Sie suchte lange, bis sie endlich das umgedrehte Boot an der Wasseroberfläche treiben sah. Doch kein Tom war in Sicht. Die Schmerzen in ihrem Bauchbereich wurden immer heftiger und waren beinahe nicht mehr auszuhalten. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Aber was sie viel mehr beunruhigte, war die Tatsache, dass von Tom jegliche Spur fehlte. Trotz des gefährlichen Knackens in ihrer Seite tauchte Adara wieder unter Wasser. Ihr hatte sich ein schrecklicher Verdacht aufgetan. Wenn Tom nicht über Wasser war, dann vielleicht darunter. Und dann musste sie sich beeilen. Mit peitschenden Flossenschlägen schwamm sie zurück, tauchte fast senkrecht gen unten, dem Meeresboden entgegen und entdeckte tatsächlich bald eine seltsam ausschauende Konstellation. Ein Mensch, an ein stramm gespanntes Seil gebunden, der leblose Körper geisterhaft im trüben Wasser treibend mit Haut so blass wie Seidenpapier. Sie erschrak so sehr bei diesem Anblick, dass ihr Herz für einige Schläge aussetzte, während sie sich beeilte, zu ihm zu kommen. Eilig umfasste sie sein Gesicht, drückte ihre Lippen auf seine kalten, kreideweißen und presste einen Schwall Luft in seine Lungen. Immer wieder wiederholte sie diese Prozedur, doch noch immer kam kein Lebenszeichen von Tom, der noch immer vor ihr trieb wie ein Stück Schwemmholz. „Nein", keuchte sie entsetzt. Dann fing sie an, mit ihrer Schwanzflosse auf das Seil, das Tom am Meeresgrund festnagelte einzudreschen. Immer wieder, bis ihre Schuppen wund und das Seil fast durchgerissen war. Dazwischen füllte sie Toms Luftgänge immer wieder mit ihrem Atem, in der Hoffnung, ihn so womöglich wieder ins Leben zu rufen – auch wenn sie selbst innerlich schon längst die Hoffnung aufgegeben hatte. Mit einem letzten Schlag riss es komplett durch und Tom war frei. Fé verlor keine Zeit und packte ihn unter den Achseln, um ihn der Wasseroberfläche näher zu bringen. Bei jeder Bewegung stand sie Höllenqualen durch. Ihr ganzer Oberköper schien in jeder Sekunde auseinanderbrechen zu wollen und bei jedem Flossenschlag brannte das Wasser unerträglich in den frischen Wunden, die das Seil ihr zugefügt hatte. Nach einer schieren Ewigkeit erreichten sie endlich die Wasseroberfläche und wieder unternahm Adara eine erneute Rettungsmaßnahme, doch selbst an der Luft regte sich Tom noch immer nicht. „Nein. Bitte nicht", wimmerte sie verzweifelt und spürte, wie erste Tränen sich ihren Weg über ihr Gesicht bahnten. Mit letzter Kraft schleppte sie Toms leblosen Körper zur Küste zurück und verbot sich selbst, neben ihn in den Sand zu sinken. Vor ihren Augen drehte sich alles und Adara hätte sich am liebsten übergeben, so über war ihr und so sehr schmerzte jeder Knochen ihres Körpers, doch sie zwang sich zur Ruhe. Immer wieder beatmete sie Tom, sah wie sich sein Brustkorb hob und wieder senkte, sobald sie Mund und Nase wieder los ließ. Sie horchte an seiner Brust, konnte aber keinen Herzschlag hören. Auch an seinen Pulsadern fand sie nichts. Kein Atem. Kein Herzschlag. Kein Flackern der Augenlider. „Nein, nein, nein...", wisperte sie und spürte, wie sich ihr Gesicht in Schmerz verzerrte. Vor ihren Augen wurde langsam alles immer dunkler und trotz ihres Widerstandes konnte sie die Ohnmacht nicht weiter von sich fernhalten. „Nein. Bitte, Gott! Bitte nicht", wisperte sie noch, doch dann schlug ihr Kopf auch schon hart auf dem nassen Sand auf. Adara spürte nichts mehr. Weder wie die eisig kalten Wellen ihren Körper sanft umspielten wie zur Wiedergutmachung, noch wie die Sonne golden und warm auf sie herunterschien und schon gar nicht wie der Wind die Richtung wechselte und zu kaum mehr als einer spätsommerlichen Brise wurde.
Mürrisch starrte er zum Fenster hinaus. Der Himmel hatte sich in den letzten Minuten geklärt wie die Unterwäscheabteilung der Damen beim Winterschlussverkauf. Wo zuvor noch stürmisch und unberechenbar anmutende Wolkentürme ineinander übergegangen waren, strahlte nun unschuldig der blaue Himmel. Was das wohl zu bedeuten hatte? Er runzelte die Stirn. Ob Nemico es wohl endlich geschafft hatte, die See unter seine Kontrolle zu bringen? Er hatte ja ziemliche Startschwierigkeiten gehabt. Auch das Meer hatte sich – wie durch eine plötzliche Meinungsänderung erfasst – vom hohen, aggressiven Wellengang zu einer beinahe spiegelglatten Oberfläche gewandelt. Vorsichtig schlürfte er an seinem Kaffee. So mochte er ihn am liebsten, mit viel Milch und noch mehr Zucker. Und einem ordentlichen Schluck Scotch. Dass sich sein Schnauzer bei dem Unterfangen ebenfalls mit dem Gebräu vollsog, nahm er in Kauf, war jedoch darauf bedacht, dass nichts auf sein Hemd tropfte. Wenn er Glück hatte, war auch bald dieser hartnäckige Schönling Thomas Right aus dem Weg geschafft. Er hatte den dummen Jungen schon mehrmals dabei beobachtet, wie dieser mit einem kleinen Boot hinaus in die tobende See gefahren war. Die Klippen verliehen ihm dabei einen wesentlichen Vorteil, denn aus dieser Höhe konnte man auch aus weiter Entfernung noch vieles sehen. Zu seinem Leidwesen aber immer heil wieder zurückgekehrt war. Ab und an hatte er es auch durch das Buschtelefon erfahren. Ein Fischer hatte das Nussschalenartige Schiffchen schon mehrere Male gesehen und diese Information auf den Markt getragen, von wo sie über die Poststelle und einige Tratschtanten schließlich im Ortscafé gelandet und irgendwann dann schließlich bei ihm angekommen war. Nur eines war ihm rätselhaft: warum zur Hölle fuhr ein einzelner bei höchster Gefahrenstufe freiwillig aufs Meer hinaus? Es ließ ihn schmunzeln. Das alles war einfach viel zu banal. Da war glich sein Haus von außen einem einbruchsicheren Hochsicherheitstrakt mit dutzenden Wachposten und das einzige, was er tat, war auszubrechen. Dieser nichtsnutzige Right-Erbe, der nun zu seiner persönlichen Belustigung tatsächlich von allen Seiten her beschuldigt wurde, seine eigene Familie auf dem Gewissen zu haben, schien doch tatsächlich zu glauben, dass eine Horde Männer, die den „Security" auf dem Rücken trugen, seine Sicherheit gewährleisten könnten. Wie töricht. Er schüttelte schmunzeln den Kopf. Irgendeinen Weg würde er schon finden. Beim ersten Mal hatte er es schließlich auch geschafft. Obwohl, eigentlich war es schon das zweite Mal gewesen. Thomas Reginald Right erwies sich allerdings als um einiges schwieriger zu beseitigen als seine Verwandten, überlebte er doch bisher jeden Versuch, sich seines Lebens zu entledigen. Ihm musste nun bald eine neue Methode einfallen, denn die Idee ein Bombenattentat mit veralteten und reparaturbedürftigen Gasleitungen als Unfall zu tarnen, nutzte sich so langsam aber sicher ab. Außerdem hatte sein Opfer Verdacht geschöpft. Wenn er so daran dachte, war er froh darum, dass es hier so einfach gewesen war, ihm den einfachen Weg zu öffnen. Hier waren alle Türen und Wege auf direktem Weg mit Geldautomaten verbunden. Jede Stelle, jede einzelne Instanz war bestechlich und so war selbst die Polizei recht schnell davon zu überzeugen gewesen, dass es sich bei dem Vorfall vor einem Jahr lediglich um einen bedauernswerten Unfall gehandelt hatte. Dass er dabei anonym geblieben war, verbesserte seine Lage noch um einiges mehr. Es gab keine Verbindung zu ihm. Niemand würde je hinter die waren Gründe dieser als seltsam zu bezeichnenden Ereignisse kommen. Dabei war es so einfach, so trivial. Doch wer würde ihn denn je verdächtigen? Und wer – wenn nicht Adara, dieses kleine Fischgör – könnte je die Verbindung zu Nemico herstellen? Und wenn Fortuna auch hier auf seiner Seite war, dann gab es schon keine Adara mehr, um die er sich sorgen musste. Es war ihm sofort schwedisch vorgekommen, dass diese mysteriöse neue Freundin des Millionenerben genauso schnell wieder verschwunden war, wie sie zuvor aufgetaucht war. In den Medien hatten man über das Gerichtsverfahren berichtet. Angeblich war sie zur Zeit in Indien. Wer's glaubte. Er nahm einen weiteren Schluck aus der großen Tasse. Die Zeit würde schon zeigen, was zu tun war. Er durfte nur nicht allzu schnell vorgehen. Und außerdem würde er endlich die Chance nutzen und einen Gefallen bei Nemico einlösen.
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Mermaid Summer
FantasyTom's Unglück begann vor etwa einem Jahr, als er zusehen musste, wie seine Familie in einem schrecklichen Brand ums Leben kam. Als einziger Überlebender schlägt er sich mit heftigen Depressionen und Albträumen herum und kann einfach nicht glauben, d...