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Ich blickte in die dunklen Augen meines Bruders. Es tat mir so weh in solch einer Situation zu sein. Ich wollte mich doch nicht von ihm losreißen. Natürlich traf mich sein Verrat umso mehr. Denn Aziz war mein kleiner Engel. Mein kleiner Bruder, nicht ein Mal hatte ich Angst gehabt ihn von meinen Vater zu beschützen.
„Ich möchte dir gerne verzeihen, doch das geht nicht so einfach", flüsterte ich. Er blickte lächelnd und hoffnungsvoll in meine Augen. „Ich verlange es auch nicht. Ich habe nicht das Recht dazu. Manche Sachen kann man nicht verzeihen-" Ich schnitt ihm ins Wort.

„Ich werde dir verzeihen, wenn du zu mir ziehst und dein Studium fortsetzt."
Aziz zog verwirrt seine Augenbrauen zusammen. „Ich kann nicht. Was ist mit Anne und Baba?", ich schüttelte mein Kopf. „Was soll mit den beiden sein?", fragte ich ahnungslos, doch ich kannte die Antwort.
Als er schmerzlich schwieg, blickte ich ihn noch mal in sein Gesicht. So gerne würde ich meine Arme nach ihm ausbreiten und ihn in meine Arme nehmen. Doch tief in mir riet es mir meine Sehnsucht zu ihm zu ignorieren.

„Überleg es dir", sagte ich und stand auf. Danach drehte ich mich um und verließ das Café. Dabei spürte ich seine Blicke auf meinen Rücken. „Nicht umdrehen", sagte ich innerlich zu mir selber. Und klopfte auf meine Schulter als ich endlich das Café verlassen hatte. Ich lief auf Savas Auto und es überraschte mich, dass er genau in diesem Moment total konzentriert zu mir blickte.
Er versuchte  etwas aus meinem Gesicht abzulesen. Savas versuchte einen Menschen durch das Verhalten kennenzulernen, er beobachtete, wie sich die Person benahm, wie die Person guckte, was die Person fühlte, statt so viel Wert auf Worte zu legen, machte er genau das Richtige.
Wenn wir doch ehrlich waren sagt die körperliche Sprache, durch Gestik, Mimik und der Körperhaltung viel mehr aus, als Worte die man sich nicht traute auszusprechen. Oder manche Dinge nur halb aussprach.
Denn es gab manche Dinge, die ich mich nicht traute auszusprechen. Die nicht aus mir rauskamen, doch ich wusste, dass Savas mein Schweigen verstehen wollte.

Savas fuhr nach kurzer Stille los. Er blickte kurz zu mir und ich merkte, dass er leicht unruhig wurde.

„Ich habe Aziz gesagt, dass ich ihn nur verzeihe, wenn er zu mir zieht."
Stille. Er schüttelte lachend seinen Kopf. Er spielte seine Wut so aus, so dass er mich nicht verletzen musste.

„Dir ist es gar nicht bewusst, dass dich  Selbstlosigkeit krank macht?"
Ich schluckte. So als würde ich seine Worte verdauen. „Wieso bin ich jetzt bitte krank?", sagte ich. Er fuhr rechts ran und blickte mir streng in die Augen, sein Blick war sehr ernst und die Farbe seiner so dunklen Augen waren noch dunkler. Wie das überhaupt ging? Man könnte echt versinken in diese Farbe.

„Das mit krank habe ich nicht böse gemeint. Aber so wie ich es gesagt habe, meine ich es auch." Sein Blick wurde sanft als ich kurz seufzte. „Du bist zu selbstlos. Azra. Ich mochte einfach nicht, dass du dich selber vergisst in dem du Menschen, die Hand reichst ohne mir der Wimper zu Zucken, sie es aber nicht schätzen!" er hielt meine Hand fest und sah sanft zu mir. Ich lächelte.

„Ich finde es schon echt gruselig, wie sehr du mich kennst.", er zog seine Augenbrauen zusammen, da ich gerade versuchte aus dem Gespräch zu entfliehen.

„Du kennst Aziz nicht. Er ist so wie ich. Er erinnert mich an mein altes Ich. Meine Eltern sind toxisch. Derya hilft ihm anscheinend auch nicht. Er hat sein Studium abgebrochen, nur weil er für die Arbeiten gehen soll. Für die Schulden, die nicht mal er verantwortlich ist! Ich kann ihm doch mein ganzes Leben sauer sein, doch es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, dass sie ihn ebenfalls vergiften!"

Als sich meine Augen füllten und ich sie wegwischen wollte, hielt Savas mich sanft an der Hand. „Du musst deine Tränen nicht vor mir verstecken. Es ist okay, was du fühlst. Und du hast Recht. Hätte ich auch einen Bruder würde ich ihn wahrscheinlich auch helfen, egal wie sehr er meinen Vertrauen missbraucht hat.

Als er so redete ließ ich meine Tränen den freien Lauf. Es tat mir so gut. Trotz allem war ich so dankbar, dass ich gerade neben ihn sitzen durfte und mit ihm ein Neuanfang beginnen wollte.

„Savas?", ich schniefte. Ich versuchte mich zu beruhigen. „Ja", sagte er und wand nicht ein Mal seinen Blick von mir. „Wie kannst du nur so schön sein?", fragte ich fassungslos.

„Das liegt wohl im Auge der Betrachterin. Man kann nur das sehen, was man selber ist. Glaub mir das was mich in deinen Augen schön macht sind deine Blicke Azra."

Fassungslos sah ich ihn an. Da sich die Worte öfters in mein Kopf abspielten. Mein Herz klopfte wie verrückt. Ich lächelte einfach nur.

Sil BaştanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt