Bild: Leya
Leya starrte ihr Spiegelbild an. Und das schon seit einer geschätzten Ewigkeit.
Eigentlich fand sie sich ganz in Ordnung. Sie hatte hohe Wangenknochen, eine ganz normale Nase und schön geschwungene Lippen. Ihre weißblonden Ringellocken waren zwar oft ziemlich nervig, aber es ließ sich mit ihnen aushalten.
Sie war also – kurz gesagt - ziemlicher Durchschnitt. Zumindest wenn diese verdammten Augenfarben nicht wären. Genau, Plural! Das war das Problem! Leyas rechtes Auge war praktisch schwarz und das Linke fast weiß. Es sah ihrer Meinung nach seltsam und unnatürlich aus.
Der Arzt hatte gesagt, dass diese Farben von einer Genmutation, der sogenannten Heterochromie, stammte. Das war nicht schädlich, aber ziemlich selten. Laut ihm sowie ihrem Vater und ihrer Mutter machten die beiden Augenfarben 'etwas besonderes' aus ihr. Leya wäre es lieber gewesen, wenn ihre Augen wie die von ihrem Papa einfach blau sein würden. Aber nein, das ging natürlich nicht! Die Augenfarbe musste sie natürlich von ihrer leiblichen Mutter erben – dieser abscheulichen Person, die abgehauen war, bevor ihren Kopf selber hatte heben können.
Und jetzt zwang ihre beste Freundin Angel – eigentlich hieß sie ja Angela, aber jeder musste zugeben, dass sich Angel einfach besser anhörte – sie dazu, sich herzurichten und mit ihr in die einzige Tanzschule, nämlich die Tanzschule May mit einem Tanz-/Karaokeabend zu gehen, die es im Umkreis von fünfzig Kilometern gab.
Das war ein weiteres Problem in Leyas Leben. Sie wohnte in einem solchen Kaff, dass war gar nicht zu glauben! Ihr Zuhause lag zwar in den Bergen – falls man die Hügel der Amalfiküste dazu zählen konnte -, aber man musste nur eine halbe Stunde zu Fuß gehen, da konnte man auch schon Wellen hören. Jedoch gab es, weil das Meer eben direkt an die Berge anstieß, keine größere Stadt in näherer Umgebung, sondern nur ihr kleines, heimisches Kaff, das den so passenden Namen Villaggio trug, wo alles, wirklich alles gemischt wurde. Beispiele dafür waren der Tanzabend der Tanzschule May, der auch noch zum Karaokeabend umfunktioniert wurde, weil es keine Karaokebar gab oder auch das umfunktionieren der einzigen Bäckerei in ein Cafe und den Versammlungsort von einigen Vereinen.
Vom lauten, energischen Klopfen an ihrer Zimmertür wurde Leya aus ihren Gedanken gerissen. Sie rief: „Komm rein!"
Ein energiegeladenes, laut raschelndes Etwas, bestehend aus unnormal langen Beinen, einem viel zu kurzen Glitzerkleid und hüftlangen, glatten, kastanienbraunen Haaren, stürmte in Leyas Zimmer. Bevor sie Angel begrüßen konnte, plapperte diese auch schon los: „Wieso bist du denn noch nicht fertig? Wir müssen los! Soll ich dir meinen Lippenstift borgen? Oder dir andere Schuhe raussuchen? Du willst doch nicht die Flachen anziehen? Wir gehen doch tanzen! Da brauchst du hohe Schuhe!"
„Dir auch Hallo!" grinste Leya.
Während Angel umherflitzte, irgendwelches Zeug aus dem Schrank oder den Schubladen holte und es voller Missgefallen sofort wieder zurücklegte, zog Leya einen kurzen Rock, ein Top und flache Schuhe an. Ihre Tanzschuhe steckte sie in ihre Tasche und dann war sie fertig.
Mit einem letzten Blick auf die kleine, silberne Kette an ihrem Handgelenk, die sie vor nicht allzu langer Zeit zu einem Armband umfunktioniert hatte, folgte sie Angel nach draußen. Ihre Gedanken hingen noch an dem Schmuckstück, das das einzige war, was ihre leibliche Mutter ihr hinterlassen hatte. Sie hasste diese Frau zwar, brachte es aber einfach nicht übers Herz die silberne Kette mit der kleinen, fein gearbeiteten Leier daran abzulegen. Auch wenn sie ein schlechter Mensch war, so stand diese Frau dennoch mit ihr in Zusammenhang. Leya konnte sich nicht komplett von diesem Teil ihrer Vergangenheit trennen.
Grinsend hörte sie Angel auf dem Weg zu, wie sie über den Rosenstrauß, der heute morgen vor ihrer Haustür gelegen hatte, redete: „Es waren genau 51 rote Rosen. Ich hab nachgezählt! Und deswegen bin ich mir fast total sicher, dass die von David sind! Du weißt schon! Seine Trikotnummer ist ja die 51! Und ich will ihn heute fragen, ob er das war!"
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Götterstimme
ParanormalEr packte sie an den Armgelenken, bevor sie ihn ein weiteres Mal schubsen konnte. „Wieso lässt du mich nicht dein Held sein?!" schrie Cal Leya wutentbrannt in ihr regennasses Gesicht. „Weil es in meiner Geschichte keine Helden gibt. Ich werde unwei...