Die Hand hatte sich von ihren Lippen gelöst und die Wunde hatte sich geschlossen. Leya fühlte sich schwach, ausgelaugt und benutzt. Es war wieder geschehen! Hätte sie nicht bereits geweint, dann wären ihr spätestens jetzt Tränen in die Augen getreten.
Sie öffnete ihre verkrampften Lider und blickte direkt in Leanders Gesicht. Ihr Gehirn schaltete um und ließ die Alarmglocken läuten. Da sie sich nicht bewegen, also auch nicht wegrennen konnte, tat sie das einzig mögliche. Sie schrie.
Der Schrei war laut und klar und hätte auch zu einem Opernsänger gepasst, aber es lag unglaubliche Angst und Panik darin. Der Schrei drückte genau das aus, was Leya fühlte. Angst, Abscheu, Hass.
Nur Sekunden später – Leander hatte noch nicht so recht verstanden, was gerade geschah, denn er sah sie weiterhin einfach nur an – trat Cal die Tür mit solcher Wucht auf, dass sie beinahe aus den Angeln flog.
Er sah sich die Szene nur einen Wimpernschlag lang an, die zusammengesunkene Leya, Leander, der dasaß und sie musterte und der blutige Schnitt an seiner Hand, sowie die blutige Spur um Leyas Mund. Dann hatte er verstanden, stürzte auf die beiden zu und hob Leya einfach von Leanders Schoß, als würde sie nur so viel wiegen wie eine Feder.
Leyas Schrei brach ab und wurde zu einem leisen Wimmern, sobald sie in Cals warmen, starken Armen lag. Sie schmiegte ihr Gesicht an seine Brust. Vergrub es in dem weichen Hemd. Einfach nur um Leander nicht mehr sehen zu müssen. Die Erinnerung, die er sich geholt hatte, war eine der schlimmsten und intimsten für Leya. Das Gefühl zu wissen, dass er sie gesehen hatte, war grausamer als alles andere.
„Alles wird gut." flüsterte Cal leise und gab ihr einen Kuss auf die Haare. „Alles wird gut."
Sie fühlte, wie er sich umdrehte und den Raum verließ. Sie hörte, wie seine Schritte wütend auf den Boden schlugen, als er den Flur entlangging. Seine Arme umschlangen sie fest und trotz seines offensichtlichen Zorns, hielt er sie ganz vorsichtig, als würde sie Gefahr laufen gleich in seinen Armen zu zerbrechen.
„Ich bin gleich wieder da! Bleib... bleib einfach liegen. Ich bin gleich wieder da!" Er legte sie auf ein Bett – um genauer zu sein Bett. Wie waren sie in das Zimmer gekommen?!? - und einen Wimpernschlag später war er verschwunden.
Das Wimmern und die Tränen waren versiegt und ließen nur eine angewiderte Leere in Leya zurück. Sie starrte an die Zimmerdecke, weil sie gerade nicht die Kraft hatte sich umzusehen.
Ein metallischer Geschmack erschien, als sie sich über die Lippen leckte. Hatte sie sich vorhin aus Versehen mit den Zähnen selbst gebissen? Irgendwie waren die Erinnerungen an die Ereignisse von vor ein paar Minuten so ... verschwommen, ein wenig surreal. Sie hob die Hand und fuhr sich über das Gesicht.
Nein, der verdammte Geschmack kam nicht von ihrer Lippe. Er kam von ihrem kompletten Gesicht! Sie hatte es doch wirklich geschafft zu verdrängen, zumindest in diesem Augenblick von Benommenheit, den sie gerade durchlebte, dass Leander ihr seine blutenden Hand auf den Mund gedrückt hatte und sie dazu gebracht hatte es zu schlucken.
Ihre Emotionen und ihr Verstand befanden sich in einem komischen, gedämpften Zustand. Die einzige klare Stimme in ihrem Inneren zwischen den ganzen schreienden, wimmernden und vor Abscheu stöhnenden flüsterte ihr zu, ins Bad zu gehen und sich dort das Gesicht zu waschen.
Wie ein Schlafwandler stand sie ungelenk auf, warf die Decke beiseite, die Cal – ohne, dass sie es mitbekommen hatte – über sie gelegt hatte und überwand den kurzen Weg zum Badezimmer in annehmbarer Zeit, auch wenn sie sich ständig an der Wand und Möbeln abstützen musste um nicht zu fallen.
Ihre Kraft und Energie war einfach weg. Total, vollkommen weg. Zumindest im Moment.
Sie betrat den vorzüglich in weiß gekachelten Raum an dessen Wänden die Muster einer blühenden Ranke eingelassen waren. Der Raum war hübsch und roch gut, nach Seife. Schön und sauber. Das war, was sie jetzt brauchte.
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Götterstimme
ParanormalEr packte sie an den Armgelenken, bevor sie ihn ein weiteres Mal schubsen konnte. „Wieso lässt du mich nicht dein Held sein?!" schrie Cal Leya wutentbrannt in ihr regennasses Gesicht. „Weil es in meiner Geschichte keine Helden gibt. Ich werde unwei...