Kapitel 5 - Orpheus und Sirnen - Part 6

3K 276 43
                                    

Der Weg weg von der Villa in der Cal lebte, hin zu der Hauptstraße des Dorfs war recht holprig und stockdunkel. Leya wurde auf ihrem Sitz hin und her geschmissen, aber das machte ihr nichts aus. Jetzt war auch schon alles egal. Auch die totale Dunkelheit um sie herum war nicht wichtig.

Die Eisklumpen in ihren Augen und unter ihrer Haut taten so verdammt weh...

Leya würde so gern weinen, aber das ging nicht. Es war einfach nichts warmes, lebendiges mehr in ihr. Alles fühlte sich tot an, so komplett übermannt von der dumpfen, pochenden Qual.

Wenn das alles war, was die Liebe für sie bereithielt, dann wollte jetzt und auch in Zukunft nicht mehr verliebt sein. Oh Gott, ihre Zukunft... Die Liebe war wohl bei weitem ihr kleinstes Problem.

Sie versuchte ihren Blick auf den Weg zu fokussieren. Inzwischen war sie an der Hauptstraße angekommen. Alle zwanzig Meter leuchtete die Glühbirne einer Straßenlaterne hell in der Finsternis, aber das drang nicht bewusst zu ihr hindurch. Für sie war alles, die ganze Welt in tiefste, undurchdringlichste Dunkelheit getaucht, durch die niemals wieder auch nur ein winziger Lichtstrahl dringen würde.

Leya wollte schreien, sie wollte ihren Schmerz, ihre Wut, ihre Angst, all ihre Emotionen herausbrüllen, während ihr heiße, große Tränen in Strömen über das Gesicht liefen. Sie wollte mit ihrem Fahrrad nicht nach Hause sondern wegfahren. So weit und so schnell es ging.

Aber wie Cal war auch das nur eine Hoffnung, die zerbrach. Stattdessen klammerte sie sich mit zitternden Fingern an ihren Lenker, drückte aus ihrer wunden Kehle einen winzigen, leisen Schluchzer hervor und machte sich auf den Weg nach Hause.

Die Abstände zwischen den einzelnen Laternen wurden größer, Leya kam ihrem warmen Bett und damit dem Vergessen in ihren Träumen näher.

Und da war sie auch schon, die Seitenstraße, in die sie einbiegen musste.

Mit ein paar schnellen Tritten fuhr sie in die Richtung. Eingehüllt von dem hellen Licht einer Laterne starrte Leya auf die Pflastersteine, als mit einem Mal alles in eine Finsternis getaucht wurde. Die Laternen in der Straße waren plötzlich allesamt ausgefallen und Sternenlicht reichte bei weitem nicht aus um etwas zu sehen. Noch dazu war heute kein Mond am Himmel zu sehen. Es war als hätte die Welt verstanden wie es in ihrem Herzen aussah.

Blöd war nur, dass Leya, eben weil sie mit einem Mal nichts mehr sehen konnte, die Kontrolle über ihr Rad verlor.

Sie wusste, dass sie im Moment mit einem nicht unbedenklichen Tempo direkt auf die kalte, harte Backsteinmauer des nächsten Hauses zuraste.

Aber trotzdem machte sich keine neue Panik in ihr breit. Alles war von dem dumpfen, kalten Schmerz und der Zukunftsfurcht in ihr ausgelöscht. Es war egal, wenn sie an der Wand zerschellen würde. Einfach total egal. Dann wäre das alles wenigstens vorbei, bevor es wirklich angefangen hatte.

Darum genoss sie die unendlichen Sekunden bis zu dem Aufprall, während denen das Rad unter ihr über die Straße schlingerte. Es ging eine eigenartige Faszination davon aus, der Leya ohne Widerspruch nachgab.

Plötzlich war sie da, die Mauer. Sie fühlte, wie ihr Körper erbebte, sobald der Vorderreifen gegen die Mauer schlug. Doch anstatt auf die harte Straße oder gegen den unnachgiebigen Stein geschleudert zu werden, lag sie mit einem Mal in warmen, starken Armen, die sie fest gegen eine Brust drückte unter der ein Herz schnell schlug. Sie vernahm lautes Knochenkrachen und ein leises Ächtzen.

„Lass mich runter, Cal."

Sie hörte ihre eigene Stimme emotionslos, ja regelrecht tot in ihren Ohren nachklingen. War das wirklich sie?

Götterstimme Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt