71. Back to Life

725 81 13
                                    


Wie ein Pfeil schoss sie durchs kristallklare Wasser und konnte es kaum glauben, dass sie tatsächlich entwischt war. Und selbst wenn sie bezweifelte, dass die Palastwachen ihr bis hierher gefolgt waren, verlor sie keine Sekunde damit, sich auch nur die Mühe zu machen und sich dessen zu vergewissern. Nein, sie schwamm immer weiter, geradeaus und auf die Küste zu, wie sie es schon am Morgen in umgekehrter Richtung getan hatte. Ihr war bewusst, dass sie gerade dabei war, ihrem Zuhause, ihrer Vergangenheit und ihresgleichen samt allen Traditionen und Gesetzen unwiderruflich den Rücken zu kehren. Doch es machte ihr nichts aus. In einer Welt, in der man sie auf diese schreckliche Art und Weise bestrafen würde, wollte sie nicht leben. Sie legte noch einen Zahn zu und wäre beinahe mit den Felsen der kleinen irischen Bucht zusammengestoßen. Nach Luft schnappend reckte sie ihren Kopf aus dem Wasser, wurde aber sogleich von einer schäumenden Welle erfasst, die sie erneut unter Wasser drückte. Für einen kurzen Moment fühlte es sich tatsächlich an wie zu ertrinken, für einen Sekundenbruchteil. Nur noch wenige dutzend Meter trennten sie von einem Leben ohne Zwänge und Verantwortung, ein Leben, in dem nur eines galt: Ihre Liebe zu dem wundervollsten Mann, den es überhaupt gab. Sie reckte ihren Kopf erneut aus dem Wasser und wollte die Hand zum Gruß heben, doch wie schon zuvor übermannte sie eine anrollende Welle und erstickte ihren Versuch im Keim. Das Meer wollte sie nicht gehen lassen, irgendwo konnte sie es ja verstehen. Aber davon würde sie sich nicht aufhalten lassen. Einige kräftige Flossenschläge später hatte sie den Buchteingang passiert. Das Wasser schien sie regelrecht rückwärts zu ziehen und so kam sie nur schleppend vorwärts. Aber Adara gab nicht auf. Um nichts in der Welt hätte sie ausgerechnet jetzt, so kurz vor ihrem Ziel, resigniert. Über Wasser konnte sie mittlerweile die Schatten der Klippen erkennen. Und da war noch einer, ein kleinerer, menschlicher. Tom, der noch immer am Strand stand, hatte sie ebenfalls erspäht und kam nun taumelnd ins Wasser gelaufen. Die Sonne schien golden und erhaben auf sie herab und tauchte die ganze Welt in freundlich warmes Licht. Nach wenigen Flossenschlägen war Adara bei ihm und noch ehe er sich zu ihr in die kalten, nordatlantischen Fluten werfen konnte, hatte sie ihm schon die Arme um den Hals geworfen. Der Schwung, mit dem sie sich aus dem Wasser drückte, ließ Tom rückwärtsstolpern. Ihre Lippen fanden sich. Es tat so gut, sie wieder bei sich zu haben. Er schloss seine Augen in Dankbarkeit. Seine Hände fanden ihre Taille und zogen sie zu sich. Kurze Zeit später lagen sie atemlos im Sand. „Und?", presste Tom keuchend hervor. Adara schüttelte zur Antwort nur leise den Kopf und scheinbar schien ihm das als Antwort zu genügen. Auf einmal fiel all die Anspannung von ihm ab und er war einfach nur froh, dass Fé wieder da war. Auch dieses schreckliche Gefühl in seiner Brust war wieder verstummt. Nicht einmal sechs Stunden waren sie getrennt gewesen und trotzdem hatte es sich angefühlt wie ganze Jahre. „Ich lasse dich nie wieder gehen", raunte er ihr zu und zog sie noch enger an sich. Er sah den beunruhigten Blick nicht, der sich in ihre Augen stahl, denn viel zu freudig pochte sein Herz über das wiedererlangte Glück. Keine Sekunde zu früh fasste sich Adara wieder. „Wir sollten rein gehen, du erkältest dich noch", flüsterte sie und strich Tom liebevoll den Sand aus der Stirn. Er lachte, bekam ihre Hand zu fassen und küsste ihre Innenseite. Dann spannten sich seine Bauchmuskeln an und er setzte sich auf. Fast schon leichtfüßig trug er sie über den Strand und den schmalen Trampelpfad hinauf zum Haus. „Wer sitzt jetzt eigentlich auf dem Thron?", fragte er fast beiläufig und erklomm die letzten Meter des steilen Weges. „Marlene", wisperte Adara und als er seinen Kopf drehte, fing er ihren Blick auf und sein Herz wollte auf der Stelle schmelzen. Fé betrachtete ihn mit dermaßen viel Liebe in ihren Augen, als hätte sie in ihrem Leben nichts Schöneres als ihn gesehen. Er konnte in diesem Moment einfach nicht anders, als seine Lippen auf ihre zu senken. Auch wenn eben in diesem Moment genau das passierte, was er eigentlich hatte verhindern wollen und er über ein Büschel hohes Gras stolperte. Adaras schimmernde Schwanzflosse entglitt seinem Griff schneller als er schauen konnte und fiel ihm vor die Füße. Nun kam er definitiv ins Straucheln und fühlte gerade noch, wie sich Fé in seinem T-Shirt verkrallte. Was dann passierte, hätte ebenso gut eine Showeinlage in einem Zirkus ersetzen können. Tom verlor das Gleichgewicht und fiel nach vorne, während Adara senkrecht nach unten stürzte und seinen Fall somit in eine halbe Sprungrolle verwandelte, da sie ihn am Kragen mit sich riss. Es klang, als hätte man in der Fischfabrik ein besonders großes Exemplar aus dem Behälter geholt und es achtlos auf den Boden geworfen. Oder so ähnlich. Jedenfalls klatschte die silberne Schwanzflosse ordentlich auf dem Boden auf und Adara entfuhr ein schmerzliches „Aua!". Tom wiederum fing seinen Sturz mit seinen Händen ab. Dabei bohrten sich kleine Kieselsteine in seine Handflächen. „Tschuldige", keuchte er etwas verlegen, als sie beide reichlich hart auf den Boden geplumpst waren und er sich auf allen Vieren abstützend mit großer Mühe davon abhielt, auch noch auf Fé draufzufallen. Er sah zu ihr empor und fing ihren Blick auf, der zwischen herausfordernd und amüsiert hängengeblieben zu sein schien. Einen Moment lang sagte sie nichts und auch Tom rührte sie nicht. „Das hast du doch mit Absicht gemacht", raunte sie und ihre Mundwinkel glitten in die Höhe. Auch Tom musste lachen und rollte sich von ihr runter. „Tut mir leid, ich muss dich enttäuschen." Er ächzte, als er sie wieder hochhob, was Adara mit einem etwas beleidigten Blick quittierte. „So schwer bin ich doch gar nicht", witzelte sie, woraufhin Tom losprustete. Es war einer dieser unbeschwerten Momente, die in naher Zukunft immer öfters vorkommen würden und diese Erkenntnis erfüllte ihn mit einer unendlichen Freude. „Hey, ich bin derjenige, der dich durch die Gegend schleppt", erwiderte und zwinkerte ihr zu, bevor er sie erneut küsste, doch diesmal zuckte Fé zurück. Mit erhobenem Zeigefinger gebot sie ihm Einhalt. „Nicht, dass wir nochmal am Boden landen." Lachend verschwanden sie im Haus.

Mermaid SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt