„Ich bin nass." „Ach wirklich? Darauf wär' ich nie gekommen", gab Adara mit einer Unschuldsmiene zurück. „Ich meine, ich bin nass. Das heisst, dass ich jetzt nicht rausgehen kann um uns Kleider zu holen ohne das ganze Haus einzusauen", präzisierte er murrend. „Ich weiss nicht, was du hast, ist doch nur Wasser!", lachte Adara. „Oder willst du insgeheim etwa, dass wir dann beide nackt dastehen?", ergänzte sie forschend und mit zusammengekniffenen Augen. „Das geht zu weit", schnaubte Tom lachend, als er wieder aufstand. „Das geht nun wirklich zu weit", wiederholte er mit gehobenem Finger, jedoch nicht minder lächelnd. „Das gibt Rache, ich schwöre es", fügte er hinzu, packte sich Fés ordentlich gefaltetes Kleiderbündel und stapfte triefend davon. Innerlich atmete Adara auf. Was hätte sie gemacht, wenn er ihre nicht ganz ernstgemeinte Frage mit ‚Ja' beantwortet hätte? Da fiel ihr ein: Wenn Tom ihre Wunden genäht hatte... und er ihre Schwanzflosse schon hatte verschwinden sehen... dann... Dann hatte er sie auch schon nackt gesehen! „Ach du meine Güte, ist da peinlich", flüsterte sie, ihre Hände an ihr Gesicht gepresst. Und mit einem Mal wurde ihr auch klar, weshalb Tom so lange gebraucht hatte, um endlich ins Bad zu kommen. Weshalb er sich so geziert und sich dummgestellt hatte. Unter ihren Händen verzog sie das Gesicht. Wie konnte man denn nur so viele Fettnäpfchen auf einem Flecken Erde platzieren? Und warum, in allen Herrgottsnamen musste ausgerechnet sie in jedes einzelne davon treten? „Fé, ich hab hier deine Kleider", ertönte es einen Moment später von der anderen Seite der Tür. „Okay, komm rein und leg sie irgendwo hin", erwiderte Adara. „Nein, das werde ich nicht. Ich habe dir Rache geschworen, hier ist sie. Deine Kleider leg' ich auf den Esstisch, von wo du sie dir selbst holen kannst", rief Tom und konnte sich ein schelmisches Kichern kaum verkneifen. Adara hörte, wie sich seine Schritte von der Tür entfernten. Was sollte sie jetzt tun? Sie spürte, wie ihre Flosse langsam zu trocknen begann. Bald würde se verschwinden. Dann hörte sie Schritte von oben. Es gab einen zweiten Stock? Plötzlich verspürte sie einen gewaltigen Durst. Sie schaute wieder zurück auf ihre Schwanzflosse. Es begann. Die Schuppen ihrer Flosse verblasste, ebenso diejenigen an Bauch und Oberkörper, die sowieso nur stellenweise vorhanden waren. Nach einer Weile sass sie dann wieder als splitterfasernackter Mensch am Boden vor der Dusche. Was sollte sie machen? Wie sollte sie handeln? Sie stand auf und schlich zur Tür. Sie streckte ihren Kopf durch einen schmalen Spalt in den Flur und schaute sich links und rechts nach Tom um. Dann hörte sie ein leises Poltern von der Decke, gefolgt vom Rauschen des Wassers. Oben gab es also noch eine Dusche, dachte sich Adara, zog schnell einen Entschluss und schlüpfte aus dem Bad. Ihre Kleider lagen tatsächlich feinsäuberlich gefaltet auf dem Esstisch. Sie streifte sich schnell die kurze Hose und das Trägerlose Top über und schaute sich um. Wie war Tom bloss in den zweiten Stock gelangt? Dann sah sie die Tür, die so geschickt hinter dem Klavier platziert worden war, dass man sie dank des Bücherregals nebendran kaum wahrnahm. Und das Beste war: sie war offen. Adara schlüpfte durch den Türspalt und erklomm lautlos sie Wendeltreppe dahinter. Der zweite Stock war lichtdurchflutet. Wie im unteren Stock war ein Gang vorhanden, von dem man links und rechts in die einzelnen Zimmer gelangte. Am Ende des Flurs legte Adara das Ohr an die Tür. Dahinter hörte sie fliessendes Wasser. „Na warte", sagte sie zu sich selbst, konzentrierte sich. Aus dem Raum ertönte ein Schrei. „Verflucht! Was ist denn hier los?!", schimpfte jemand hinter der Tür. Adara lachte sich ins Fäustchen. Tom hatte also wirklich unter der Dusche gestanden, als sie das Wasser hatte kaltwerden lassen. Plötzlich ging die Tür auf und Tom schrie hinaus: „Fé!" Beide erschraken so sehr über die Anwesenheit des anderen, dass Adara einen Spitzen Schrei ausgestossen und Tom beinahe sein Handtuch hatte fallen lassen. „Du warst das!", rief Tom empört aus. Adara musste lachen und machte sich eiligst aus dem Staub, als Tom auf sie losstürmte. Sie stürzte den Flur entlang und in das erste Zimmer, das sie erreichen konnte. Sie blieb staunend stehen. An die Wände waren Lichtreflexe gemalt, als ob sich das Sonnenlicht erst auf der Wasseroberfläche gespiegelt hätte. Sie stand vor einem grossen, gemütlich aussehenden Doppelbett und an der Wand stand ein grosser Schrank mit offenen Türen. Tom war im Türrahmen stehengeblieben und zupfte an dem Handtuch, das er sich um die Hüfte geschlungen hatte. Sie drehte sich zu ihm um und schaute ihn fragend an. „Wieso schläfst du unten auf der Couch, wenn du hier oben doch Betten stehen hast?", schien ihr Blick sagen zu wollen. „Das ist das Zimmer meiner Eltern", meinte er schlicht. „Oh." Sie schaute unsicher zum offenen Kleiderschrank hinüber. „Dann...", fing sie beklemmt an. „Dann sind das die Kleider meiner Mutter?", beendete Tom ihre Frage. „Die meiner Cousine, um ehrlich zu sein, aber ja, sie stammen von hier." Adara drehte sich langsam um und strich beim Hinausgehen an einer dunklen Kommode entlang, fühlte die dicke Staubschicht, welche sich in ihrer Hand gesammelt sammelte. Sie schaute sie verwundert an. „Es ist lange her, seitdem ich zum letzten Mal hier oben war", erklärte Tom mit einem gequälten Lächeln und Adara verstand auf einmal, dass sie der alleinige Grund dafür was, dass er wieder hier herauf gekommen war. Sie schauten sich einen Moment lang still an. Auf einmal klingelte es an der Tür und Adara fuhr zusammen. Hatte er ihr nicht versichert, dass sie hier alleine waren? Tom hingegen runzelte die Stirn. „Wer kann das sein?", murmelte er, schnappte sich einige Klamotten und verliess langsam das Zimmer. Er machte sich nicht die Mühe, sich zu beeilen, das merkte man. Er zog sich im Treppenhaus an und Adara folgte ihm nicht sofort. Irgendwie war es seltsam, dass er sie einfach so hier stehen liess, andererseits trug er kaum mehr als ein Handtuch und sie wagte es nicht, ihm zu folgen. Doch schliesslich tat sie es doch und fand bald das zurückgelassene Handtuch am Boden. Bei der Tür, die aus dem versteckten Treppenhaus in den Wohnraum führte, raunte er ihr zu, sie solle hier bleiben, während er sich ein weisses T-Shirt überzog. „Es soll dich niemand sehen", setzte er hinzu und Adara nickte. Es hatte ein weiteres Mal geläutet. Tom ging gemächlich zur Tür, öffnete sie und blieb beharrlich im Türspalt stehen. Einen Moment lang musterte er den Ruhestörer. „Was wollen Sie?", murrte er schliesslich. „Guten Abend, Sir", antwortete jemand, der für Adara unsichtbar blieb. „Ich habe die grosse Ehre...", begann er, wurde aber von Tom mit einem barschen „Machen Sie es kurz" unterbrochen. „Nun ja", stammelte der völlig aus dem Konzept gebrachte Fremde. „Ich überbringe Ihnen die Einladung zum Jährlichen Sommernachtsball", stotterte er ein wenig verstört und Tom wurde ein elfenbeinfarbener Umschlag entgegengestreckt. „Und weshalb bringt man sie dieses Jahr persönlich? Reicht die Post etwa nicht mehr aus?", entgegnete Tom etwas spöttisch. „Nun ja", stammelte sein Gegenüber. Der Mann versuchte krampfhaft seine Fassung wiederzuerlangen. „Man hat Sie letztes Jahr vermisst und... nun ja... Man wollte sicherstellen, dass die Einladung dieses Jahr sicher ankommt", endete der Mann mit mehr oder weniger sicherer Stimme. Tom betrachtete den Umschlag vor ihm abschätzig, nahm ihn dann aber doch entgegen. Dann machte er einen Schritt zurück und wollte die Tür wieder schliessen. „Sie kommen dann also?", hörte Adara den Fremden noch fragen. „Weshalb sollte ich?", erwiderte Tom und schloss die Tür. Es dauerte einige Momente, bis Adara sicher war, dass der fremde Mann verschwunden war und sie hinter der verborgenen Tür hervorkommen konnte. Tom hatte den Briefumschlag ungeöffnet auf den Tisch geworfen und würdigte ihn keines Blickes. „Wer war das?", wollte sie wissen und konnte die Unsicherheit dabei nicht aus ihrer Stimme verbannen. Tom war so ruppig und ungehalten gewesen. „Nicht so wichtig. Ein alter Freund meiner Mutter", erwiderte Tom abschätzig. „Was hat er getan?"
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Mermaid Summer
FantasyTom's Unglück begann vor etwa einem Jahr, als er zusehen musste, wie seine Familie in einem schrecklichen Brand ums Leben kam. Als einziger Überlebender schlägt er sich mit heftigen Depressionen und Albträumen herum und kann einfach nicht glauben, d...