„Na, habt ihr den Dreh unter der Dusche fortgesetzt?" spottete Leander mit einem Blick auf ihre nassen Haare, sobald sie durch die Tür traten.
„Dir auch: Hallo." murmelte Leya und verdrehte die Augen. Was für ein freundlicher Zeitgenosse!
Leander hatte sich bereits wieder dem alt aussehenden Buch zugewandt, das er in einem riesigen Ledersessel las. Er hatte sie vermutlich nicht einmal gehört, jedenfalls antwortete er ihr nicht.
Sie wandte sich von ihm ab und sah sich um. Das Zimmer oder besser gesagt der Saal in dem sie sich befand, war an allen Wänden ausgekleidet mit Bücherregalen aus dunklem Holz. Darin standen Bücher in allen Größen, Farben und Formen. Boden und Decke waren weiß und in der Mitte des ganzen befand sich eine Gruppe Sessel und Tische, alle so dunkel wie die Regale. Der Raum strahlte eine atemberaubende Eleganz und Ehrwürdigkeit aus. Es war beeindruckend.
„Steh nicht herum wie ein Hase vor dem Jäger! Setz dich hin und du, Bruder, kannst gehen. Ich hab vorhin gesehen, wozu deine Anwesenheit führt und ich hab wenig Lust dazu einige der Sessel verbrennen zu müssen."
Leander hatte das Buch zugeklappt und sah zu den beiden Neuankömmlingen auf. Leya und Cal schweigen, weil sie beide wussten, dass Widerspruch nichts bringen würde. Darum verabschiedete Cal sich mit einem kleinen Kuss und verließ die Bibliothek. Der letzte Blick aus seinen warmen Augen sagte ungefähr: „Du schaffst das! Aber wenn er zu blöd wird, dann ruf mich und ich kümmere mich um ihn."
Dann schloss sich die schwere Eisentür geräuschlos.
Sie konnte das Seufzen gerade noch unterdrücken, das sie bei dem Anblick befiel und drehte sich um.
Leander hatte sein Buch auf einen kleinen Tisch mit Glasplatte gelegt und deutete jetzt auf den Sitz ihm gegenüber. Sie kam der unausgesprochenen Aufforderung nach und ließ sich in den – überraschend gemütlichen – Ledersessel fallen. Augenblicklich sank sie ein und brauchte einen Moment um eine anständige Sitzposition zu finden.
Leander betrachtete die Szene mit seinem altbekannten spöttischen Grinsen. Seine weißen Zähne blitzten dabei auf.
Wieso sah er Cal nur so ähnlich? Das Gesicht, die Haare, der Körperbau... Alles identisch. Das irritierte Leya und ließ die Schmetterlinge in ihrem Inneren verwirrt flattern.
Als er aber anfing zu sprechen, starben die Tiere ab. Nein, wenn Leander redete klang er nicht wie Cal. Nicht im geringsten.
„Dann fangen wir mal an." Seine Stimme war eiskalt bis auf den immerwährenden Spott der sich in seinen Stimmbändern festgekrallt hatte. „ Die Grundlagen haben wir dir zwar schon gesagt, aber da ich daran zweifle, dass du dich noch daran erinnerst, hier nochmal in Kurzfassung: Wir sind Halbgötter und stammen von den olympischen Göttern ab. Diese Götternachkommen sind in Superior und Inferior gegliedert und da die göttlichen Gene dominant sind, hält sich das Halbgottdasein über Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende. Wir zum Beispiel sind die Nachkommen von Hades und Persephones Kindern in der Antike. Diese Kinder haben sich mit Menschen vereinigt und dadurch die Hadesblutlinie geschaffen. Da die Götter aber seit ihrem Fall in der Antike hier auf der Erde leben, gibt es im Grunde genommen keine reine Blutlinie, da Halbgötter oftmals so etwas wie die Krone der Menschheit darstellen. Die göttlichen Gene verändern das Aussehen der Besitzer nämlich so, dass die Eigenschaften der Eltern mehr oder weniger verbessert werden. Dadurch werden wir klüger und schöner und bekommen auch noch besondere Kräfte, wie zum Beispiel deinen Gesang oder Cals Wandlerdasein. Wegen unserer Außergewöhnlichkeit vermischen sich die Götter im Normalfall mit fremden, manchmal sogar ihren eigenen Halbgottblutlinien, da ihr Geschmack sich nicht auf das Gewöhnliche beschränkt, wie man den Aufzeichnungen entnehmen kann.
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Götterstimme
ÜbernatürlichesEr packte sie an den Armgelenken, bevor sie ihn ein weiteres Mal schubsen konnte. „Wieso lässt du mich nicht dein Held sein?!" schrie Cal Leya wutentbrannt in ihr regennasses Gesicht. „Weil es in meiner Geschichte keine Helden gibt. Ich werde unwei...