34. Unter den Lichterketten

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Daraufhin herrschte Stille zwischen ihnen und obwohl sie zusammen tanzten, hing jeder seinen eigenen Gedanken nach. Während Tom sich hauptsächlich um die weiteren Schritte des hartnäckigen Kommissars und deswegen um Fés Sicherheit sorgte, fragte sich Adara, ob ihnen dieser Mann wohl gefährlich werden würde. Zwar hatte er nicht die grünen Augen besessen, die sie in ihren Albträumen heimsuchten, aber dennoch überkam sie wieder ein äußerst seltsames Gefühl, wenn sie an Vincent Roderick dachte. Die Zeit verging viel zu schnell und der Song war bald schon wieder zu Ende. Neben der Tanzfläche wartete Tülay auf die beiden und schien ihnen dringend etwas mitteilen zu wollen. „Hey ihr! Tom! Kommt mal her!", rief sie durch die lärmende Menge und es dauerte etwas, bis auch Adara auf sie aufmerksam wurde. Tülay fuchtelte wild mit ihren Armen, bis sie nur noch eine Armeslänge von ihnen entfernt war. Das Sektglas in ihrer Hand schwankte gefährlich, doch davon ließ sich die engagierte Medizinerin nicht beirren. „Was macht ihr denn bitte für Gesichter wie nach sieben Tagen Regenwetter? Die Photographen haben sich schon beschwert. Wollt ihr wirklich in allen Zeitungen so aussehen, als stündet ihr kurz vor der Hinrichtung?" Sie war ganz aus dem Häuschen. Adara schluckte bei diesen Worten leer. Es gab Hinrichtungen hier? „Ihr solltet diesen Abend genießen, Menschenkinder! Na los! Amüsiert euch! In weniger als einer Stunde wird dann der große Kassensturz gemacht und niemand will einen deprimierten, ernsten Tom auf der Bühne stehen sehen!" Adara hätte zwei Einwände vorzubringen gehabt: einerseits bezog sich die Bezeichnung „Menschenkinder" wohl kaum wirklich auf sie und von einem großen Kassensturz wusste sie auch nichts, doch das übernahm Tom in diesem Moment. Er schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn und fluchte leise. Adara schaute nur etwas dümmlich zu ihm auf und dann zu Tülay, die mit nun verschränkten Armen dastand. „Du willst mir doch nicht etwas sagen, du hättest den Höhepunkt und eigentlichen Zweck dieses ganzen Traras hier vergessen, Thomas Reginald Right?" Sie betonte seinen Namen dermaßen auffällig, dass er genauso gut hätte auf einer riesigen Leuchtreklame über seinem Kopf schweben können. Tom spreizte seine Finger und schaute Tülay ein wenig beschämt an. Sein Blick sprach Bände. „Hast du wenigstens etwas gespendet?", wollte sie nun aber von ihm wissen und ihr zur Seite geneigter Kopf hatte etwas Bedrohliches an sich. Plötzlich war Tülay nicht mehr nur die Kommilitonin mit der Großen Klappe und der Endlosschleife an Gesprächsmaterial sondern auch eine Art strenger Mutterersatz, der Tom bei allem auf die Finger schaute. Er seufzte. „Ich mach ja schon, ich mach ja schon", murrte er und machte Kehrtwende. Adara schaute ihm etwas verblüfft hinterher, als er sich einmal quer durch die Menge schob direkt auf die Bühne zu. „Willst du ihm nicht hinterher?", fragte Tülay hinter ihr und Adara zuckte unwillkürlich zusammen. Sie hatte die junge Ärztin einen kurzen Moment lang vergessen. „Was?", fragte sie stimmlos. Tülay machte eine ausladende Handbewegung, bevor sie sich wiederholte: „Ja, ob du ihm nicht folgen willst?"

Unter den aufmerksamen Blicken einiger Umstehenden schloss Tom sein Checkbuch wieder, faltete das abgerissene Blatt Papier und musterte die Leute, die ihn so gespannt anschauten. Dann schob er das Zahlungsversprechen in den breiten Schlitz des riesigen Glaskastens, den man vor der Bühne aufgebaut hatte. Übertrieben, wie Tom fand. Als er sich umdrehte, prallte er beinahe mit Fé zusammen, die etwas verwirrt aus der Wäsche schaute. „Ist alles in Ordnung?", fragte er sie und fasste sie am Arm, da sie kurz ins Straucheln gekommen war. Doch er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab, sondern zog sie sogleich weiter, erst hinter einen der schweren Wandvorhänge, die den gesamten Saal rundum verhängten, und von dort aus durch eine Glastür hinaus ins Freie. „Tom, was soll das?", keuchte Fé und machte sich von ihm los. Entsetzt schaute sie ihn an und er verstand nicht wirklich, weshalb. „Du ziehst mich einfach so ohne Vorwarnung hier raus?", erläuterte sie ihm noch einmal das Geschehen der letzten zwei Minuten und rieb sich ihr linkes Handgelenk. „So kenne ich dich gar nicht!" Tom stieß alle Luft aus seinen Lungen und drehte sich um. Mit beiden Händen stütze er sich auf das steinerne Geländer der kleinen Terrasse, von der aus eine ebenso steinerne Treppe in den Garten führte, den sie sich früher am Abend angesehen hatten. „Ich musste einfach raus, Fé. Ich hab's da drin nicht mehr ausgehalten." Er drehte sich nicht zu ihr um. Sie keuchte bloß. „Und deshalb entführst du mich, nachdem du mich kurz zuvor mutterselenalleine hast stehen lassen? Weißt du, Tom, du bist im Gegensatz zu Fischen in der Lage zu sprechen. Du könntest mich ruhig mal in deine Pläne einweihen." Tom schwieg daraufhin. Er suchte nach Worten, fand sie aber nicht gleich, entschied sich dann, sich wenigstens zu Adara umzudrehen, um mit ihr zu sprechen und sah sie dann vor ihm stehen mit einem ziemlich wütendem Ausdruck im Gesicht und verschränkten Armen. Und alles, was er ihr in diesem Moment hatte sagen wollen, blieb ihm im Halse stecken. „Ich will eigentlich gar nicht hier sein. Ich will weder mein Geld an diese verlogenen Leute spenden noch will ich mit ihnen über meine Familie sprechen oder ständig ihre Blicke auf mir spüren, kannst du das nicht verstehen?"

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