Kapitel 6 - Neue und Alte Erinnerungen - Part 10

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Wie von einem Schlag ins Gesicht zuckte sie zurück. Die Frage war aus dem nichts gekommen und handelte ziemlich sicher nicht von Leyas echter Mutter, sondern von dem Miststück, das abgehauen war.

„Ich spreche nicht über diese... diese Person." stellte Leya hart klar.

„Das musst du jetzt aber. Ich weiß, dass du dich nicht direkt an sie erinnern kannst, aber dein Vater hat dir von ihr erzählt. Ich hab kurz etwas über sie in deiner Erinnerung wahrgenommen. Was weißt du also von ihr?" Sein Blick fixierte Leyas Augen. Er war hart und unnachgiebig.

„Was würde dir das Wissen bringen?" fauchte Leya. „Diese Frau hat nichts, rein gar nichts mit meinem Leben zu tun. Sie ist gegangen, bevor ich irgendetwas allein habe tun können. Sie hat ihrer eigenen Tochter nicht gezeigt, wie sie mit den Kräften, die sie ihr vererbt hat, klar kommen kann. Sie hat mir nie irgendetwas gegeben, mir nie geholfen. Das einzige, was ich von dieser Person weiß. ist, dass sie gegangen ist. Einfach abgehauen ohne auch nur ein einziges Mal nicht an sich selbst zu denken. Sie ist ein schlechter Mensch. Nicht mehr und nicht weniger."

Leya wollte nicht über diese Person sprechen oder auch nur einen Gedanken an sie verschwenden. Das war es nicht wert. Das war sie nicht wert.

„Wir brauchen die Informationen um eingrenzen zu können, wer über dich Bescheid weiß. Zwar wirst du uns nicht verraten, aber trotzdem bist du noch eine Gefahr, weil allein deine Existenz die Superior auf uns aufmerksam machen könnte. Wenn deine Mutter si-"

Mitten in seiner Erklärung wurde er von Leyas scharfer Stimme unterbrochen, die ihn mit zornig funkelnden Augen anstarrte und zischte: „Sie ist nicht meine Mutter. Wenn überhaupt, dann kann man sie als meine Erzeugerin betiteln, aber das Recht sich meine Mutter zu nennen, das besitzt sie nicht."

Leander beobachtete sie gelassen, aber durchaus fasziniert. Der ausgeprägte Hass, den Leya gegenüber ihrer leiblichen Mutter hegte und der nun teilweise nach außen drang, ging nicht konform mit seiner Vorstellung von ihr.

„In Ordnung. Wenn sich also deine Erzeugerin dazu entschließen sollte, hierher zurückzukommen, wird sie nicht nur dich finden. Sie wird auch uns entdecken und uns als Inferior erkennen. Da wir hier nur wenige sind, könnte sie andere Superior rufen um uns zu überwältigen und das Silphium gewaltsam von uns zu nehmen. Das kann ich nicht zulassen. Sag mir bitte einfach, was du weißt. Wir müssen das wissen."

Es reizte Leya, wie er immer von 'wir' sprach. Sie glaubte nicht, dass es Cal interessierte, wer ihre Erzeugerin war. Sie wollte nicht über diesen grässlichen Menschen sprechen. Wieso verstand Leander das nicht?

„Ich weiß nichts über sie! Hörst du? Nichts." Sie war laut geworden und aufgestanden. Nun stand sie Leander gegenüber, der sich ebenfalls erhoben hatte.

„Das glaube ich dir nicht." Seine Stimme war gefährlich ruhig.

In der Bibliothek breitete sich eine angespannte Stimmung aus. Automatisch spannten Leyas Muskeln sich wie Bogensehnen. Sie konnte unter Leanders teurer Kleidung sehen, das es ihm nicht anders erging. Ihre Augen fixierten einander unnachgiebig.

„Uns ist beiden klar, dass du etwas weißt. Ich habe es gesehen an dem Tag an dem wir uns kennengelernt haben." sprach er weiter. In seiner Stimme schwang ein drohender Unterton mit. „Wenn du mir nicht sagst, was du weißt, dann werde ich mir die Information einfach trotzdem beschaffen. Inzwischen weißt du ja, wie es funktioniert." Während seiner Worte lächelte er auf eine beängstigende Weise, die Leya Gänsehaut verursachte.

In ihrem Kopf blitzten Bilder von der Entführung auf, wie Leander ihr sein Blut aufgezwungen hatte und er dann einfach alles, wirklich alles gesehen hatte.

„Wenn du dir so sicher bist, dass ich etwas weiß, wieso kennst du die Informationen dann nicht schon? Du hast doch alles gesehen."zischte sie und ballte ihre Fäuste. Sie ließ sich von ihm nicht einschüchtern.

„Weil ich dieses Kapitel überblättert habe. Ich habe nicht darauf geachtet, weil es die verschwommenen Erinnerungen einer Vierjährigen waren. Aber ich bin mir sicher, dass sich die Worte deines Vaters in dein Gedächtnis eingebrannt haben. Und zwar unwiderruflich. Wie ein Tattoo oder eine Narbe." Inzwischen war die Stimmung nicht mehr nur angespannt, sondern gewaltbereit. Leander redete langsam und deutlich, mit eisiger Stimme und brutalem Unterton.

„Wenn du mir einfach nur sagst, was ich wissen muss, was wir wissen müssen, dann gibt es kein Problem. Und ich muss keine Lösung finden. Erzähl es mir einfach."

Weder er noch sonst jemand hatte das Recht dazu, sie zu zwingen sich auf diese Person zu konzentrieren, sich an sie zu erinnern. „Ich werde dir nichts sagen. Diese Frau existiert nicht in meinem Leben. Sie weiß nichts von mir und ich weiß nichts von ihr. Und ich habe auch kein Interesse mehr zu erfahren."

Vor vielen Jahren hatte Leya die Erinnerungen an das Gespräch mit ihrem Vater in die hinterste Eckte ihres Gedächtnisses verbannt. Sie wollte und würde sich nicht daran erinnern, egal, was Leander sagte.

„Sei nicht dumm, Leya. Es ist für keinen von uns beiden angenehm, wenn ich mir die Informationen holen muss." meinte er ruhig. Sie meinte ein unterschwelliges Seufzen in seiner Stimme zu vernehmen.

Er blickte ihr weiterhin in die Augen, holte aber gleichzeitig ein kleines Taschenmesser aus seiner Hosentasche. Ihr Blick flitzte von seinem inzwischen wieder ruhigem Gesichtsausdruck, hin zu dem Messer, das er nun aufklappte.

„Mir wird das keinen Spaß machen." sagte er leise und schnitt sich in die Handfläche. Der Schnitt war nicht tief, aber trotzdem floss sofort Blut aus der Wunde und sammelte sich in seiner abgerundeten Hand. Die Finger der Hand schwebten kurz über dem Schnitt.

Wie hypnotisiert starrte Leya auf die rote Flüssigkeit, die aus Leanders Körper hervorquoll. Angst machte sich in ihr breit, weil die Erinnerungen an das letzte Mal erschienen, als sie dieses Blut gesehen hatte. Sie erinnerte sich an das grausame Gefühl ultimativer Unterwerfung, als Leander ihren Geist beherrscht und ihre Erinnerungen durchforstet hatte.

Das wollte sie nicht noch einmal erleben müssen, aber sie konnte die Erinnerung an das Gespräch mit ihrem Vater nicht fokussieren. Sie versuchte sich darauf zu konzentrieren, das Gespräch nachzuvollziehen, aber wie Leander gesagt hatte. Es waren die wirren Gedanken einer Vierjährigen.

„Ich kann dir nichts sagen." flüsterte Leya mit rauer Stimme.

„Dann eben nicht." murmelte er und drückte ihr seine Hand auf den Mund. Sie konnte nicht reagieren, war gelähmt von ihrer Angst. Auch wenn sie ihn wegstoßen und das Blut ausspucken wollte, war ihr das nicht möglich. Ihre Knie wurden weich und sie sank zu Boden.

Leander fing sie auf, bevor sie auf dem Holz aufschlagen konnte, bettete ihren Kopf in seinen Schoß und ließ seine Handfläche auf ihrem Mund.

Es war furchtbar, aber Leya war nicht imstande dazu etwas dagegen zu tun.

Gemeinsam schlossen sie die Augen und erinnerten sich.

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EdelsteintriologieFan !

Song:

Danzing - Mother


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