Mit großen Schritten lief die Frau mit dem roten, modischen Umhang den Fußweg neben dem Kanal entlang. Da der Winter noch immer in den Knochen der Lagunenstadt saß, waren vergleichsweise wenig Touristen unterwegs. Dafür wurden aber manche Fußwege von einigen Zentimetern hohen Wasser bedeckt, das über Nacht Einzug in die Stadt gehalten hatte. Trotzdem war es mit wasserfesten Schuhen recht unproblematisch hier entlangzugehen. Und ihr Ziel lag an einer Stelle der Stadt, die höher lag, als der Weg, den sie gerade beschritt.
Schon wenige Minuten später erreichte sie ihr Ziel. Es war ein kleines Restaurant weit entfernt vom Canal Grande.
Es war hübsch und lag am Ufer eines kleinen Wasserwegs, der im Moment nur mit einigen Booten bestückt in aller Ruhe dalag.
Für Venedig war es unerwartet kühl, da sich der Winter, auch wenn er noch Einzug hielt, doch seinem Ende zuneigte. Es hatte sogar einige Grad unter Null.
Aber sie kannte den Grund für diese unnatürliche Kälte. Und dieser Grund war auch die Ursache ihres Besuchs hier.
Ihre Tochter hatte nämlich nicht nur die Kälte mit ihrer Stimme gerufen, sondern hatte auch die Götter aus ihrer Ruhe geweckt. Und das war ein Problem, das weitaus größer war als ein bisschen Schnee in Italien.
Trotz der Kälte standen noch einige Tische vor dem Restaurant, aber es war nur einer besetzt. Mit selbstbewusst erhobenem Haupt lief Kalli auf eben diesen zu und ließ sich gegenüber der alten, runzligen Frau nieder. Zwar sah das Gesicht der Dame ein wenig aus wie eine Dörrpflaume, aber dennoch strahlte sie eine überweltliche Schönheit ab, die tief aus ihrem Inneren kam.
Langsam hob die Dame, die in einen weißen Fellmantel gekleidet war, ihre Augen von dem Buch, das in ihren Händen lag.
„Kalliope Abai. Was für eine Freude dich zu sehen. Möchtest du vielleicht etwas warmes Trinken? Für manche Geschmäcker ist es wohl etwas kühl." Das Gesicht der Alten verzog sich zu einem furchigen Grinsen. Ein kühler Wind fegte durch die Gasse und jagte einen Schauer über Kallis Rücken. Diese Frau machte ihr Angst. Sie hatte etwas an sich, das ihre Menschlichkeit verhöhnte. Vermutlich hing das mit ihrer Abstammung zusammen. Nicht viele waren heutzutage noch direkte Kinder einer Windgottheit und eines normalen Inferiors. Kalli wusste nicht, welcher Unterweltsgott sein Blut mit dem eines Menschen vor vielen Generationen geteilt hatte, aber dieser Dame konnte man die Herkunft anmerken.
Kalli schüttelte den Kopf auf die Frage der Alten hin und fing an zu reden: „Ich denke, wir sollten gleich zur Sache kommen. Die Ennas werden nicht lange weg sein, jetzt, wo ihr Sohn tot ist. Vermutlich sind sie morgen wieder in der Stadt. Zusammen mit dem Orpheus und der Leiche der jetzigen Eurydike. Ich habe eine recht einfache Lösung für das Problem, das sich uns jetzt eröffnet. Weder die Superior, noch die Inferior wollen den Krieg der Götter, nicht wahr? Deshalb müssen wir an einem Strang ziehen. Wenn Sie den Inferiorrat davon überzeugen können das Training zu stoppen und den Orpheus unvorbereitet in die Unterwelt zu schicken, dann wird er scheitern. Natürlich wäre es am besten, wenn man dem Orpheus auch gleich sagt, dass er scheitern soll, damit jedem unglücklichen Zufall aus dem Weg gegangen werden kann. Die Eurydike wird nicht zurückkehren und dadurch wird es keinen Grund für die Götter geben zu kämpfen. Das Problem mit den tödlichen Folgen der Orpheusklage kann man beheben, indem man den Orpheus sofort nach der Rückkehr tötet. Das einzige, was man dafür tun muss, ist den Ort des Verschwindens zu überwachen. Der Orpheus wird dort wieder aus der Unterwelt emporsteigen und sobald er wieder weltlich ist, kann man ihn mit einer Kugel, einem Messer oder Gift töten, wie jeden anderen Halbgott auch. Die Teppiche werden es nicht verhindern, weil der Orpheus gescheitert und damit nutzlos geworden ist. Danach muss man die Leiche verbrennen und alle Probleme sind beseitigt. Es ist ein einfacher Handel, den wir eingehen müssen. Das Leben von Zweien gegen das aller anderen."
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Götterstimme
ParanormalEr packte sie an den Armgelenken, bevor sie ihn ein weiteres Mal schubsen konnte. „Wieso lässt du mich nicht dein Held sein?!" schrie Cal Leya wutentbrannt in ihr regennasses Gesicht. „Weil es in meiner Geschichte keine Helden gibt. Ich werde unwei...