Um kurz vor sieben fuhr die Limousine in Newgrange vor dem Rathaus vor und unter Blitzlichtgewitter und schreienden Fotographen stiegen Tom und Adara aus dem Wagen. Adara blieb bei diesem Anblick die Luft weg und vor ihrem inneren Auge tauchten auf einmal die unschönen Erinnerungen an ihr erstes Aufeinandertreffen mit der Presse auf. Wie ein Reh auf der Autobahn blieb sie wie erstarrt stehen, was Tom zu ihrem Glück noch rechtzeitig bemerkte. „Alles okay bei dir?", raunte er ihr zu und fasste sie unauffällig bei der Hand. Ganz langsam wurde sie von ihm mitgezogen. „Stell sie dir einfach alle splitterfasernackt vor", riet er ihr. „Das hilft bei Lampenfieber. Und vergiss nicht, zu lächeln, schließlich will Cartier ein paar hübsche Bilder haben", fügte er lachend hinzu. Die Rufe der Paparazzi – die hinter absperrgittern und Polizistenreihen standen, ignorierten sie betont lässig und schritten wie die Royals auf den Eingang zu. Draußen war es zwar noch hell genug, dennoch brannten im Gebäude sämtliche Lichter. Sie wurden durch einen langen Gang geführt, bevor man ihnen eine riesige Doppelflügeltür öffnete. Eine breite Steintreppe führte hinunter in einen prächtig geschmückten Saal und von unten drangen Stimmen und Gelächter, sowie Musik zu ihnen empor. Tom hielt ihr seinen Arm hin und nach einem kurzen Zögern, in dem sie ihn angeschaut hatte wie ein unschuldiges Kind, hakte sie sich bei ihm ein. Die Treppe machte auf halber Höhe einen Knick nach rechts und je näher sie ihrem Ende kamen, umso ruhiger schien es im Saal zu werden. Immer mehr Köpfe fuhren zu ihnen herum, manche ungläubig, aber alle hoch erfreut, wieder einen Right in ihrer Mitte zu haben. Und dann noch in Begleitung. Tom räusperte sich. Ihm war es äußerst unangenehm, angestarrt zu werden wie der Truthahn an Thanksgiving. Aber immerhin spielte die Musik noch. Er konnte fühlen, wie Adaras Griff an seinem Arm kaum merklich fester wurde, aber sie hielt sich äußerst gut, fand er. Plötzlich fing jemand an zu klatschen und Toms Kopf fuhr in die Höhe. Immer mehr Leute stimmten mit ein und schlussendlich applaudierte der gesamte Saal, was nicht nur Tom die Schamesröte ins Gesicht trieb. „Tut mir leid", wisperte er Adara ins Ohr, die genauso starr wie er selbst am unteren Treppenabsatz stand und sich wohl mindestens genauso hilflos fühlen musste wie er selbst. Doch plötzlich bemerkte er etwas. Fé schien zu lächeln. Und dann drehte sie sich zu ihm und strahlte ihn an, mit einem siehst-du-das-auch-alles-Ausdruck in den Augen. In diesem Moment war seine Welt wieder in Ordnung. Der Lärm um ihn herum war vergessen und all diese Leute schienen gar nicht zu existieren. Nur er und Fé, das war alles, was wirklich zählte. Und sie war wunderschön. Wie ihre Haare im Lichterschein glänzten, wie goldene Wellen über die Schultern fielen. Zum ersten Mal sah er sie mit Schminke im Gesicht, fiel ihm ein. Aber es schmeichelte ihr, auch wenn sie ihm ohne noch fast besser gefiel. Und dann ihre Augen. Immer wieder würde Tom sich in ihnen verlieren können. Unendlich wie der Sternenhimmel und weit wie das Meer waren sie, gefüllt mit leuchtenden Träumen und so viel Freude, dass es für zwei reichte. Und nun erinnerte er sich daran, dass es genau das gewesen war, was den Knoten in seinem Herzen, dieses kleine schwarze Loch gefüllt hatte. Dass seine Trauer so schnell verschwunden war, als hätte man sie mit einem Laubbläser um die nächste Hausecke gescheucht, das war alles nur ihr Verdienst. Adara, sein Schutzengel.
„Ach Thomas, wie schön, dass Sie gekommen sind! Ich wagte schon fast nicht mehr darauf zu hoffen", ertönte auf einmal eine tiefe, raumeinnehmende Männerstimme von sehr, sehr weit her und erst als Fé sich von ihm abwandte, drehte auch Tom den Kopf. Ein etwas untersetzter Mann Mitte fünfzig in Sakko, Frack und rosa Krawatte kam auf sie zu. Es war ein Vorstandsmitglied der Wohltätigkeitsorganisation und ein überaus schwatzhafter Mann, der es leider Gottes verstand, seine Opfer in oft stundenlange Gespräche zu verwickeln. Inzwischen war der Applaus in schieren Jubel übergegangen, laute Pfiffe hallten durch den Saal und man konnte sich selbst kaum noch sprechen hören. Der ältere Mann beeilte sich, auch Fé zu begrüßen, was anscheinend nicht ohne Handkuss fertigzubringen war, wie Tom etwas zerknirscht beobachtete. „Ich darf mich vorstellen, Sir Francis Cheburry, Nachkomme aus dem Hause Longburns, Vorsitzender des Untergremiums zur Finanzzverwaltung und..." Tom nickte und hob dankend die Hand. „Mir ist durchaus bewusst, wer Sie sind, Mister Cheburry, Danke. Darf ich vorstellen? Miss Adara Cahaya", entgegnete Tom charmant und legte Fé unauffällig seine Linke auf den Rücken. Eine beschützende Geste, aber auch etwas einengend, für ihren Geschmack, aber als waschechte Würdenträgerin war sie es gewohnt. „Welche Ehre", erwiderte dieser und küsste Adaras Hand nochmals, was Tom nun doch etwas zu weit ging. „Bitte, bitte folgen Sie mir doch!", fuhr Francis Cheburry dann durch den Lärm hindurch fort und wies auf eine Gruppe Leute etwas abseits. Zwar schienen noch immer alle Blicke auf ihnen zu liegen, aber nach und nach verklang der Applaus, so als wären die Leute es leid geworden, ihre schlappen Arme weiterhin so eifrig zu bewegen. Auch der Lärmpegel senkte sich langsam aber sicher wieder auf ein einigermaßen normales Niveau. Irgendwann setzte die Band zu einem etwas schnelleren Stück an und lenkte damit einen Teil der Aufmerksamkeit weg von Tom und Adara. Die Wogen, die ihre Ankunft ausgelöst hatte, schienen sich allmählich wieder zu glätten. „Ich muss Ihnen unbedingt die Vorstandsmitglieder vorstellen!", flötete Francis Cheburry, als er sich mit ausgebreiteten Armen zu seinen Kollegen umdrehte. „Ich habe die Ehre, Sie mit Clarence Perry Rattonburgh, Sarah Nordman, Kieth Blackrage, Rosa Bronner, Francis King und Mary Sligh bekannt zu machen", meinte er und ratterte dabei die Namen so schnell herunter, dass Adara kaum mitkam und sich jeder noch einmal vorstellen musste. Dabei fiel ihr etwas Seltsames auf. Sowohl die ältere Frau mit adrett hochgestecktem, grauem Haar im rosaroten Ballkleid, als auch der Herr Mitte vierzig im grünen Anzug und auch seine etwas jüngere Begleitung im knielangen Tüllkleid knickten geradezu unterwürfig vor ihr ein. Hätte sie nicht dieselbe Verhaltensweise schon bei Camilla Carmicle, Charles Carmicle's Frau gesehen, wäre sie wahrscheinlich genauso überrascht und auch ein wenig verwirrt gewesen wie die anderen. Besonders Tom schien gerade überhaupt nichts mehr zu verstehen. Sie hingegen schaute die drei nur vielsagend an und bewegte kaum merklich den Kopf. Weitere Meermenschen anzutreffen, nein, das hatte sie nun wirklich nicht erwartet. Eine peinliche Stille setzte ein und jeder schien jeden aufmerksam zu mustern, manche wunderten sich über die merkwürdige Geste der anderen, andere wiederum hofften, ihr Geheimnis nicht gerade preisgegeben zu haben. Und Adara fühlte sich mehr als unwohl in dieser Situation. Sie war sich ihrer Wirkung auf die anderen nie so richtig bewusst gewesen. Aber jetzt, wo sie alle ihre wahre Natur verbargen, konnte sie viele Leute in Schwierigkeiten bringen. Es genügte, dass nur ein einziger Mensch anwesend war, der um das Geheimnis ihrer Art wusste, und sie alle wären entlarvt. Zum Glück aber schien niemand wirklich zu wissen, was diese ganze Verbeugerei sollte – Tom wusste ja noch nicht einmal, wer sie denn unter ihresgleichen gewesen war, fiel ihr fast schon bedauernd ein.
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Mermaid Summer
FantasyTom's Unglück begann vor etwa einem Jahr, als er zusehen musste, wie seine Familie in einem schrecklichen Brand ums Leben kam. Als einziger Überlebender schlägt er sich mit heftigen Depressionen und Albträumen herum und kann einfach nicht glauben, d...