83. Er rief nach den Göttern und bekam... Marlene

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Yeeeaaayy ein neuer Teil! :D Und sogar mit einem kleinen Artspecial ;) hab ich selbst gemacht mit Buntstiften, ich hoffe nur, ihr könnt es sehen...

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Es tat ihm im Herzen weh, wieder hier zu stehen. Im nassen Sand in der kleinen Bucht unterhalb der senkrechten, strahlend weißen Klippen, von denen sich seine Große Liebe in den Abgrund gestürzt hatte. „Marlene!", rief er erneut über das Rauschen der herbstlichen Wellen hinweg. Der aufbrausende Wind trug den Klang seiner Stimme noch einige hundert Meter weit hinaus aufs Meer, bis er schließlich verebbte wie die schäumende Gischt zu seinen Füssen. Die Wellen waren hoch zu dieser Jahreszeit, aber er würde nicht denselben Fehler wiederholen und in seiner Verzweiflung hinausfahren in die stürmische See – obwohl er es liebend gern dennoch getan hätte. Das einzige, was ihn davon abhielt, war die Gewissheit, dass er sich Adara dort draußen auch nicht näher fühlte. Er hatte es schließlich schon einmal versucht, wäre dabei fast ertrunken und würde das schreckliche Gefühl der absoluten Hilflosigkeit nie wieder vergessen. Es war wieder wie damals, als er nur so durch die Tage geschwankt war, unfähig, sich in dieser ihm plötzlich so fremden Welt zurechtzufinden. Er hatte damals wie auch jetzt so schmerzlich zu spüren bekommen, dass sich sein Leben allein um die Menschen in seiner Umgebung – seine Familie und nun auch Adara – gedreht hatte. Ohne sie war er verloren. Ein vertrocknetes Blatt im Wind, ein Nichts und niemand. „Marlene!" Er hatte zu zählen aufgehört und schrie den Namen dennoch unablässig in den Wind. Henry und Maria waren im Haus geblieben und schauten ihm wahrscheinlich aus sicherer Entfernung zu, vielleicht gingen sie auch sonst irgendwelchen Arbeiten nach, er wusste es nicht und eigentlich war es ihm auch egal. Er schaute hinauf in den wolkenbehangenen Himmel und schickte ein Stoßgebet an den Allmächtigen. Viel lieber als Marlene hätte er Fé's Namen gerufen. Es war einfach nicht gerecht, dass ihm nach allem auch noch die Liebe verwehrt wurde. Er verstand es einfach nicht. „Was habe ich nur getan, dass du mich so sehr hasst?", flüsterte er und schaute noch immer zu den luftigen Höhen hinauf, ließ es zu, dass der Wind mit seinem Haar spielte und atmete die schwere, nach salz riechende Luft ein und wieder aus. Tiefe Atemzüge füllten seine Lungen mit dem Duft der Küste und des Meeres, dem Aroma, welches ihn seit seinen frühesten Tagen immer begleitet hatte. Hier war er Zuhause, obwohl ihm dazu noch eine sehr wichtige Person fehlte. Nämlich Fé. Ohne sie war einfach nichts perfekt, sie war wie der letzte Splitter, den man brauchte, um eine in Brüche gegangene Vase wieder zu leimen und ohne den es einfach nie wieder so sein würde, wie es einmal war. „Oh, das sieht ja schmerzhaft aus!", erklang plötzlich eine Stimme und Tom richtete seinen Blick wieder auf die anrollenden Fluten, aus denen nun Marlenes Kopf guckte. Perplex stand Tom da und starrte die Meerjungfrau an. Sie war tatsächlich gekommen. Er konnte es kaum glauben. Jedenfalls hatte schon beinahe nicht mehr damit gerechnet. Dass sie aber nicht näher heran schwamm, verwunderte ihn nicht wirklich. Marlene hielt in der Tat einen gehörigen Sicherheitsabstand. „Hallo Marlene", keuchte Tom und besann sich dann seiner Worte. Er wollte sie wiederholen, lauter diesmal, um das Meer zu übertönen, doch Marlene schien ihn verstanden zu haben. Erstaunt stellte er fest, dass das Rauschen der Wellen so gut wie verstummt war. Verwirrt musterte er Adaras Schwester. „Du hast mich gerufen, jetzt sprich auch endlich!", verlangte Marlene ungeduldig und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. „Ich... ich... Wie geht es Adara?", presste Tom mühsam hervor, unschlüssig darüber, wo er beginnen sollte, und spürte nur allzu gut den altbekannten Klos in seiner Kehle, der ihn am Sprechen hinderte. Marlenes harte Züge schmolzen auf einmal dahin wie flüssiges Wachs. Doch sie fing sich wieder, noch bevor sich Tom ganz sicher war, ob er dies tatsächlich gesehen hatte. „Ihr geht es gut", behauptete sie und fand ihre angestammte Härte wieder. In Toms Brust zerbrach in diesem Moment aber etwas. Er tat einen tiefen Atemzug, sog die Luft scharf ein und bezwang die aufsteigenden Tränen. „Tatsächlich", antwortete er mit zittriger Stimme. Kurz war e so still in der Bucht, dass man nur eine weit entfernte Möwe kreischen hörte. Tom kämpfte die Tränen nieder. „Mir geht es nämlich beschissen." Marlene biss sich auf die Lippen. Offensichtlich hatte sie nicht gerade mit so viel Offenheit gerechnet. Sie ließ ihre Arme sinken und kam einige Meter auf ihn zu geschwommen, ihn aber immerzu argwöhnisch beobachtend. Tom setzte sich in den nassen Sand und legte seine Oberarme auf seine Knie. Auch er musterte Marlene aufmerksam. Bei ihrer letzten Begegnung hatte er eine ordentliche Platzwunde davongetragen, die sicher hätte genäht werden müssen, wenn Adara sie nicht versorgt hätte. Adara. Sein Herz bekam einen erneuten Stich versetzt. „Nein, ihr geht es auch nicht gut", gestand Marle plötzlich. „Natürlich vermisst sie... sie vermisst das Ufer", sagte sie fast schon diplomatisch und rang sichtlich um Fassung. „Und dich", fügte sie gezwungenermaßen hinzu, was Tom schon fast nicht mehr geglaubt hätte. „Dich vermisst sie natürlich auch. Vielleicht sogar am meisten von allem." Ein zaghaftes Lächeln umspielte kurz Toms Mundwinkel, als er diese Worte hörte, aber es gelangte nicht bis in seine von der Trauer beherrschten Augen. „Wie macht sie sich als Königin?", fragte er weiter und versuchte sich an einem möglichst normalen Gesprächston, obwohl es ihn innerlich fast zerriss, über seine große Liebe zu sprechen als handle es sich dabei um etwas so Belangloses wie das Wetter und auch Marlene schien es ähnlich zu gehen. Ihre Miene wurde wieder ernster. Tom war sich nicht sicher, ob sie überlegte, ob und was sie ihm darauf antworten sollte, oder ob sie ihm lieber an die Kehle springen oder gar wieder im Wasser verschwinden wollte. „Ganz ehrlich? Sie macht was sie will, beziehungsweise alles Andere, als das, was sie eigentlich tun sollte, in ihrer Position. Sie verkriecht sich den ganzen Tag über in der Bibliothek und beleidigt die Ratsmitglieder bei jeder Gelegenheit. Und das Schlimmste ist, dass sie sich sogar...", brach es aus ihr heraus wie aus einem übervollen Fass, das nun in tausend Einzelteile zersprungen war. In letzter Sekunde und mit einem ordentlichen Schrecken konnte sie sich allerdings selbst davon abhalten, weiterzureden und das Orakel zu erwähnen. Das hätte gerade noch gefehlt Es mochte ja sein, dass ihre Schwester sie zu dieser Art Strafdienst verdonnert hatte, aber deswegen musste sie noch lange nicht zur Gesetzesbrecherin werden. Es genügte, wenn eine Cahaya das fertiggebracht hatte. Wieder zuckten Toms Mundwinkel. „Weißt du eigentlich, wie ähnlich ihr euch seid?, fragte er unvermittelt und ließ seinen Blick dann in die Ferne gleiten. Marlene runzelte verwirrt die Stirn. „Nun ja, ihr verstummt beide jedes Mal, wenn es um das Orakel geht", fuhr Tom leichtfertig fort, woraufhin Marlene nach Luft schnappte. Ihre Augen weiteten sich und irgendwo ganz hinten in ihrem Kopf stieg in diesem Moment so etwas wie Panik empor. „Woher...", presste sie hervor, konnte sich die Antwort jedoch denken. „Adara", sagten sie und Tom synchron. Aber Tom redete nicht weiter. Er sah in ihren Augen auch nicht wie jemand aus, der sich aus diesem Wissen irgendeinen Nutzen versprach – jedenfalls soweit sie das beurteilen konnte. Wäre sie an seiner Stelle gewesen, hätte sie die Gelegenheit wohl schon längst beim Schopf gepackt, dachte sie bei sich. Aber Tom schien tatsächlich anders zu sein. Vielleicht hatte ihre Schwester recht gehabt, schoss es durch ihre Gedanken, aber sie verdrängte diesen Satz vehement. Tom war ein Mensch und alle Menschen stellten eine Gefahr für sie dar. Restlos. Marlene seufzte. „Irgendwie verstehe ich sie ja. Ich würde, glaube ich zumindest, ähnlich reagieren, wenn ich wie eine Gefangene im Palast festgehalten werden würde." Tom stutzte. „Wie eine Gefangene?", hakte er nach. Es gefiel ihm gar nicht, das zu hören. „Nun ja, wie eine Königin, mit allen Freiheiten bis auf jene, den Palast zu verlassen. Befehl von ganz oben und unüberwindbar." Marlene verstummte kurz und wandte ihren Blick ab, da sie sich auf einmal schuldig fühlte. „Das Orakel", murrte Tom wütend. Schuldig fühlte sie sich tatsächlich auf eine Weise für das Unglück, das über ihre Schwester gekommen war und eigentlich schien dieser  Mensch doch nicht ganz so schlimm zu sein, wie sie bisher gedacht hatte. Er wusste lediglich ein bisschen zu viel, aber das konnte ja korrigiert werden. Mit ein bisschen Gesang. „Sag ihr bitte, ich vermisse sie", bat Tom plötzlich und suchte ihren Blick wieder. Marlene schluckte. Es wäre ihrer Sache ja eigentlich nur dienlich, wenn sich der Mensch an nichts mehr erinnerte, aber andererseits würde Adara sie auf ewig hassen. „Warum hast du eigentlich so lange auf dich warten lassen, wenn du sie so sehr vermisst?", wollte sie wissen und stemmte ihre Hände in die Hüften, was Tom ein bisschen an eine besonders strenge Lehrerin aus seiner Grundschulzeit erinnerte. Er hob langsam seinen Kopf und schaute der Meerjungfrau auffordernd ins Gesicht. „Weil ich nicht wusste, ob ich stark genug gewesen wäre, das hier", er deutete um sich und schluckte hart „zu tun. Außerdem waren die Blasen", nun zeigte er nur noch in sein Gesicht „bis vor ein paar Tagen so schlimm gewesen, dass ich es dir nicht zumuten wollte." Er seufzte. Marlene seufzte ebenfalls und rollte mit den Augen. „Na los, Adara würde mich vierteilen lassen, wenn ich dich hier entstellt wie das große Tiefseemonster zurücklassen würde", meinte sie und streckte ihm ihre Hände entgegen, die begannen, in sanften Goldtönen zu schimmern. Weder sie selbst noch Tom konnten recht glauben, was sie da gesagt und dass sie es überhaupt getan hatte. Tom zögerte kurz, erhob sich dann aber von dem nasskalten, nachgebenden Boden und stieg zu Marlene ins Wasser, ohne sich ganz sicher zu sein, ob sie ihm nun tatsächlich helfen wollte oder ihn doch eher ertränken würde. Doch sie hielt ihr Wort und ließ die schmerzhaften Brandblasen verschwinden. Das allzu bekannte Brennen unter der Hitze ihrer Handflächen durchströmte sein Gesicht, ein nicht sehr angenehmes Unterfangen. Aber kaum war der erste Schmerz abgeklungen, spürte Tom, wie angenehme Kühle zurückblieb. „Danke, Marlene", hauchte er und befühlte das Resultat ihrer Arbeit, während die Meerjungfrau so schnell wie möglich wieder so viel Platz wie möglich zwischen sich und Tom brachte und sich einen Moment später kurz und knapp von ihm verabschiedete. Tom spürte nur allzu deutlich, dass ihr seine nicht geheuer war. Umso dankbarer war er ihr, dass sie ihn denn in ihre Nähe gelassen hatte und vor allem dass sie sich seiner schrecklichen Brandblasen entledigt hatte. „Sag ihr, dass ich sie liebe!", rief er Marlene nach und wurde kurz darauf von einer großen Woge unter Wasser gedrückt. Er hatte das Meer schon beinahe vergessen gehabt, weswegen die Überraschung über die nun wieder über ihn hereinfallenden Wellen umso größer war. Das Rauschen des Meeres war zurück, ebenso die anrollenden Wassermassen und Tom hatte, obwohl er kaum bis zur Hüfte im Wasser stand, erhebliche Mühe, wieder aus dem kalten Nass heraus zu kommen. Erst hatte er es nicht wirklich glauben wollen, doch nun stand für ihn fest: Marlene hatte einen erheblichen Einfluss auf das Wasser. Unweigerlich musste er an den Tag zurückdenken, an dem Adara die Wasserleitungen in seinem Haus hatte platzen lassen – und ihm damit ganz nebenbei das Leben gerettet hatte. Als er sich endlich aus den Wellen gekämpft hatte und triefend und vor Kälte schlotternd wieder am Strand kniete, ließ er seinen Blick erneut über die Weiten des Ozeans gleiten. Es war, als wäre sie nie hier gewesen. Bei diesem Gedanken fragte Tom sich selbst, ob er damit Marlene oder vielleicht doch eher Adara gemeint hatte. Enttäuscht seufzte er und fuhr sich durch die tropfend nassen Haare.

Mermaid SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt