Sein Herz begann wie wild zu pochen, sodass er kurzfürchtete, es würde ihm bald aus der Brust springen. Er konnte auf einmal hören, wie sei Blut in seinen Ohren rauschte, wie es in seinen Zehen pulsierte. Er kam Fé immer näher. Sie rührte sich nicht, machte keinen Wank, hatte ihre Augen noch immer geschlossen. Er würde sie jetzt küssen. Seine Gedanken rasten wie von einem Tornado mitgerissene Blätter orientierungslos durch seinen Kopf, was das Denken nicht nur schwer sondern schier unmöglich machte. Fé's Geruch stieg ihm in die Nase, eine Wohltat für Leib und Seele, ein Bouquet aus süßen und würzigen Duftnoten, die mit dem immer präsenten Salzgeruch verschmolzen.
Und dann tat er es. Und seine Lippen begannen sogleich wieder zu brennen, während in seiner Magengrube abertausende Minifeuerwerkskörper gezündet wurden. Ihre Lippen waren weich, warm und schmeckten seltsamerweise nach Holunder. Ihr Körper war auf einmal so unglaublich nah, dass er aus Versehen ihr Knie mit seinem eigenen streifte. Doch was ihn am allermeisten verwunderte, war, dass Fé ihn auch küsste. Und zwar ziemlich leidenschaftlich! Nur am Rande bekam er mit, wie das monotone Klicken der Kamera wieder und wieder ertönte. Für ihn war die ganze Welt um sie herum wie ausgelöscht. Als hätte man einen Liter Tintenkiller über ein Bild gekippt. Alle Farben verschwammen vor seinen halbgeschlossenen Augen, wurden zu groben, ineinander übergehenden Flecken. Seine Hand wanderte zu ihrem Hals, fand ihren Nacken und zog sie sanft enger an sich heran. Es war ein berauschendes Gefühl. Ihr Atem streifte warm seine Wange und ging ebenso stoßweise wie sein eigener. Irgendwann wurden sie fast schon rüde unterbrochen und fuhren auseinander. „Ist gut! Ihr könnt jetzt aufhören, die Bilder sind im Kasten!", rief der Photograph ihnen zu. Wie von der Wespe gestochen machte Fé einen Satz rückwärts und sie beide wagten es kaum mehr, sich anzusehen. Danach war das Shooting beendet, die Leute packten das Material wieder ein, Der Photograph bedankte sich bei Alexander Palmer für die Zusammenarbeit und gemeinsam witzelten sie über die Geschehnisse des Vormittags. Adara wurde wieder hinter den Sichtschutz gezerrt und aus ihrem Kleid befreit. Fast wie zu Beginn fühlte sich Tom wie ein angebundener Hund, den niemand haben wollte, wie ein Paket, dass man zwar bestellt, aber vergessen hatte abzuholen. Etwas verloren stand er am immer magerer werdenden Set und wartete einfach ab. In seinem Oberstübchen wurde der Betrieb nur sehr langsam wieder aufgenommen. Zu sehr hatte ihn dieser Kuss – dieses unglaubliche Ereignis und der definitive Höhepunkt des Tages – aus der Bahn geworfen, ihn wie der Blitz getroffen. Nur fühlte er sich gar nicht so. Seine Füße fühlten sich so federleicht an, dass Tom schon beinahe versucht war zu glauben, dass sie und nicht sein Kopf an der Wasseroberfläche getrieben wären, wenn er es ausprobiert hätte. Auch Fé schien unnatürlich fahrig zu sein, als sie wieder hinter dem Sichtschutz hervortrat, musste noch zweimal zurückkehren, weil sie Hut und Handtasche vergessen hatte und eilte dann schon fast an Tom vorbei ohne ihm in die Augen zu schauen. Auch einige Stunden später, als sie auf dem Weg zum Flughafen waren, herrschte noch diese Stille zwischen ihnen. Tom wurde erst da und reichlich schmerzhaft bewusst, dass sie schon wider beinahe eine Woche „verloren" hatten. Ganze fünf Tage hatten sie in London verbracht. Jetzt bereute er es, dass sie keine Zeit gefunden hatten, um die Stadt zu besichtigen. Adara war die ganze Zeit über mit diesem Alexander unterwegs gewesen und ab Mittwoch hatte Tom die Nase dann voll gehabt, den Aufpasser zu spielen und war im Hotel geblieben. Bei dem Gedanken an Fé, wie sie sich mit diesem Palmer vergnügte, war ihm die Galle sauer aufgestoßen. Nun grinste er bei der Erinnerung. Ja, er grinste. Er grinste, weil er tatsächlich gedacht hatte, ein arroganter, stinkreicher und obendrein sexuell anders orientierter Mann, dessen Haarpracht ganz dezent schon zu schwinden begann, könnte ihm die Frau seines Lebens abspenstig machen. Nicht, dass er selbst mit ihr leiert gewesen wäre, sie hatten sich erst einmal – zweimal, korrigierte er sich in Gedanken – geküsst und so ganz sicher war er sich immer noch nicht, ob Fé seine Gefühle erwiderte. Aber sie hatten sich geküsst und das Gefühl dabei war einfach unbeschreiblich gewesen. Tom grinste auch noch, als er dem Taxifahrer sein Geld überreichte und einen großzügigen Bonus obendrauf legte. Vielleicht war es eben wegen seines Grinsens, vielleicht auch des üppigen Trinkgeldes wegen, aber der Taxifahrer musterte ihn daraufhin nur skeptisch, bedankte sich dann zögerlich und stieg, als sie ein Stück vom Wagen fortwaren, besorgt aus, um die Rückbank genauer zu betrachten. „Ist alles okay mit dir?", fragte ihn Adara, der das breite Grinsen in seinem Gesicht ebenfalls nicht entgangen war. Tom nickte nur zur Antwort. So leicht wie Fé gab sich der Sicherheitsbeamte wenige Minuten später allerdings nicht zufrieden und bestand auf sämtliche Drogentests, die ihm zur Verfügung standen. Doch wie erwartet fielen die allesamt negativ aus. Wie auch sonst? Seine Droge hatte lange blonde Haare und trug den melodischen Namen Adara Faè Cahaya. „Führen Sie irgendwelche Waffen mit sich?", fragte der Mann in der dunklen Uniform plötzlich und riss Tom aus seiner Tagträumerei. „Nein, um Gottes Willen!" Die Prozedur ging noch fast zwanzig Minuten weiter – der Beamte war felsenfest davon überzeugt, bei dem dümmlich Grinsenden irgendwas Illegales zu finden – und endete erst, als jeder Kubikzentimeter seiner Reisetasche doppelt und dreifach durchsucht worden war. Immerhin hatten sie nicht auch noch die Drogenspürhunde auf den Platz gerufen. Ihr Flugzeug erreichten sie dennoch rechtzeitig.
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Mermaid Summer
FantasyTom's Unglück begann vor etwa einem Jahr, als er zusehen musste, wie seine Familie in einem schrecklichen Brand ums Leben kam. Als einziger Überlebender schlägt er sich mit heftigen Depressionen und Albträumen herum und kann einfach nicht glauben, d...