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„Möchtest du mit mir in die Firma kommen?", fragte mein Bruder mich. Er war besorgt. Denn die letzten vier Tage die ich hier verbrachte war ich still und lustlos. Ich gammelte nur in meinem Zimmer rum.
„Vielleicht schaltest du dein Handy an, damit deine Freundin dich erreichen kann", kratzte er sich am Hinterkopf. Ich sah ihn fragend an. „Wieso?", fragte ich ihn. „Du hast die Menschen in der Stadt einfach zurück gelassen Nefes. Du hast dich schnurstracks entschieden zu Kommen und du bist hier. Sie mögen dich. Deine Blindheit tut den Menschen nicht gut"
Ich zuckte mit meiner Schulter. „Ich... Sie kennen mich nicht. Vergessen werden sie mich." Mein Bruder seufzte und nickte. Er sah mir liebevoll in die Augen. Er gab mir ein Kuss auf die Stirn und ich schloss meine Augen. Die Nähe von meinem Bruder tat mir gut.
„Komm mit Nefes, ich werde mir Sorgen machen" Ich schüttelte mein Kopf.
„Sturkopf", seufzte er und verließ das Haus.
Ich legte mich in mein Bett und versuchte zu Schlafen. Doch als ich meine Augen schloss, kamen mir seine Augen entgegen. Seine grünbraunen Augen. Sein letzter Blick fiel mir nicht aus der Erinnerung.
Ich konnte es einfach nicht vergessen. Yasemin war enttäuscht von mir. Sie hatte ihren Mann verloren und wir waren dabei unseren Schmerz zu teilen und ich ging.
Ich floh wie immer.
Als ich aufstand um mich im Spiegel zu betrachten schloss ich meine Augen wieder.
„Guck mal wie du aussiehst", sagte ich zu mir selber. Meine dunkelblonden Haare lagen zerstreut und meine Augen waren angeschwollen. Sie sahen leer in mein Spiegelbild. Ich fühlte mich leer. War jetzt meine Seele auch leer?
Wenn die Augen der Spiegelbild der Seele war?
Ich ging duschen und hörte die Stimmen in der Flur. Bestimmt war Esma Sultan da. Sie war die letzten Tage bei mir. Sie schlief sogar manchmal hier.
Draußen war es eisig kalt, weswegen ich nicht mal raus wollte.
Als ich runter in die Küche ging, sah mich Esma Sultan streng an. "Wie siehst du denn aus im Schlafanzug?", sah sie mich an. „Komm zieh dich an, danach lernst du" Sie sah streng in meine Augen. „Ich möchte mein Studium abbrechen", sagte ich letztendlich. „Nein Nefes! Sana hakkimi helal etmem kuzum!" Ihre Augen füllten sich mit Enttäuschung. „Du wolltest immer Jura studieren, eine sehr gute Anwältin werden um die Gerechtigkeit in diese Welt herbeizurufen. Du kannst jetzt nicht aufgeben. Nefes komm zu dir!", schrie sie mich an. Meine Augen füllten sich mit Tränen. „Ich halte es nicht mehr aus Esma Sultan. Meine Brust trägt zuviele Lasten. Ich kann nicht mehr" Meine Tränen liefen über meine Wange herunter. Esma Sultan umarmte mich. „Bir tek sen mi acı çekiyorsun? Hayir güzelim, taşıyamadığın yükü sana allah dert olarak vermez." (Denkst du nur du verspürst Schmerzen? Nein meine Schöne, du kriegst keine Last von Allah die du nicht tragen kannst), sie lächelte und wischte meine Tränen weg. Ich spürte ihre mütterliche Liebe und dies füllte mein Herz mit Segen. Ich vermisste meine Mutter sosehr.
Als ich in ihre blauen Augen blickte, lächelte ich. „Du bist ein Geschenk von Gott. Dankeschön dass du hier bist" Sie umarmte mich nur noch fester. „Jetzt zieh dir was anständiges an und hilf mir!" Ich nickte lächelnd und zog mir etwas an. Als ich wieder die Treppen runter ging sah ich mein Handy auf dem Tisch liegen. Ich schaltete es ein.
Yeliz, Duygu und Savas hatten mir geschrieben.

„Meine Mutter ist sehr verletzt. Sie ist echt aufgebracht Nefes. Bist du für immer weg?", las ich.

„Ich habe Burak gefragt, geht es dir nicht gut? Soll ich kommen?", las ich Duygus Nachricht. Sie hatte mein Bruder gefragt? Sie hatte seine Nummer?

„Korayın kafasi baya karışık Nefes..." (Koray ist sehr durcheinander)

Ich antwortete jeden außer Savas. Was sollte ich denn schreiben? Weswegen war Koray denn durcheinander?
Ich legte mein Handy weg und ging runter zu Esma Sultan. Ich nahm mir eine Schürze und sah sie gespannt an. „Was machen wir denn?" Lächelnd legte sie die Weinblätter und den Reis auf die Arbeitsfläche. „So fang du mal an, ich muss jetzt staubsaugen" Ich nickte und begann die Weinblätter mit dem Reis zu füllen. Anschließend rollte ich es zusammen. Mein Bruder und ich liebten Weinblätter. Meine Mutter machte es immer mit extra viel Öl. Ich machte weiter und versuchte meine Gedanken abzuschalten. „Nefes, bist du schon fertig?" Ich nickte und sie sah beeindruckend zu mir. Obwohl wir immer eine Köchin, Esma Sultan bei uns hatten, wollte meine Mutter dass ich alles selber konnte. Sie wollte mich nicht verwöhnt ausziehen.
Als ich fertig war mit den Weinblättern, tat ich sie in den großen Topf.
„Dankeschön Nefes, den Rest erledige ich" Ich nickte und ging auf mein Zimmer. Mein Handy klingelte. Sinem rief mich an. „Nefesim, wie geht es dir?", fragte sie mich. „Mir geht es gut, und Dir?" Sie wusste nur, dass ich für eine Zeit hier hin gezogen war. Ich hatte es ihr nicht erzählt. Was sollte ich ihr den erzählen? Mein Leben fuhr den Bach hinunter.
„Berke hat bald Geburtstag. Ich weiß nicht was ich ihm schenken soll. Komm bitte in die Stadt" Ich verdrehte meine Augen. „Das schaffst du auch ohne mich" „komm Schon Nefes", seufzte sie. Ich nickte. „Bin in einer halben Stunde da. Warte einfach im Café" „Okay, mach ich" Ich legte auf und ging in mein Kleiderzimmer.
Ich zog mir ein braunes Pullover an. Es war weit geschnitten und eine gerissene Jeans. Ich zog meine weißen Adidas Schuhe an. Ich schminkte mich nicht, sah mich gar nicht im Spiegel an. Es war mir egal, was man mir ansah. Alles war mir egal. „Esma Sultan bin mit Sinem in der Stadt" Sie nickte lächelnd. „Viel Spaß" Ich stieg in mein Auto und fuhr in die Innenstadt. Wir wohnten sehr abseits von der Stadt. Nach einer halben Stunde parkte ich im Parkhaus.
Als ich den Café betrat sah ich Sinem. Jedoch war sie nicht alleine. Yeliz und Duygu saßen gemeinsam mit ihr. Sie unterhielten sich. Als Sinem mich sah verstummte sie, daraufhin sahen die beiden zu mir. „Was sucht ihr hier?" Auch wenn die Frage Mega respektlos war, sollte sie es nicht so wirken. Ich war verwundert. Wieso waren sie hier?
„Nefes, was machst du für Sachen", umarmte Duygu mich. Sinem lächelte. Yeliz jedoch blieb sitzen und sah mich an. „Hallo" Wir saßen uns hin. „Wir haben uns so Sorgen gemacht Nefes..." Ich lächelte leicht. „Ich habe euch doch geantwortet..", sagte ich.
„Ach denkst du das hat gereicht?", hörte ich Yeliz spottend fragen. „Yeliz bitte" sah Duygu zu ihr. Ich kannte diese impulsive Seite nicht von ihr.
Yeliz sah Duygu an und zuckte mit ihren Schultern. „Wieso sind wir eigentlich hier? Schau mal, sie läuft von uns weg und wir verfolgen sie" „Yeliz", Schritt ich ein. Sie war verletzt, sogar wütend. Ich verstand sie. „Wieso bist du gegangen?", fragte Yeliz. „Ich brauchte Zeit, Ruhe", sagte ich. „Wenn du wissen würdest, wie es meiner Mutter geht würdest du dich schämen! Weißt du wie viele Menschen du dort gelassen hast"

„Du weißt nicht was ich für Schmerzen ertragen musste, okay?! Du kannst dir Sorgen machen, aber mich nicht beschuldigen weil ich hier hin gekommen bin, zu meiner Familie."

„Du bist blind Nefes, siehst nicht was du alles verlierst, du versinkst in Selbstmitleid du bist mehr als das!"

Sil BaştanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt