Sie saß auf dem kleineren, für sie vorgesehenen Thron, der Blick abwesend und nachdenklich, wie als wäre sie nicht richtig bei der Sache. Neben ihr befand sich ihr Gatte auf dem imposanteren, pompöseren Thron und lauschte dem musikalischen Jüngling, wie er versuchte, das Vergnügen ihrer und ihres Mannes aufrecht zu erhalten.
Doch sie war nicht bei der Sache, konnte sich nicht an Spiel und Gesang erfreuen. Da war immer dieser Hintergrundgedanke. Er war ein Sklave... Ein ziemlich gut aussehender Sklave, aber ein Sklave, und das beschäftigte sie. Ob er den hohen Erwartungen des Pharaos genügen könne, hing letztendlich von jenem ab, und nicht von ihr.
Würde der Pharao ihn für unzureichend empfinden, verkäufe man ihn wahlweise weiter oder tötete ihn. Das wusste sie ganz genau. Zu viele unschuldige Sklaven hatte ihr Gatte schon auf dem Gewissen. Und so sehr sie auch beteuerte, dass ihr das Spiel eines jungen Musikers gefiel - reichte es dem Pharao nicht, hatte kein Wort einzulegen. Und ihr Mann schien nicht gerade begeistert.
Im Gegenteil - es war dieser Blick. Dieser Blick, der den Dienern des allmächtigen Pharaos befahl, den unschuldigen Knaben zu töten. Seit nunmehr fünfzehn Jahren ging das so, schon bevor ihr die Ehre zuteil kam, mit diesem alten König verheiratet zu werden.
Sie saß auf dem harten, ungemütlichen Möbelstück und bündelte ihre Konzentration einzig und allein auf den Knaben und die wunderschönen Töne, die seine goldene Kehle hervorbrachte. Und zum ersten Mal empfand sie so etwas wie richtiges Glück, sie ließ sich verzaubern. Solch betörende Musik reizte ihre Ohren, am liebsten wäre sie aufgestanden und hätte den Tanz der Freude getanzt.
Doch es war ihr nicht möglich. Sie war verheiratet, das würde kein gutes Bild geben, immerhin hatte der Pharao das volle Recht, sie köpfen zu lassen oder was auch immer ihm beliebte.
Staunend beäugte sie den singenden jungen Mann. Die Augen fast geschlossen konzentrierte er sich nur auf das Instrument und die Stimme seiner selbst, ließ alles in perfekter Harmonie verklingen. Es erstaunte sie, zu was er fähig war - wie ein gefallener Engel.
Die letzten, harmonischen Töne seiner Laute verklangen und der Wind trug sie weit hinfort. Sie hoffte so sehr, dass diese Musik nicht ausstarb, sie weiterlebte, auf den Pfaden der Ewigkeit wandelte, und schwor einen Pakt mit sich selbst: Dies war nicht das Ende des Lebens von Orpheus. Das war gerade erst der Beginn seiner wundervollen Musik.
Nachts schlich sie sich zu ihm, redete mit ihm, erfreute sich an seiner Stimme. Im Kerzenschein sang er ganz leise, nur für sie, und sie verfiel seiner herrlichen Stimme. Sie war wie die eines Gottes. Für sie bedeutete diese Stimme greifbares Glück, die Melodien hielten ihr Haupt und Hoffnung aufrecht, dass sie ihn vor dem Handel und Tod bewahren könne. Zusammen würden sie fliehen.
Und so erzählte sie Orpheus von ihrem Plan, auch er sah es als einzige Möglichkeit, nicht für immer getrennt zu leben.
"Ich möchte mich immer in dem Wissen befinden, dir gesagt zu haben, wie viel du mir bedeutest", flüsterte Orpheus und zog sie in seine starken Arme. "Sollte unser Plan doch recht schnell ein Ende finden... Ich würde selbst in deinen Armen sterben wollen, ein Leben ohne dich wäre wie ein Himmel ohne Sterne", hauchte sie und vergoss eine einzelne Träne.
Die beiden fuhren erschrocken auseinander. Männer mit Fackeln kamen herein, die Feuerbrunst beleuchtete ihre Gesichter, dass sie glaubte, sie stand Angesicht zu Angesicht mit einer Schar Dämonen. Diese zerrten sie und ihren Geliebten hinaus. "Ihr wisst, dass Ihr keinen Abschaum lieben dürft. Ich bedaure sehr, Euch das mitteilen zu müssen, aber hierfür bezahlt Ihr mit Eurem Tod." Sie schrie und kratzte in den Armen der beiden Wachen, doch sie waren ihr einfach überlegen. Zu groß, zu stark.
In blinder Wut und dem Blick im Schleier der Tränen schlug sie um sich, wand sich wie eine Schlange. Doch zu ihrer Missgunst half das alles nichts. Was auch immer sie tat, war nicht genug. Schluchzend und mit einem dumpfem Pochen im Kopf wandte sie sich nach links, das Gesicht zu einer schrecklichen Fratze verzerrt. Einen kurzen Blick erhaschte sie auf den Mann ihres Herzens, Orpheus.
Die beiden Hünen schleppten die Liebenden zu derjenigen Pyramide, die ihr Mann eigens begonnen hatte zu errichten.
Nun würde sie wohl sterben. Mit dem Tod bezahlen, für ihren Geliebten Orpheus mit der Stimme, die wie flüssiger Waldhonig klang. Der Orpheus mit dem gelockten Haar, so schwarz wie der Nachthimmel, mit Augen, so grün wie der Skarabäus in der Sonne glänzte.
Doch all jenem stand die Verbannung ins ewige Nichts bevor. Aber sie würden gemeinsam sterben. Und das war alles, was für sie jemals gezählt hatte.
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Song:
Bastille - Pompeii
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Götterstimme
ParanormalEr packte sie an den Armgelenken, bevor sie ihn ein weiteres Mal schubsen konnte. „Wieso lässt du mich nicht dein Held sein?!" schrie Cal Leya wutentbrannt in ihr regennasses Gesicht. „Weil es in meiner Geschichte keine Helden gibt. Ich werde unwei...