81. Kühlschränke und Wundsalben

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Heii Leutee! Ich lebe noch! (Was nach den letzten drei Wochen echt an ein Wunder grenzt.) Die Prüfungen sind fast vorbei, diese Woche kommen nur noch Französisch mündlich, Mathe mündlich, Kunst "mündlich" (4 Stunden, um etwas abzuzeichnen und eine farbige Abstraktion davon zu erstellen...) und Bio mündlich. Und hier kommt ENDLICH ein neues Kapitel von Mermaid Summer! Ich hoffe, ihr habt nicht vergessen, was bisher alles geschehen ist ^^ Viel Spass beim Lesen meine Lieben <3

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Tom war genervt von dem viel zu guten Wetter und der Sonne, die sich über ihn lustig zu machen schien. Die Brandblasen in seinem Gesicht juckten fürchterlich und dass er nun zu allem Überfluss auch noch zu schwitzen begann – der hartnäckigen Sonne sei es gedankt gewesen – machte die ganze Situation auch nicht besser. Er erhob sich von seinem Platz am Esstisch und begab sich in den engen Flur, der nach hinten zum Gästezimmer führte und blieb dort im Halbdunkel stehen. Eigentlich hatte er gedacht, dass es im Flur, wo die Sonne nicht hinkam, kühler sein würde und dass es seinem Gesicht wohl bekäme, doch dem war nicht so. Dann jedoch, weil das Jucken nicht abklang, kam ihm noch ein weiterer Gedanke. Er kehrte zurück in die Küche, erklomm die drei Stufen, öffnete den doppelflügeligen Kühlschrank und steckte kurzum seinen Kopf zwischen zwei Ablageflächen. Das half ein wenig. Ja, es war schon fast angenehm. So verharrte er eine geraume Zeit, suchte mit seiner Hand sogar nach dem kleinen Druckknopf, um sich des viel zu grellen Lichtes zu entledigen und genoss einfach nur noch die angenehme Kühle, die zwischen Joghurtbechern und Eierschachteln sanft um seine Nase zog.

„Das sieht... ziemlich interessant aus", meinte Henry mit verschränkten Armen und deutete mit einem Nicken auf das Hinterteil seines Arbeitgebers, das wie festgewachsen vor dem Kühlschrank stand und Maria nickte zustimmend. „Meinen Sie, wir sollten ihm helfen?", fragte sie nach einiger Zeit. „Vielleicht steckt er ja fest." Sie kratzte sich beiläufig am Kinn. Henry schüttelte langsam den Kopf. „Nein, ich glaube nicht, dass er unsere Hilfe braucht. Das sieht sogar fast schon bequem aus, finden Sie nicht?", erwiderte der Butler darauf. Aus dem Kühlschrank meldete sich Tom genervt: „Ich wäre Ihnen beiden schon sehr verbunden, wenn Sie einfach mal still sein könnten!" Die Angestellten kicherten hinter hervorgehaltener Hand, bis Tom sich ächzend wieder aufrichtete und sich zu ihnen umdrehte, weshalb sie mit größter Mühe versuchten, ihre Amüsement zu verbergen. Tom hingegen, dessen Beine eingeschlafen waren und die es nun zu massieren galt, übersah seine Angestellten kurzerhand. „Kommen Sie, wir sollten diese Blasen endlich fachgemäß versorgen", verkündete Maria und zog eine silberne Tube aus ihrer Rocktasche. „Und zwar mit Wundheilsalbe und nicht mit Fußpilz-Creme, versprochen", fügte sie halb schmunzelnd, halb tadelnd hinzu. Tom ließ sich auf einen Stuhl drücken, auch wenn er so wieder direkt der Sonne ausgeliefert war. Er ließ es sogar über sich ergehen, dass Maria sein empfindliches und gerötetes Gesicht mit einer dicken Schicht Salbe bedeckte. Und während die Dame, deren Haar mittlerweile um drei Töne heller war als ihre dunkle Haut, arbeitete, legte ihm Henry einen Stapel Blätter vor. „Die liegen überall herum, meistens in doppelter oder dreifacher Ausführung", berichtete er. Tom brauchte nur einen kurzen Blick auf die Unterlagen zu werfen, um festzustellen, dass es sich dabei um die Dokumente handelte, die Tülay ihm vorbeigebracht hatte. Er seufzte genervt. „Packen Sie das fort, Henry. Das wird hier nicht benötigt", murmelte er und vollführte eine ausladende Handbewegung, bei der er die offene Cremetube vom Tisch katapultierte. Während Tom betroffen die Augen schloss und Maria fluchend die Sauerei am Boden aufwischte, zögerte Henry, bevor er die Papiere wieder an sich nahm. „Das scheint ein renommiertes Institut zu sein. Haben Sie vor, arbeiten zu gehen? Oder interessieren Sie sich neuerdings wieder für die Krebsheilung?", fragte er und forschte dabei in seinem Blick, wie es Adara auch oft getan hatte. Deswegen schlug Tom die Augen nieder und schüttelte den Kopf. „Nein. Nein, das ist es nicht", beeilte er sich zu sagen, hielt dann aber inne. „Ich meine... Doch, eigentlich ist es schon das. Tülay arbeitet dort und will mich anwerben. Aber ich weiß noch nicht, ob ich das Angebot annehmen soll." Seine Augenbrauen waren zusammengezogen, die Stirn gefurcht und so ganz sicher über seine eigenen Wünsche und Zukunftspläne – insofern man das alles so bezeichnen konnte – war er sich auch nicht. Henry zog abwägend die Augenbrauen in die Höhe. „Also ich an Ihrer Stelle würde es in Betracht ziehen. Es würde Sie immerhin ablenken und... Sie hätten dann eine Beschäftigung... Sie wissen schon", druckste der sonst so wortsichere Henry herum und hatte offensichtliche Mühe damit, seine Worte zu finden. „Ich für meinen Teil würde endlich mal die Malina oder Makrele oder wie diese Schwester da auch immer heißt, rufen", mischte sich Maria ein, die ihre Arbeit in Tom's Gesicht fortgesetzt hatte. „Marlene", korrigierte Tom sie und zuckte schmerzlich zusammen, als Maria eine besonders empfindliche Stelle erwischte. „Ja ja, wie auch immer. Jedenfalls können Sie nicht einfach so tun, als Wäre Miss Adara tot. Sie machen sich doch selbst nur unglücklich." Tom und Henry sahen die Haushälterin gleichermaßen erschrocken an und Tom konnte Henry's Miene ablesen, dass dieser ebenso wenig darauf zu erwidern wusste, wie Tom selbst. Allerdings konnte er nicht leugnen, dass Maria in gewisser Hinsicht recht hatte. Er seufzte schwer. Mit seinen Fingern trommelte er auf die Tischplatte und überlegte lange. Schließlich schnaubte er ungeduldig und wandte sich Henry wieder zu – sehr zum Leidwesen Marias, die sich ebenfalls mitbewegen musste, um die restlichen Blasen auch noch behandeln zu können. „Ich weiß doch noch nicht einmal, was das überhaupt für ein Institut ist. Wie soll ich dann dort arbeiten? Am Ende ist es noch eine Scheinfirma, die in Wirklichkeit Drogen aus Bolivien nach Europa importiert und dann wandere ich ein für alle Mal in den Knast." Tom schaute Henry herausfordernd an, nicht wissend woher sein plötzlicher Zorn gekommen war. Auch Maria warf ihm auf einmal seltsame Blicke zu, nicht aber aus Wut, sondern einfach nur aus Verwunderung. Henry zögerte. „Bedeutet das, dass ich mich über dieses Forschungsinstitut erkundigen soll, Master Thomas?", fragte er etwas verunsichert und schien sich nicht entscheiden zu können, ob er die Bewegung, inmitten welcher er innegehalten hatte, nun doch zu Ende führen sollte oder nicht. Tom zögerte einen Moment lang. Dann nickte er zaghaft und wandte sich wieder Maria zu, mit einem ebenso verunsicherten Ausdruck in den Augen. „Und Sie sind der Meinung, ich sollte Marlene rufen?", fragte er sichtlich zweifelnd, doch die Haushälterin nickte fast etwas zu heftig, um ihre Zustimmung auszudrücken. „Absolut!", fügte sie mit Nachdruck hinzu und verschloss die Salbentube so energisch, dass Tom kurz fürchtete, der Verschluss würde brechen. Er biss die Zähne zusammen und überlegte. Einen Blick in Henrys Richtung bestätigte ihm, dass der Butler derselben Meinung war, was ihm entgegen aller Erwartungen ziemlich missfiel. Doch schließlich schüttelte Tom ergeben den Kopf. „Wenn ihr meint", seufzte er und rieb sich gedankenlos die Stirn. Marias lautstarke Proteste kamen allesamt zu spät und Tom schrie schmerzhaft auf, riss sich die Hand vom Kopf und starrte entsetzt auf die halb weiße, halb rote Schicht auf seiner Handfläche. Der Schmerz war kaum auszuhalten. Hinzu kam die blendende Sonne, deren Licht noch immer viel zu grell und viel zu warm für die Jahreszeit durchs Fenster fiel und seine Haut scheinbar noch mehr verbrannte. So fühlte es sich jedenfalls an. Maria stöhnte genervt und schraubte die Tube erneut auf. Henry war schneller verschwunden, als man hätte ‚Mississippi' sagen können und Maria, deren Bewegungen nun definitiv ruppiger waren als noch zuvor, fluchte die ganze Zeit über halb laut.

Weil die Brandverletzungen aber auch in den nächsten Tagen keine Besserung zeigten, brachten Henry und Maria ihn schließlich doch zu einem Arzt, der Tom nebst einer wirkstoffintensiveren Creme auch noch ein Schmerzmittel verschrieb und ihm freundlicherweise ein Attest ausstellte – der gute Doktor mit dem imposanten Schnauzbart musste wirklich Mitleid mit ihm gehabt haben, war er doch ziemlich erschrocken gewesen, als Tom ins Sprechzimmer getreten war. Jedenfalls dauerte es noch eine gute weitere Woche, bis die Brandblasen endlich einigermaßen verheilt waren und nicht mehr bluteten. In der Zwischenzeit hatte Henry einiges über das Forschungsinstitut herausgefunden, für welches Tülay so pathetisch geworben hatte. Tom und Henry saßen am massiven Küchentisch, draußen bedeckten schwere, graue Wolken den Himmel und ein für den November üblicher, kräftiger Wind peitschte das robuste Gras auf den Klippen. Die Seemöwen, auch wenn sie sich alle Mühe gaben und angestrengt mit den Flügel schlugen, schienen wie festgeklebt in der Luft zu verharren, ohne auch nur einen Millimeter vorwärts zu kommen. Maria servierte ihnen gerade den Vieruhrtee, während Henry einige Dokumente auf dem Tisch ausbreitete. „Die Inhaberin des Konzerns war Bethany Mc Duff, aber sie starb vor vier Jahren an der bisher kaum bekannten Krankheit... Ich kann das hier nicht aussprechen", begann er und ordnete einige Blätter. Tom musterte das Emblem, gehalten in royalem Blau, auf dem drei filigrane Wasserlinien zu sehen waren. „Sie hat jedenfalls alles ihrem ältesten Sohn Brian Mc Duff überschrieben, sie selbst hatte es ebenfalls von ihrem Vater nach dessen Tod vererbt bekommen." Nun lehnte sich Tom ein Stück zu Henry hinüber und las sich den Auszug des Wikipedia-Artikels selbst durch. „Corporis venenum intrinsecuus... Davon habe ich auch noch nie gehört", stellte er mit zusammengezogenen Augenbrauen fest. Das musste diese ominöse Krankheit sein, von der Tülay immer gesprochen hatte und gegen welche es ein Heilmittel zu finden galt. „Heißt das nicht so viel wie ‚der Körper vergiftet sich selbst'?", fragte er und hob fragend den Blick, doch Henry hielt nur abwehrend die Hände in die Höhe. „Ich bin nicht derjenige, der Medizin studiert hat", meinte er bloß und setzte sich dann seine Lesebrille auf die Nase. „Jedenfalls ist dieser Brian Mc Duff Neurochirurg und auf seinem Fachgebiet ziemlich berühmt. Hat schon einige Preise für seine Forschung gewonnen, seine Mutter aber ist trotzdem der Krankheit erlegen. Seitdem haben sich die Forschungskosten scheinbar verdreifacht." Eine Pause folgte, in welcher Henry vorsichtig an seinem Tee nippte und Tom wie hypnotisiert auf den Ausdruck schaute, die brühend heiße Flüssigkeit in seiner eigenen Tasse bewusst meidend. Er hatte im Moment nicht die geringste Lust darauf, noch weitere Brandblasen davonzutragen. „Wofür geben die plötzlich so viel Geld aus?", murmelte er halblaut und schüttelte langsam den Kopf. Henry zuckte bloß mit den Schultern. „Das steht hier nicht. Die gesamten Forschungsarbeiten stehen unter Verschluss. Sie müssen wohl schon dort arbeiten, um das zu erfahren", meinte er und warf seinem Arbeitgeber einen vielsagenden Blick zu. Tom trommelte mit seinen Fingern auf der Tischplatte herum. „Aber steht denn da gar nichts über ihr Sortiment? Was produziert die... die... wie heißt die Organisation überhaupt?", warf er dazwischen und griff sich ein weiteres Dokument. Auch Henry überflog die Zeilen seines eigenen Papierbogens und wurde als erster fündig. „Ah, da haben wir es ja. Das Unternehmen heißt L.A.U.B.-Pharmaceutics", meinte Henry ein wenig triumphierend und rückte sich die Lesebrille auf der Nase zurecht. „Von der LAUB AG werden vor allem Impfstoffe gegen die gängigsten Kinderkrankheiten und Hauterkrankungen hergestellt. Vor einigen Jahren haben sie einen recht großen Erfolg verzeichnet im Hinblick auf die Krebsforschung, die Öffentlichkeit hat sogar einige Zeit lang ziemlich intensiv über sie berichtet. Aber in den letzten Jahren hat man nicht mehr viel von ihnen gehört." Henry blätterte weiter in seinen Unterlagen. „Es sieht fast so aus, als stünde das Unternehmen kurz vor dem Bankrott", murmelte er. Tom starrte beharrlich auf die Tischplatte. Eigentlich war es ihm ja egal, was aus diesem Unternehmen wurde, was ihn wirklich beschäftigte, war, dass er ununterbrochen an Fé denken musste und dass ihn genau das unendlich schmerzte. Nun, da ihm der Alkohol verwehrt und die meisten Medikamente aus seinem ganz persönlichen Vorrat unter Marias wachsamem Blick unantastbar waren, kamen ihm die Tage vor wie ein endloses Spießrutenlaufen. Die Nächte hingegen waren noch um das Tausendfache schlimmer. Sie erschienen ihm wie sein nach außen gestülptes Innerstes: Ein unendliches, pechschwarzes Loch, das ihn gefangen hielt und aus dem er nicht entfliehen, sich weder wegdenken noch gegen welches er sich auflehnen konnte. Es war, als verschluckten ihn die Nächte. Und in dieser endlosen Schwärze tauchte immer Fés Gesicht auf mit den dunklen, traurigen Augen, aus denen jeglicher Glanz gewichen war. Blass und unglücklich schaute es zu ihm herab und die Dunkelheit um ihn herum wurde dann noch dunkler und undurchdringbarer, fast schon greifbar. Aber das konnte er Henry nicht sagen. Deshalb nickte er bloß und tat so, als ob es das Interessanteste war, das er seit Tagen gehört hatte. 

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Oh maaaaan, am liebsten würde ich euch mit tausend Dingen Spoilern... 


Mermaid SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt