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PoV. Michael

Schon seit ein paar Minuten lief ich durch die Straßen von Winsen und fragte mich, ob ich nicht doch zu hart zu ihm gewesen war. Patrick meinte es ja nur gut und ich war mal wieder der Vollidiot gewesen, der seine Aggressionen nicht in den Griff bekommen konnte. Ich hätte es aber einfach nicht gekonnt. Ich konnte nicht dort herum sitzen und so tun, als würde mir das alles gefallen. So als würde mir mein Geburtstag gefallen. Wütend über mich selbst trat ich die volle Mülltonne auf dem Gehweg neben mir um, die mit einem lauten Knall zu Boden fiel, während der halbe Inhalt sich mitten auf dem Weg verstreute. "F*ck!" Es nervte mich einfach nur noch alles. Die grausamen Menschen, diese beengenden Gefühle und mein ganzes Leben. Jeder um mich herum schien so glücklich zu sein und verstand mich einfach nicht, egal was ich von mir gab. Aber ich konnte es auch niemandem Übel nehmen, da es nicht ihre Schuld war, dass ihr Leben nicht so kompliziert war wie meins. Trotzdem war es so frustrierend, dass noch nicht mal meine eigenen Freunde mich verstehen konnten, was bei anderen Jugendlichen vielleicht einfach viel leichter war. Jedes Mal dachte ich, dass ich alleine war mit diesen Problemen und das war einfach ein widerliches Gefühl.

Mit schnellen Schritten lief ich weiter, da ich mir viel zu stolz war, um den herausgefallenen Müll aufzuheben. Nach einiger Zeit taten meine schlappen Beine schon höllisch weh vom ganzen Laufen. Ich musste mir aber selbst eingestehen, dass mir die frische Luft gut tat, die leicht durch mein Haar wehte. Nach weiteren Minuten sah ich endlich eine Parkbank, die mir gerade mein Leben rettete, weswegen ich mich kurzerhand also erschöpft hinsetzte und einmal tief durchatmete. Schnell schaute ich mich nochmal um und glücklicherweise war niemand draußen zu dieser Zeit. Das lag vielleicht daran, dass wir Oktober hatten und es dazu jetzt auch echt schon ziemlich spät war. Mein Geburtstag war jedes Jahr eine Hürde. Dieses Jahr war er aber besonders schrecklich. Ich wollte mich nicht immer so verhalten und einfach weglaufen, doch was konnte ich schon tun? Das Leben war einfach zu unfair, um nicht auszurasten und ich musste schon seit 16 Jahren damit leben, dass es bei mir besonders unfair reagierte. Jeder Geburtstag erinnerte mich nur noch mehr an das, was ich verloren hatte. Ich bemerkte nur so nebenbei, dass meine Wangen schon etwas nass geworden waren, weshalb ich sofort wusste, dass ich mich nicht unter Kontrolle hatte. Meine Gefühle waren mir zu viel. Alles war so durcheinander, sodass ich gar nicht wusste, wo links und rechts war.

"Michael? Bist du es?", ertönte eine vorsichtige Stimme neben mir, die mich sofort erschrocken aufblicken ließ. Kurz schluckte ich einmal hart, als ich in die gelb-grünen Augen von Maurice sah, der komischerweise um diese Zeit noch draußen herumlief. "Ja, ist etwas?",  hakte ich mit rasendem Herzen nach und hoffte darauf, dass er einfach wieder wegging und mir meine Ruhe ließ. Mit einem netten Lächeln setzte er sich aber neben mich auf die Bank und machte mir damit einen Strich durch die Rechnung. "Nein, eigentlich wollte ich nur nochmal schnell zu Zofia. Aber was ist bei dir los?", erkundigte er sich einfühlsam bei mir und verwirrt über sein plötzlich selbstbewusstes Verhalten, blieb ich still. In der Schule redete er fast nie. Er war mir schon vor längerer Zeit ein paar Mal aufgefallen, dort fand ich immer, dass er etwas Komisches an sich hatte, was mich unruhig werden ließ. Nun wusste ich, was es war. Er verstellte sich anscheinend in der Schule, doch warum, hatte ich keine Ahnung. Das Ganze ließ ihn aber gleichzeitig ungewohnt interessant wirken. "Mir geht es gut.", antwortete ich ihm stumpf und bevor ich mich weiter herausreden konnte, fiel er mir schon ins Wort. "Ich weiß, dass es nicht so ist." Sofort wendete ich meinen Blick verblüfft zu dem Blondschopf, der mir ein aufmunterndes Lächeln schenkte. "Du kennst mich doch gar nicht.", pöbelte ich herum und rollte mit den Augen, damit er endlich gehen würde, aber trotz meines nervigen Verhaltens, ließ er sich nicht abwimmeln. "Vielleicht nicht, aber ich gehe auch immer an die frische Luft und sitze hier, wenn ich Zeit zum Nachdenken brauche."
Leise seufzte ich vor mich hin. Er hatte leider Recht, es war so und ich konnte mich nicht herausreden, was mich noch nervöser werden ließ, doch diese ganzen Gefühle mussten einfach heraus, weswegen ich mich leichtsinnig dazu entschied, dem blondhaarigen Jungen zu vertrauen. Es brodelte einfach so aus mir heraus und ich konnte es nicht aufhalten. "Naja...Mein Geburtstag war ein Reinfall, wie jedes Jahr. Mein Vater ist ein Versager, der mir mit seiner sche*ß Geburtstagskarte immer alles versaut." Kurz breitete sich ein unangenehme Stille zwischen uns aus, bis Maurice eine Hand auf meine Schulter legte und sich ein unbekanntes Stechen in meinem ganzen Körper ausbreitete. Etwas erschrocken zuckte ich deswegen zusammen, was ihn aber nicht davon abhielt, seine Hand liegen zu lassen.

"Ich verstehe dich, Väter sind schrecklich." "Ach ja? Du hast doch so eine perfekte Bilderbuchfamilie.", entgegnete ich ihm niedergeschlagen, woraufhin Maurice kurz anfing sarkastisch zu lachen, bevor er wieder ganz ernst wurde und mir in die Augen sah. "Weißt du Michael, Familien scheinen von Außen wohl oft echt perfekt. Meine Eltern streiten immer, wenn mein Vater mal da ist. Entweder arbeitet er durchgehend oder ist in der Bar. Was weiß ich, was er noch so tut. Jedenfalls muss ich meiner Mutter viel unter die Arme greifen mit meinen Geschwistern, damit sie nicht darin versinkt.", erklärte mir Maurice traurig und schien mir plötzlich auch irgendwie auf magischer Weise zu vertrauen, obwohl ich ihn eigentlich noch nie gut behandelt hatte. Er zwang sich aber trotzdem ein gefaktes Lächeln auf und sah mich eindringlich an. Kurz saßen wir so da, bis ich die Stille unterbrach. "Ich würde jetzt so etwas sagen wie 'Es tut mir sehr leid für dich', aber Mitleid ist meistens einfach nur sche*ße." "Da hast du wohl Recht." Unsere Blicke trafen sich wieder und wie aus dem Nichts, fingen wir einfach an zu lachen. Ich hatte keine Ahnung wieso, aber es war einfach so und es fühlte sich auch gut an, obwohl die Meisten wohl denken würden, dass wir verrückt waren.
"Danke...wirklich. Ich verstehe zwar nicht, warum du auf mich zugekommen bist, nachdem ich so ein A*schloch war, aber trotzdem einfach nur danke.", versuchte ich meine ehrliche Dankbarkeit auszudrücken. "Michael, ich bin echt nicht nachtragend und außerdem glaube ich nicht, dass du ein schlechter Mensch bist.", lächelte Maurice mir aufmunternd zu, "Ich muss jetzt aber gehen und das solltest du auch, sonst wird es zu kalt." Nickend stand ich mit ihm zusammen auf und wir verabschiedeten uns schnell, bevor unsere Wege sich wieder einmal trennten.


(...)


Danach kam ich natürlich etwas spät wieder zu Hause an, was für meine Mutter aber wohl kein großes Problem gewesen war, sie war einfach nicht so unglaublich streng. Ich musste schlucken, als ich sah, dass alles noch so geschmückt war wie zuvor, aber nun niemand mehr da war. Mir fiel ein, dass ich es mir vorher gar nicht richtig angesehen hatte, da meine brodelnden Gefühle es einfach nicht zugelassen hatten. "Patrick hat das ganz schön gemacht. Nicht wahr, mein Schatz?", kam es einfühlsam von meiner Mutter, während sie mich liebevoll in den Arm nahm. "Du kannst nicht ewig vor dem Tag weglaufen, Micha." Schnell zog ich sie in eine richtige Umarmung und fing wieder mal an zu Weinen. Das Ganze nahm mich immer noch sehr mit, aber ich hörte auf mich dafür zu verurteilen. Es musste einfach raus, sonst würde ich irgendwann daran zerbrechen. Meine Mutter streichelte meinen Rücken mit ihrer Hand beruhigend auf und ab, während ich daran dachte, dass ich doch irgendwie Glück mit ihr gehabt hatte.


Happy Birthday, Michael.

Erde, Wasser, Luft und Feuer | Kürbistumor & ZomdadoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt