Blicke ruhten auf ihr und noch bevor sie ihre eigenen Augen öffnete, begann sich der Raum um sie herum wieder zu drehen. "Tom", krächzte sie. Ihre Kehle war so unglaublich trocken und es fiel ihr schwer zu sprechen. "Master Thomas ist zurzeit nicht da", erwiderte eine tiefe Männerstimme und Fé schrak zusammen. Mit einem Satz war sie auf den Beinen und taumelte fort, noch bevor sie überhaupt realisiert hatte, dass sie sich nicht mehr im Haus auf den Klippen befand. Ihr Magen begann auch sofort zu rebellieren, ihr Kopf stieg mit ein und liess sie unsicher schwanken. Sie schaffte es kaum, sich auf den Füssen zu halten, aber nur ein einziger Gedanke drehte sich in ihrem Kopf. Sie musste raus. Weg von hier, fort von diesen Menschen. "Miss! Sie können noch nicht...", erklang auf einmal der entsetzte Ausruf einer Frau von der anderen Seite des Raumes her. Einen Augenblick später kam tatsächlich eine Frau bitte fünfzig auf sie zugeeilt. Ihr schwarzes Arbeitsgewand mit der weissen Schürze spannte sich bedrohlich über ihrem üppigen Busen. Einen Moment später brach unter Adara der Boden weg und sie fiel hart gegen die kalte Steinwand. "Miss!", rief die Dame bestürzt und bückte sich zu ihr herunter. Adara drückte sich verängstigt von ihr fort, kam jedoch nicht weit, das sie von der Wand in ihrem Rücken aufgehalten wurde. "Kommen Sie, Miss, Sie müssen sich wieder hinlegen. Es ist nicht gut für Sie, gleich wieder herumzulaufen, kommen Sie." Sie fasste nach Araras Arm, die jedoch auswich und die Frau aus verschreckten, weit aufgerissenen Augen heraus anstarrte. "Miss? Ist etwas nicht in Ordnung?", fragte Maria nun selbst verunsichert und ängstlich. Adara erwiderte nichts darauf. Sie schaute die Frau nur lange an. Ihre Haut war viel dunkler als ihre eigene, schon fast dunkelbraun. Die Augen waren gross und schwarz wie die eines Kugelfisches, die Nase breit und die Nasenflügel bebten bei jedem Atemzug. Adara konnte in den Augen dieser Frau sehen, was sie immer sehen konnte. Sie blickte auf direktem Wege in die Gefühlswelt der Menschen. Und wie zuvor schon bei Tom fand sie hier verwunderlicher Weise keinen Hass und keine List. "Kommen Sie, Miss", insistierte sie und griff schliesslich doch nach Araras Arm. Mit Marias Hilfe kam sie schliesslich zitternd wieder auf die Beine. Ihr Blick glitt hastig durch den Raum, musterte den weissen Marmorfussboden und blieb schliesslich feindselig auf Henry dem Butler ruhen. Dieser hielt still und sprach kein Wort, blinzelte noch nicht einmal. Seine Augen waren kalt und schienen Adara noch nicht einmal wirklich anzuschauen. Gestützt von Maria gelangte Fé wieder zurück zur cremefarbenen Couch und liess sich in die vielen Kissen zurücksinken. "Master Thomas duscht im oberen Stockwerk", informierte sie der Mann, der noch immer wie angewurzelt neben der Couch stand. Adara schaute ihn unsicher an. Hatte er mit ihr gesprochen? Doch sie antwortete ihm nicht. Sie würde warten, bis Tom wiederkam und die Situation aufklärte. Aber was sollte das? Hatte er ihr nicht versprochen, sie jederzeit wieder gehen zu lassen? Weshalb hatte er sie dann hierher gebracht? Weshalb hatte er sie entführt? Und vor allem: Weshalb hatte er ihr diese Wachhunde von Menschen zur Seite gestellt? Erschrocken bemerkte sie, dass die ältere Frau sie erwartungsvoll ansah und Panik drohte, in ihr hochzusteigen, wenn ebendiese Frau nicht genau im selben Moment freundlich gelächelt hätte. "Ob ich Ihnen etwas bringen darf, Miss", wiederholte sie ihre anfängliche Frage, doch Adara schüttelte nur scheu den Kopf. "Oh gut, sie ist wieder aufgewacht!", erklang in diesem Moment die Stimme einer weiteren Person und Adara fuhr erschrocken herum. Eine Frau betrat den Raum, ebenfalls in die schwarze, knielange Arbeitskleidung gehüllt, jedoch um einige Jährchen jünger als Maria und auch um ein paar Kleidergrössen schlanker. Ihr angegrauter, blonder Schopf glänzte im Licht und Adara fragte sich, wie sie es nur aushalten konnte, ihr Haar so streng nach hinten gebunden tragen zu können. "Ida!", fuhr Maria die Frau bestürzt an und deutete mit einem strafenden Blick an Ida gewandt auf Adara, die auf der Couch hockte und wieder vom Fluchtinstinkt getrieben wurde. "Oh, verzeiht bitte, Miss", meinte sie sofort und deutete einen hastigen Knicks an. "Dann kann ich die hier wieder verräumen?", fragte sie in die Runde und packte sich den Stapel Handtücher. Keiner antwortete und so verschwand sie wieder durch die eine Tür, durch welche sie eben schon gekommen war. Adara blieb verblüfft zurück. Die Menschen waren schon ein äusserst merkwürdiges Volk. Ihr war noch immer schlecht. Aber die Übelkeit war weitaus nicht mehr so schlimm wie zuvor im andern Haus. Jetzt war es schon beinahe erträglich. Sie schaute sich nun zum ersten Mal so richtig im Raum um. Neben der Couch stand ein grosser, ovaler Glastisch, dahinter ein weiteres und ebenfalls cremefarbenes Sofa. Ausserdem fanden in dem Raum noch ein dunkle Esstisch mit zehn Stühlen, ein schneeweisser Flügel und ein grosser Kamin Platz. Es gab zwei Ausgänge. Der eine gab die Sicht auf eine Art Vorhalle frei, in die Adara nur einen Seitenblick hineinwerfen konnte, der andere führte ins Ungewisse. Diese Ida war vorhin dorthin entschwunden. Mehr wusste Adara nicht. Auf einmal ertönten Schritte und jemand kam eine Treppe hinunter. Adara hielt den Atem an und hoffte, dass nicht noch mehr Menschen hier aufkreuzen würden. Sie hatte für diesen Tag schon genügend Angstschübe gehabt. Und im selben Moment überlegte sie sich, ob es wohl vielleicht doch nicht eine so gute Idee gewesen war, dass sie zugestimmt hatte, Tom auf den Sommernachtsball zu begleiten. Einen Augenblick später erschien der junge Mann im Türrahmen und blieb für den Bruchteil einer Sekunden verblüfft stehen, als er sie auf der Couch sitzend und von seinem Personal umstellt vorfand. Sein Haar tropfte, als er auf sie zukam. "Fé, du bist wach", sagte er nur und in seinem Blick lag Erleichterung. "Meine Herrschaften, so lasst der jungen Frau doch bitte wenigstens die Luft zum Atmen", fuhr er an die beiden Angestellten gewandt fort, hielt dann aber kurz inne und warf Adara einen kurzen Blick zu. "Fé, das sind Maria und Henry, sie arbeiten für mich", erklärte er, liess sie dabei jedoch nicht aus den Augen. "Fé ist unser Gast, bitte behandelt sie dementsprechend", fügte er leiser hinzu. War das Fürsorge in seinem Blick? "Jawohl, Master Thomas", erwiderte der Butler noch immer so kalt und unberechenbar wie zuvor.
DU LIEST GERADE
Mermaid Summer
FantasíaTom's Unglück begann vor etwa einem Jahr, als er zusehen musste, wie seine Familie in einem schrecklichen Brand ums Leben kam. Als einziger Überlebender schlägt er sich mit heftigen Depressionen und Albträumen herum und kann einfach nicht glauben, d...