzuckend und ging nicht weiter auf das Gespräch ein. Ich wollte nicht darüber reden, besonders nicht mit Patrick, den ich sowieso schon nicht einordnen konnte. Er war einfach einer der einzigen Personen, bei denen ich nicht sagen konnte, ob sie etwas Gutes im Sinn hatten oder nicht, obwohl meine Intuition mich sonst nie enttäuschte. Und vielleicht hatte mich genau das immer an ihm interessiert. Trotzdem war so eine Person nicht wirklich vertrauenswürdig, besonders weil ich meist sowieso niemandem traute außer mir selbst und das war auch besser so.

"Warum bist du eigentlich noch bei mir?", erkundigte ich mich seufzend bei dem Braunhaarigen, während er nur langsam seinen Blick auf mich richtete und mir ein Lächeln schenkte. Erschrocken blickte ich sofort in die entgegengesetzte Richtung, als mein Herz einen Sprung machte und ich am liebsten im Erdboden versinken wollte. Es war nicht gut, Zeit mit dem braunhaarigen Schönling zu verbringen, das wusste ich selbst, aber es fiel mir schwer, ihn einfach wegzuschicken und völlig zu ignorieren. Und wahrscheinlich hasste ich nichts mehr an mir. "Ich weiß nicht. Ich schätze, ich wollte dich einfach nicht alleine lassen nach dem ganzen Drama.", entgegnete er mir etwas durcheinander und atmete einmal tief durch, bevor er weiter sprach, "Aber wenn du willst, dass ich gehe, dann mache ich das natürlich." Tief atmete ich einmal ein und wieder aus und wollte ihn am liebsten wegschicken, aber ich wusste, dass ich das nicht konnte. Und obwohl er wahrscheinlich nur aus Mitleid mit mir Zeit verbrachte, weil seine Freunde mein Leben durcheinander brachten und er sich schuldig fühlte, konnte ich dem Braunhaarigen nicht einfach sagen, dass er sich von mir fernhalten sollte. Immer noch hing ich an unserer alten Freundschaft und meinen verwirrenden Gefühlen, die ich eigentlich schon lange verbannt hatte. Es war schließlich hier immer noch Patrick. Der gleiche Patrick, mit dem ich in der Grundschule unzertrennlich gewesen war. "Nein, du musst zwar nicht gehen, wenn du willst, aber mir geht es trotzdem gut, okay? Du musst auch nicht auf mich aufpassen." Nickend starrte er mich nur an und schaute gleich danach etwas nachdenklich zu Boden. Und umso länger ich ihn so sah, desto mehr spürte ich mein schlechtes Gewissen. Patrick versuchte sich hier um mich zu kümmern und mir irgendwie zu helfen, nachdem wir uns wieder gut verstanden hatten während des Projektes. Wahrscheinlich war ich ihm doch nicht mehr so egal, wie es in den letzten Jahre ausgesehen hatte. Schließlich wusste er auch, dass wir mal gut befreundet gewesen waren und vielleicht gab es auch nur eine kleine Chance dafür, dass diese Freundschaft zurückkam. Und obwohl ich wusste, dass das absolut keine gute Idee wäre, konnte ich nicht anders und dachte daran, ihm doch zu erzählen, was ich hier tat. Wenn das Vertrauen wieder vorhanden wäre, würde der Rest wohl von ganz alleine kommen. 

Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe herum und konnte nicht glauben, dass ich das wirklich tun würde. Aber schließlich funktionierte das nun einmal so. Man gab etwas von sich und bekam dann mindestens genauso viel zurück, nicht wahr? "Ich wollte heute einfach nicht mehr Zuhause sein.", fing ich langsam an, zu erklären, nachdem ich mich einmal geräuspert hatte. "Was?" "Der Grund, warum ich hier bin.", entgegnete ich ihm, bevor ich kurz seufzte und ihm wieder in die Augen sah, "Weißt du, meine Brüder sind nicht sehr einfach. Sie finden es lustig, auf mir rumzuhacken, egal wie sehr es mich stört. Und nach den Ereignissen von heute, musste ich einfach mal dort herauskommen und das am besten weiter weg von Zuhause." Mitfühlend blickte er mir in die Augen und legte mir für einen kurzen Moment seine warme Hand auf die Schulter, was mich fast erstarren ließ. "Falls es dich irgendwie tröstet. Meine Eltern achten viel zu sehr auf mich, was echt total nerven kann und manchmal denke ich mein Leben wäre besser, wenn ich Geschwister hätte." Mit großen Augen starrte ich ihn einfach nur an und dachte darüber nach, was er mir damit sagen wollte. Wahrscheinlich wollte er mir zeigen, dass ich nicht völlig alleine war und auch Menschen, die keine Geschwister hatten, genauso leiden konnten, vielleicht nur auf eine andere Art und Weise. Und irgendwie gefiel mir dieser Gedanke und machte es ein wenig leichter. Wenigstens gab es nun kaum mehr, einen Grund neidisch zu sein und sich noch schlechter zu fühlen, als eh schon.
"Willst du vielleicht mit zu mir kommen? Ich meine, du willst ja sowieso nicht nach Hause und ich weiß echt nicht einmal, wo wir gerade hingehen.", schlug er mir lachend vor, was mich nur leise grinsen ließ. Ich wusste, dass es keine gute Idee war, zuzusagen, aber mein dümmliches Herz schrie nur danach, weswegen ich einfach nur etwas benebelt nickte, was ihn nur noch breiter lächeln ließ.


(...)


"Patrick, warum bist du schon so früh hier? Ist alles gut?", erkundigte sich eine etwas ältere Frau bei ihm, die sofort um die Ecke gestürmt war, als sie die Tür gehört hatte. Sofort erkannte ich, dass es seine Mutter war, die sich kaum verändert hatte, nachdem ich das letzte Mal hier gewesen war. Vielleicht hatte sie nur eine Falte mehr bekommen und ihr langes braunes Haar hatte möglicherweise ein wenig ihren Glanz verloren, aber trotzdem besaß sie immer noch die gleichen Augen wie Patrick, was mich leise grinsen ließ. Trotz allem verstand ich nun, was Patrick mir eben erklärt hatte. Sie schien wirklich ein wenig über vorsorglich zu sein, da sie es einfach nicht lassen konnte, Fragen zu stellen, während sie Patrick skeptisch von oben bis unten begutachtete. "Es gab einfach nur eine Planänderung, Mama. Das hier ist übrigens Manu. Vielleicht kannst du dich ja noch an ihn erinnern.", erklärte Patrick sich genervt, was sie endlich das erste Mal dazu brachte, mich anzusehen. Stirnrunzelnd blickte sie auf mich herab, bis sie plötzlich verstanden hatte, wer hier vor ihr stand. "Ah, Manuel Büttinger, nicht wahr? Es ist ja unglaublich, wie groß du geworden bist. Und deine Haare! Die sind ja wirklich lang geworden." Kurz nickte ich nur und lächelte sie freundlich an, während ich immer noch zu verstehen versuchte, ob das nun ein Kompliment gewesen war oder nicht. "Schön, sie mal wiederzusehen! Sie haben es wirklich schön hier." "Ach, du musst nicht so förmlich sein, Manuel. Aber danke sehr!", entgegnete sie mir nur, bevor sie mich noch einmal anlächelte und uns schließlich mitten im Eingangsbereich stehen ließ.

Nachdem wir unsere Schuhe und Jacken rasch ausgezogen hatten, liefen wir mit schnellen Schritten die Treppen hoch, während ich mich ein wenig in seinem Haus umsah, aber trotzdem weiterhin auf Patrick achtete, der mir gerade sein neues Zimmer zeigen wollte, das sich auf jeden Fall verändert hatte. Das Zimmer war unglaublich geräumig und hatte einen wunderschönen Ausblick, sodass man schon fast die Stadtmitte von hier sehen konnte. Der Fokus lag hier aber trotzdem hundertprozentig auf dem riesigen Bett, das mitten im Raum stand, genauso wie auf dem übergroßen Fernseher oder dem PC, der an einer orangenfarbenen Wand stand. Mit offenen Mund stand ich mitten im Zimmer herum und fragte mich, wie mir nie auffallen konnte, dass seine Familie wahrscheinlich ein bisschen mehr Geld hatte als andere Familien, zumindest definitiv mehr als meine, wenn man bedachte, dass ich mir gelegentlich ein Zimmer mit meinem Bruder teilen musste. Vielleicht lag das alles aber auch einfach nur an dem sogenannten "Einzelkind-Bonus".
"Das ist mein Zimmer. Du kannst dich ruhig setzen. Ich muss nur nochmal kurz runter wegen meiner Mutter.", erklärte er mir ruhig, bevor er aus dem Zimmer flitzte und ich mich nur etwas unbeholfen umsah. Gedankenverloren setzte ich mich einfach auf seinen riesigen und verdammt gemütlichen Schreibtischstuhl, bevor ich plötzlich etwas auf dem Boden entdeckte, das ganz nach einem Foto aussah. Lächelnd hob ich es langsam auf und drehte es um, doch als ich sah, was auf dem Foto abgebildet war, verschwand mein Lächeln sofort. Das Foto war von Patricks Geburtstagsparty aus der vierten Klasse und dazu kam, dass es der letzte Geburtstag war, zu dem ich gekommen war. Seufzend blickte ich auf mein jüngeres Ich, das noch fröhlich in die Kamera schaute, bevor sich bald alles verändern würde und es wieder völlig alleine war. Patrick musste sich dieses Bild bestimmt mit Absicht angesehen haben und innerlich hoffte ich einfach nur, dass er niemals fragen würde, warum das der letzte Geburtstag gewesen war, den ich besucht hatte, obwohl er mich ein Jahr danach trotzdem eingeladen hatte. So gerne ich ihm das auch beantworten würde, ich könnte nicht.

"Was hast du da?", ertönte auf einmal die raue Stimme von Patrick hinter mir, was mich vor Schreck dazu brachte, das alte Foto fallen zu lassen, das er sofort aufhob und danach leise lächelte. "Stimmt, das hatte ich letztens noch herausgesucht. Kannst du dich noch an diese Party erinnern? Sie war die beste, die ich jemals hatte!", erklärte er mir grinsend, bevor er das kleine Bild auf seinen Schreibtisch legte und ich jede seiner Bewegungen verfolgte. "Ja, klar...", war das einzige, was über meine Lippen kam, während er mir eindringlich in die Augen schaute und dann sofort das Thema wechselte, was mich leise aufatmen ließ. "Was wollen wir machen? Zockst du?" Erleichtert nickte ich schnell und freute mich innerlich sehr, dass dieses Thema beendet war und wir nicht darüber sprechen mussten. "Dann lass uns doch etwas spielen."




Fast den ganzen Abend verbrachten wir damit, die verschiedensten Spiele zu spielen und plötzlich bemerkte ich rasch, wie viel wir doch noch gemeinsam hatten. Und vielleicht realisierte ich auch irgendwo ganz tief in meinem Herzen, wie sehr ich das hier vermisst hatte.

Erde, Wasser, Luft und Feuer | Kürbistumor & ZomdadoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt