Kapitel 2 - Göttersturz - Part 3

4.2K 370 16
                                    

Und dann war er da, der Aufprall.

Eisiges Wasser umgab sie, ihre Haut brannte wie tausend Nadelstiche und rasender Schmerz hatte sich in praktisch alle Stellen ihres Körpers eingenistet. Aus irgendeiner Wunde trat Blut aus. Das Wasser war so rot... Oder lag das an ihr? Hatten ihre Augen etwas abbekommen? Seltsam analytisch nahm Leya alles war. Sie wusste, dass sie an die Oberfläche musste um zu atmen, sonst würde sie sterben, auch wenn sie es unter normalen Umständen unglaublich lange unter Wasser aushielt. Nur waren das hier keine normalen Umstände. Ein paar Minuten blieben ihr vermutlich noch. Sie wusste auch, dass ihre Trommelfelle geplatzt waren bei dem Aufprall und dass das sicher gefährlich war. Noch dazu hatte sie einige gebrochene Knochen. Sie meinte zu spüren, wie eine Rippe unnatürlich gegen ihre Haut drückte.

Ihre Panik war komischer Weise verschwunden. Jetzt wäre sie mehr angebracht als in dem Moment, als Cal sie gehalten hatte.

Dieser Gedanke hatte einen anderen zur Folge. Wo war Cal?

Immerhin war es ihre Schuld, dass sie von der Klippe gestürzt waren. Sie hatte den Jungen immer weiter an den Rand getrieben. Jetzt lag es eindeutig in ihrer Verantwortung ihm zu helfen. Er hatte nämlich mehr abbekommen, weil er unter ihr gelegen hatte, während dem Fall. Er hatte alles abgefedert. Deshalb ging es ihr auch den Umständen entsprechend gut. Und ihm vermutlich nicht.

In diesem Moment schalteten sich ihre Gefühle wieder an.

Panik, Selbsthass, Schmerz, Sorge, Überraschung und Glück, weil sie am Leben war. Alles überschattet von dem Verlangen Cal zu finden.

Mit einer schnellen Kopfbewegung erfasste Leya ihre Umgebung. Einige Meter entfernt sah sie Luftblasen aus der Tiefe aufsteigen. Sicher war er da irgendwo.

Mit kräftigen Arm- und Beinbewegungen strebte sie nach unten. Ihre Lungen brannten, aber sie ignorierte das Gefühl. Es gab weitaus wichtigeres. Sie würde nämlich noch etwas überleben ohne Sauerstoff, auch wenn es in dieser Situation deutlich schwieriger war als im Normalfall, aber Cal...

Er lag am Meeresboden, umgeben von weichem Sand und grünen Algen. Cals Augen waren geschlossen, sein Mund leicht geöffnet und sein Gesicht ganz bleich. Noch zwei Beinschläge und sie war bei ihm. Leya packte Cals Arme, drückte sie hinter seinen Rücken, schob ihren rechten Arm hindurch und trug ihn mit den Beinbewegungen des Brustschwimmens nach oben. Insgeheim dankte sie ihrer Schule für die dämlichen Schwimmstunden in denen sie den Griff gelernt hatte. Sie beherrschte ihn zwar nicht gerade perfekt und vermutlich gab es bessere Arten einen – hoffentlich nur – bewusstlosen Menschen abzuschleppen, aber sie hatte sich nur diese gemerkt. Überraschend leicht fiel es Leya den schweren Männerkörper trotz ihrer Verletzungen und Schmerzen und der fehlenden Luft mit sich zu tragen. Sie schloss die Augen um alles andere auszublenden. Ihr Ziel war erst einmal die Wasseroberfläche und dann der Strand. Sie benötigte Luft und Cal einen Notarzt.

Ihre Muskeln brannten und sie würde nicht mehr lange durchhalten, aber das Meer war auf ihrer Seite.

Das Wasser wurde heller, sie durchbrach die Oberfläche und schnappte nach Luft. Neben ihr lag der Schwarzhaarige wie tot da.

Sie wandte den Blick ab um nicht sehen zu müssen, was ihre Schuld war. Schmerz pulsierte in ihrem Körper, aber die Luft und die Aussicht auf Rettung ließen sie weitermachen.

Als sich Leya etwas umsah um die Richtung zum Strand festzustellen, bemerkte sie, dass sie praktisch davor herumpaddelte. Dank der nächsten Welle und der restlichen Energie, die sie in ihre Beine und Arme steckte, lag sie zusammen mit Cal schon Sekunden später auf dem weichen Sand. Die Ausläufer der Wellen schwappten über sie hinweg. Leya wollte weinen, verdrängte ihre Gefühle aber, hievte sich auf und tastete mit tauben Händen nach Cals Puls. Das Problem war, dass da keiner war.

„Nein, nein, nein!" flüsterte sie, legte ihr Ohr auf seine Brust und lauschte. Eigentlich wäre das zwecklos gewesen, weil ihr Trommelfell ja geplatzt war, aber da sie das Rauschen des Meeres hören konnte, war es wohl doch nicht so drastisch wie gedacht. Nur gab es dummer Weise auch keinen Herzschlag.

Adrenalin oder was auch immer gab Leya neue Energie, sie setzte sich auf und begann mit der Herzdruckmassage – schon komisch, was man alles lernte, wenn man auf der Bank saß beim Schwimmen und nichts zu tun hatte, außer auf ein Plakat mit Rettungsmaßnahmen für Ertrunkene zu schauen, die von Ben dem Rettungsschwimmer vorgeführt wurden. Sie tat also das, was Ben der Rettungsschwimmer getan hätte und drückte ungefähr 30 Mal auf die Mitte von Cals Brustkorb, dann beugte sie sich vor, öffnete seine Lippen, hielt seine Nase zu und atmete in seinen Mund aus. Einmal, Zweimal. Als er sich nicht rührte, wiederholte sie den Vorgang. Bei der dritten Beatmung riss er die Augen auf, hustete, spuckte Wasser, hustete nochmal und übergab körperwarmes Salzwasser auf Leya, die es gerade noch geschafft hatte, ihn auf die Seite zu drehen.

Einige Momente starrten sie einander schockiert an, erschrocken darüber, was gerade geschehen war. Cal war gestorben, weil er Leya vor dem Aufprall hatte beschützen wollen und Leya hatte ihn von den Toten zurückgeholt. War das wirklich real? Wo bei Gott waren die Stimmen und die Panik, die spätestens hätten erscheinen müssen, als sie ihm in die Augen gesehen hatte?! Träumte sie? Der Sand in ihrer nassen Kleidung sprach dagegen.

Sie musterte den Jungen vor ihr minutenlang sprachlos bis dieser schließlich rasselnd Atem holte um etwas zu sagen:„Dein Handy ist spätestens jetzt hin. Das ist dir doch klar, oder?"

Es war nicht besonders deutlich oder laut, was Cal flüsterte, aber Leya verstand jedes einzelne Wort. Trotzdem starrte sie ihn – den Jungen, dem sie gerade das verdammte Leben gerettet hatte - verständnislos an. Das entsprach nicht unbedingt ihren Vorstellungen von den Worten, die man sagte, wenn man eine Nahtoderfahrung gemacht hatte. Sie hatte eher etwas tiefgehendes, bedeutendes oder auch nur einen Schwall Salzwasser erwartet.

Langsam folgte sie Cals Blick auf ihre Hose, die ziemlich ramponiert, durchnässt und matschig aussah. Aus ihrer Hosentasche lugte ihr iPhone hervor. Es war bedeckt mit Sand und etwas, das ein bisschen nach Frühstück aussah.

Bedächtig nickend zog sie das Telefon mit spitzen Fingern hervor und bestätigte: „Du hast recht. Aber auch wenns noch funktionieren würde, würde ich es nicht mehr benutzen, weil ein halbverdautes -" Sie pickte eine zähe, bräunliche Masse von der Glasscheibe und ließ sie in den Sand fallen. „Ich glaube Croissant darauf geklebt hat."

Kurz sahen Leya und Cal auf das Erbrochene, das im Sand lag, dann brachen sie gemeinsam in Gelächter aus. Ihre beiden Körper bebten vor Lachen. Nach unzähligen Minuten wurden sie leiser und verstummten.

„Tut mir leid, dass ich dir auf die Hose gekotzt hab! Aber du musst zugeben, du bist selber Schuld." Empört starrte sie Cal an. „Wieso bin ich denn Schuld daran, dass du mir auf die Hose kotzt?"

„Na ja, du hättest mich halt nicht retten sollen!" schmunzelte dieser mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht.

Wieder lachten beide laut auf.

Irgendwann keuchte Leya: „Mal ehrlich, wieso lachen wir die ganze Zeit? Was ist los mit uns?"

„Sauerstoffmangel und Glückshormone, würde ich sagen. An den Witzen liegts ja eher nicht."erwiderte er grinsend.

__________________________

Vielen, vielen Dank fürs Followen, MellyNiko!<3

Ich hoffe, du freust dich über die Widmung und ich hoffe auch, dass allen der nächste Teil meiner Geshcichte gefallen hat!:D

Ich wünsche allen, die das hier lesen einen wunderbaren Tag (auch wenn das Wetter in Deutschland nicht das beste istXD)!<3

 Song:

Vance Joy - Riptide


Götterstimme Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt