80. Buchstaben und andere Zeichen

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Gelangweilt blätterte sie durch ein dickes Buch, in dem irgendwelche Kochrezepte aufgelistet waren. Sie klappte es zu und stellte es zurück in das deckenhohe Regal, aus dem sie es keine drei Minuten zuvor herausgefischt hatte. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. In diesem Raum standen so viele Bücher, solche Unmengen an ungenutztem und zum Teil auch unnützem Wissen und trotzdem fand sie nichts, um sich ein bis zwei Stunden lang von ihrem Gram abzulenken, während sie darauf wartete, dass Marlene zurückkam. Ein zynisches Lachen kam über ihre Lippen bei diesem Gedanken. Marlene würde ihr bis zum Abend nicht mehr erlauben, ihren königlichen Pflichten – oder wie auch immer sie es nennen wollte – auszuweichen. Gleichzeitig war es Adara selbst aber mehr als egal, was um sie herum geschah, sie fühlte sich sowieso nur mehr wie ein Eindringling, ein unerwünschtes Teilchen in einem Puzzle, das überflüssige Zahnrad einer gutgeölten Maschine. Sie glitt geschmeidig an den Bücherregalen entlang und stoppte plötzlich abrupt. Ihr Blick glitt über die Bucheinbände und in ihren Augen glühte für einen kurzen Moment dieser alte Funke auf. Sie hatte die Märchenabteilung gefunden. Hier tummelten sich dutzende Geschichten über Fabelwesen und nicht zuletzt über – und diese Tatsache ließ ihr Herz unweigerlich höher schlagen – Menschen. Sie zog eines der Bücher aus dem Regal und schwamm einmal quer durch den mit Regalreihen vollgestellten Raum zu ihrem in eine der Wände eingelassenen, nicht sofort sichtbaren Leseplatz. Sie machte es sich bequem, schlug das Buch auf und begann zu lesen. Eine Geschichte aus der griechischen Mythologie, aber eigentlich war es ihr egal. Sie verschlang Zeile für Zeile, Buchstabe für Buchstabe und als sie mit dem Buch durch war, holte sie sich ein neues. So ging es den ganzen Tag. Als das Licht langsam schwächer wurde, erhellten fluoreszierende Kristalle, die man aus den Höhlenwänden abgetragen hatte und die nun in kleinen Auswölbungen in den Wänden lagen, den Raum, sodass Adara ungestört weiterlesen konnte. Nur ab und zu musste sie ihre Position verändern, weil ihre Flosse gern dazu neigte, immer wieder einzuschlafen. Adara bekam es nicht einmal mit, als Marlene plötzlich in der Bibliothek auftauchte und ihr die Resultate der Unterredungen mitteilte. Erst als ihre Schwester sie anfasste, schrak Adara zusammen und wurde mit Gewalt aus der Welt der Geschichte, die sie gerade las, gerissen. Marlene starrte sie abwartend an, also legte Adara das Buch beiseite und starrte zurück, was ihre Schwester völlig aus der Fassung brachte. „Ist nicht weiter wichtig, weißt du. Es ist ja auch nicht so, als wärst die Königin über all das hier und dass es dich wenigsten ein Minimum interessieren müsste oder so." Sie rauschte wütend von dannen und rief noch, als sie gerade die schweren Türen der Bibliothek aufstieß über die Schulter zurück: „Sei wenigstens pünktlich zum Abendessen!" Dann war es wieder still in der Bibliothek und Adara konnte sich wieder ihrem Buch widmen. Einige Seiten später allerdings wurde sie endgültig gezwungen, sich von ihrer Lektüre zu lösen. Im Raum breitete sich urplötzlich gleißendes Licht aus, das Adara dermaßen blendete, dass sie ihre Arme schützend vor ihr Gesicht heben musste. Die Wucht, mit der sie auf einmal gegen die Wand hinter ihr gedrückt wurde, raubte Adara den Atem. Das grelle Licht verblasste nach einigen Sekunden und zurück blieb eine handtellergroße, schwebende und sanft leuchtende Kugel. Das Orakel höchst persönlich. „Was willst du hier?", keuchte Adara und richtete sich mühselig wieder auf. „Ich stelle sicher, dass die Krone ihre Pflichten wahrnimmt", antwortete es streng und Adara warf ihm einen hasserfüllten Blick entgegen. „Sie sitzt wie angegossen, du hast dich umsonst hierher bemüht", zischte sie und wollte an der leuchtenden Kugel vorbeischwimmen, doch es war, als hielte das Wasser selbst davon ab. „Ich hatte nicht gedacht, dass das nötig sein würde. Sei also gewarnt. Entweder du verhältst dich endlich so, wie es von dir erwartet wird, oder" Adara packte in diesem Moment die blanke Wut. „Oder was? Steckst du mich dann in den Kerker zurück? Oder lässt mir alle Knochen brechen?", schleuderte sie dem Orakel ihre gepfefferte Antwort entgegen und mit jedem Wort stieg der Lautstärkepegel noch weiter an, bis sie schließlich kreischte. „Du hast mir alles genommen, du, du... du!" Sie suchte nach Worten – und einem Gegenstand, den sie nach dem Orakel schleudern konnte. Ihr kam nichts besseres in den Sinn als das Buch, das sie in den Händen hielt, aber das Orakel verwand, nur um dann in einer erneuten Druckwelle wieder aufzutauchen. Und wieder fand sich Adara an die Wand gedrückt wieder. „Du wagst es!", wütete der glühende, schwebende Ball und Adara blieb die Luft weg, so sehr presste das Wasser gegen ihre Brust. Doch sie gab nicht auf, kämpfte noch immer gegen diese erdrückende Wasserwand an und schaffte es schließlich, sich einigermaßen aufzurappeln, sodass sie nicht mehr wie ein Häufchen Elend zusammengesunken da lag. „Ja, ich wage es!", erwiderte sie ebenso laut und wütend und für einen Moment war es wieder ruhig in der Bibliothek. Es war fast so, als hätte sich das Orakel plötzlich besonnen, wer es war und was es hier eigentlich tat. Es schwebte unruhig vor Adara hin und her und sagte einfach nichts. Also ergriff Adara schließlich wieder das Wort: „Es ist mir egal, was du dir für mich alles an schlimmen Dingen ausdenkst. Ich werde mich gegen dich wehren, mit jeder Faser meines Körpers. Du magst mich vielleicht zur Herrscherin gemacht haben, aber die Genugtuung, dass du denkst, du könntest dir alles erlauben, schenke ich dir nicht. Darauf kannst du Gift nehmen!" Am liebsten hätte sie noch hinzugefügt, wie sehr sie das Orakel verabscheute, dass sie es aus tiefstem Herzen verachtete und sich niemals in ihrem ganzen Leben dazu herablassen würde, ihm zu gehorchen, doch den Moment dazu verpasste sie. Stattdessen sprach das Orakel weiter. „Du denkst wirklich, es würde mich treffen, wenn du die treuen Leute da draußen in ihr Verderben treiben lässt? Wach auf, dummes Kind. Du bist die einzige, die für die Fehler, die hier gemacht werden, zur Rechenschaft gezogen werden kann. Mir ist es schnuppe, wie und durch wen du regierst. Hauptsache du tust es. Ich habe dich schließlich nicht grundlos in die Position der Krone gebracht." Adara schnaubte verächtlich. „Genau. Du wolltest mir das Liebste auf Erden nehmen. Und weißt du was? Du hast es sogar geschafft!" Sie lachte bitter und versuchte mit aller Kraft, diese erdrückende, seltsame Kraft von sich abzuschütteln, was ihr nach einiger Zeit sogar gelang. „Aber dass du nun hierher kommst und es wagst, mich zu bedrohen – das ist die Höhe!", entrüstete sie sich und schwamm nun doch am Orakel vorbei, das noch immer regungslos im Wasser schwebte. „Das ist nicht der einzige Grund. Und das weißt du." Nun blieb Adara bewegungslos an Ort und Stelle. „Du bist großherzig und selbstlos und bis vor ein paar Tagen liebten dich alle Leute. Du wärst die perfekte Nachfolgerin deines Vaters geworden, wenn du es nur gewollt hättest." Adara wandte sich abrupt um. „Ich –", schrie sie „ wollte nur eines! Und zwar glücklich werden!" Sie spürte, wie ihr Blut in ihren Schläfen pochte. „Und das kannst du hier nicht? Unter Deinesgleichen?", erwiderte das Orakel nunmehr ruhig. Es schwebte noch immer in der Raummitte und bewegte sich kaum vom Fleck. Adara ließ die Schultern fallen und richtete sich langsam auf, bis sie diese ihr so verhasste Pose eingenommen hatte, die zu verkünden schien, dass nichts und niemand ihr etwas anhaben konnte, weil sie ja nun schließlich Herrscherin über alle Meere war. Es war diese Unnahbare, das die Haltung ausdrückte und das durch die Bahn von ihr erwartet wurde, das sie aber gleichzeitig auch daran hinderte, den Leuten nah zu sein. Vielleicht lag es auch nicht nur am geraden Rücken und der vorgeschobenen Schultern, dass Adara sich in eine Rolle gezwängt fühlte, das Orakel und die Fischmenschen trugen auch ihren Teil dazu bei. „Es ist schwer, den Leuten Liebe entgegenzubringen, wenn man selbst nichts als Verachtung und Misstrauen erfährt", sagte sie mit rauer Stimme. Das Wasser hielt sie schon seit einiger Zeit nicht mehr zurück, deswegen wandte sie sich nun endlich vom Orakel ab und verließ die Bibliothek. Ihr war zum Heulen zumute. Doch kaum hatten sich die Türen hinter ihr geschlossen, seufzte das Orakel. „Es ist schwer, aber nicht unmöglich. Man muss nur die nötige Motivation finden", meinte es resigniert und verschwand ebenfalls. Die Bibliothek lag nun wieder dunkel und trostlos im Halbdunkel des endenden Tages und man hätte kaum vermuten können, dass an diesem Ort der Stille noch Minuten zuvor ein nie dagewesener Streit der zwei mächtigsten Wesen aller Meere und Ozeane stattgefunden hatte.

Zurück in ihrem Zimmer holte Adara sofort dasMedaillon aus den Kissen hervor und drückte es an sich, wie um sich selbst zuberuhigen. Nun im Nachhinein fragte sie sich, was sie in der Bibliothekgeritten haben mochte. So hatte wahrscheinlich noch niemals jemand mit demOrakel gesprochen, geschweige denn hat es jemand gewagt, ein Buch nach ihm zuwerfen. Adara fasste sich an die Stirn. Das Orakel war das einzige Wesen, vordem sie sich wirklich in Acht nehmen musste. Sie hatte erst eben eine winzigeKostprobe seiner Macht bekommen – das Wasser hatte ihr den Atem geraubt, siegegen die Wand gedrückt und sie war sich sicher, dass das Orakel, hätte es nurgewollt, noch weitaus mehr hätte anrichten können. Sie schluchzte. Den Palastkonnte sie ja jetzt schon nicht mehr verlassen. Warum musste sie es auch nochdarauf ankommen lassen, dass man ihr noch mehr Grenzen setzte? Wenn sie ihrebrodelnden Gefühle und ihr unkontrolliertes Mundwerk nicht schleunigst in denGriff bekam, würde sie bald enden wie der Mann mit der eisernen Maske. Siesetzte sich wieder ans Fenster und drehte das silberne Medaillon zwischen denFingern. Sie überlegte. Seit Tagen versuchte sie, dieses Objekt mit einemZauber zu belegen, aber bisher war jeder Versuch gescheitert. Sie konnte denPalast nicht verlassen, denn jedes Mal prallte sie gegen eine unsichtbare Wand,was ihr nun schon einige dutzend blaue Flecken eingebracht hatte. Außerdemhatte sie heute den ganzen Nachmittag in der Bibliothek verbracht undMärchenbücher vertilgt. Adara seufzte frustriert. Sie musste ihrem Lebenunbedingt einen Sinn geben, ansonsten würde sie noch verrückt werden. Sie legtedas Medaillon zurück auf den Fenstersims und startete einen neuen Versuch, denZauber heraufzubeschwören und tatsächlich tanzten kurz leuchtende Partikeldurchs Wasser und umfingen den Anhänger, doch sie verblassten ebenso schnellwieder, wie sie zuvor aufgetaucht waren. Es schien einfach sinnlos zu sein. Erneutseufzte sie und ließ ihren Blick über den Palastgarten und die Straße desdahinterliegenden Wohnviertels wandern. Draußen war es mittlerweile dunkel undauch in im Palast war es nunmehr düster. Fast hätte Adara Lust gehabt, so langegegen die unsichtbar unvorhandene Fensterscheibe zu schlagen, bis die magischeBannmauer endlich nachgeben und sie fliehen würde. Aber sie ließ es bleiben.Was brachte es schon? Sie würde nicht weit kommen, das Orakel würde alle Hebelin Bewegung setzen und sie zurückholen. Schließlich drehte sie sich um, lehntemit dem Rücken an der kalten Wand und ließ in ihren Handflächen die schwebende,leuchtende Kugel erscheinen, in der die Erinnerungen an Tom so lebendigschienen, dass es Adaras Herz ein Stück weit zu heilen vermag.     

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Hei meine Lieben :)

Ich hab jetzt noch genau sieben Tage lang Schule, dann beginnen bald die Prüfungen. Morgen ist zum Glück Pfingstmontag und damit Schulfrei, damit bleiben von dieser Woche noch 4 Tage. Und wisst Ihr was? In diesen vier Tagen hab ich fünf Tests, die noch für die Jahresnoten zählen -.- 

Zum Glück hatte ich dieses Kapitel schon vorgeschrieben :3 

Schaut euch mal dieses supersüße Franart an! :D Ist es nicht toll? Das Aquarell ist von Fenpixx und ich liebe es einfach! im nächsten Kapitel zeig ich euch ein wundervolles Coverart :3

Schaut euch mal dieses supersüße Franart an! :D Ist es nicht toll? Das Aquarell ist von Fenpixx und ich liebe es einfach! im nächsten Kapitel zeig ich euch ein wundervolles Coverart :3

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