57. Level up

814 90 10
                                    

Gleich gegenüber befand sich das ehemalige Schlafzimmer seiner Eltern und es wäre logisch gewesen, hätte sie diese Tür als nächstes geöffnet. Aber Fé zögerte, bevorzugte es dann, erst die anderen Räume zu inspizieren und ging deshalb den Flur entlang. Das Bad hatte sich eigentlich nicht verändert. Das Schlafzimmer seines Onkels hatte er auch umdekoriert, die Möbel erneuert und etwas umgestellt. Ein gemütliches Doppelbett aus dunklem Holz mit glänzenden, schwarzen Satin-Bezügen stand zwischen zwei bodentiefen Fenstern von denen hauchdünne Vorhänge wie tanzende Brautschleier herabhingen und das Bett links und rechts am Kopfende gewissermaßen umrahmten und an der Wand stand ein geräumiger Kleiderschrank mit Spiegelfront. Des alten, grauen Teppichbodens hatte Tom sich entledigt, stattdessen lag nun ein nussbrauner Laminatboden unter ihren Füssen. Dazu hatte sogar ein Handwerker kommen müssen. Aber Fé warf nur kurz einen Blick in den Raum, wie auch in die anderen. Und so standen sie bald wieder vor der geschlossenen Tür des ehemaligen Schlafzimmers seiner Eltern. „Willst du nicht reingehen?" Ihr Geruch stieg ihm in die Nase, salzig mild und warm wie die verblassende Erinnerung an einen warmen Mittsommertag. Er schaute sie von der Seite an, fuhr mit seinem Blick ihre perfekten Gesichtszüge nach, über die gerade, schmale Nase, die leuchtenden Hebungen ihrer Lippen, die ihn so sehr anzogen, dass er vor Verlangen kaum mehr an sich halten konnte. Am liebsten hätte er sie auf der Stelle geküsst. Er spürte, wie er schwerer zu atmen begann, versuchte, es gelassen zu überspielen, doch es wollte ihm nicht wirklich gelingen. Wohlige Schauer liefen seinen Rücken hinunter, schienen sich gegenseitig Wettrennen zu liefern. Sie war ihm so nah, dass er schon fast ihre Körperwärme spüren konnte. Kleine, oszillierende Wellen, die von ihr ausgingen und warm und fordernd zu ihm durchdrangen. „Ich kann nicht glauben, dass du hier alles verändert hast", flüsterte Fé beinahe lautlos und kurz war sich Tom nicht sicher, ob sie tatsächlich ihn gemeint hatte. „Wieso ist das so schlimm?", erwiderte er ebenso leise. Er war wie festgewachsen an Ort und Stelle, schien sich nicht bewegen zu können, keinen Millimeter. Aber eigentlich wollte er das auch gar nicht, ihre Nähe war wie eine Droge für ihn, schloss ihn in Fé's Bann und berauschte ihn wie selten etwas zuvor. Sein Herz pochte hart gegen sein Brustbein und er fürchtete, dass Adara es bald merken musste. Alles in ihm wurde von einer unsichtbaren Kraft zu ihr hingezogen. „Ist es nicht." Sie legte ihre Stirn in Falten. „Es ist nur... unerwartet." In diesem Moment klingelte es an der Tür und kurz verfluchte Tom den Italiener Giuseppe für seinen Fleiß. Er räusperte sich und riss seinen Blick von Adara los, die noch immer scheinbar unschlüssig vor der geschlossenen Tür stand. „Schau es dir ruhig an, ich bin gleich wieder da", meinte er und berührte sie nur kurz an der Schulter, bevor er sich von ihr abwandte und sich auf den Weg nach unten machte. Gleichzeitig war er aber froh, etwas Abstand zwischen sich und die größte Verführung in seinem Leben zu bringen, denn er wusste, sehr viel länger hätte er ihr nicht widerstehen können. Und diese eine kurze Berührung hatte ausgereicht, um alle Zellen in seinem Körper umzupolen. Beschwingten Schrittes kam er hinter dem Flügel hervor und auf die Haustür zu, die er fast mit euphorischem Schwung öffnete. Vor der Tür stand ein Giuseppe, der in seiner weißen Kochweste und den karierten Hosen aussah, als wäre er gerade aus einem Cartoon gesprungen. Unter seinem gezwirbelten Schnauzer waren seine speckigen Lippen zu einem breiten Grinsen verzogen. „Hallo, Tommy, mein Bester!", begrüßte er seinen deutlich jüngeren Freund und trat an ihm vorbei in die offene Stube. Tom ging zuvorkommend beiseite, besonders da der Koch wegen der gestapelten Schachteln, die er trug, seine eigenen Füße nicht mehr sehen konnte. „Du hättest doch nicht selber kommen müssen, Giuseppe! Besonders da dein Restaurant dich braucht. Du hättest irgendjemanden schicken können, wirklich!" Tom schlug ihm freundschaftlich auf die Schultern und strahlte ihn aus Versehen so übermütig an, dass der Funke auch auf den Koch übersprang, der jedoch nicht wirklich verstand, weshalb sie beide denn überhaupt so fröhlich waren. „Ach Tommy, ine die Ristorante es gehte perfetto! Si! Und wenn i de Gelegenheit bekomme, dann i komme persönliche vorbei! Ma è chiaro!", erwiderte er in bester Manier mit kräftiger Unterstützung seiner Hände, die für Tom undeutbare Zeichen zusammensetzten. Schließlich packte Giuseppe Tom an den Schultern und hielt ihn auf Armeslänge von sich. „Iche wünschene dir è signorina Adara tante belle cose, alles Gute! Un buon appetito, sagene, wenn etwas brauchene, Giuseppe iste immer da, si! Aber nun iche mussene wieder gehene, sonst einige Leutene nix zu essene bekommene, wäre schade." Er zwirbelte seinen typisch italienischen Schnauzer, der auch nach außen den Eindruck machte, viel Pflege und Zuwendung zu brauchen. „Warte, wie viel schulde ich dir für das Essen?" Tom hatte schon seinen Geldbeutel gezückt, doch der Koch winkte ab. „Nehmene keine Gelde von Tommy! Ciao, Tommy!" Und damit wollte er sich verabschieden und gehen, doch Tom drückte ihm den fünfzig-Euro-Schein dennoch in die Hand. Giuseppe verbeugte sich schmunzelnd und tätschelte noch ein letztes Mal Tom's Schulter, bevor er definitiv wieder zur Tür rausmarschierte und dieser hinter sich ins Schloss zog. Tom unterdessen begutachtete das gelieferte Essen. Schlussendlich schnappte er sich die Schachteln und packte den Inhalt auf weiße Porzellanteller aus seinem eigenen Bestand, bevor er das Ganze auf einem Tablett balancierend nach oben brachte. Ihm war noch immer zum Singen und pfeifend durch die Gegend Hüpfen zumute gewesen. Fast so, als hätte man ihm starke Antidepressiva in den Tee geworfen. Bei diesem Gedanken musste er unweigerlich schmunzeln. Und sogar das Wetter schien unbedingt zu seiner gehobenen Stimmung passen zu wollen, draußen zog sich meilenweit ein strahlend blauer, wolkenloser Himmel dahin, die Sonne schien golden und außergewöhnlich warm für diese Jahreszeit und auch der Wind hielt sich gemäßigt. Nur mit Mühe und größter Vorsicht schaffte Tom es, die schmale Wendeltreppe trotz sperrigem Tablett vor seiner Brust zu erklimmen und setzte seinen Weg frohgemut fort. Fé stand mit dem Rücken zu ihm an die Dachschräge gelehnt am Fenster, die eine Hand in ihre Seite gestemmt und skurril nach vorne gebückt da. Augenblicklich verflog Tom's gute Stimmung und machte der Panik platz. Fast hätte er das Tablett fallen gelassen. „Ist alles in Ordnung?", fragte erschrocken. Seine Stimme überschlug sich und in seinem Hals war auf einmal ein rätselhafter Kloss, der ihn sowohl am Sprechen als auch am Atmen hinderte. „Geht gleich wieder", keuchte Adara aus ihrer Ecke und wandte sich endlich zu ihm um. Ihr Gesicht, eine merkwürdig verzerrte Grimasse, war kreideweiß und erst bei näherem Hinsehen bemerkte Tom das sanfte Glühen ihrer Handflächen. Er blieb wie angewurzelt mitten im Zimmer stehen und starrte sie an. Irgendwann begann Fé zu lachen, vorauf hin Tom noch verdutzter schaute. „Schau nicht wie ein Stockfisch, es geht gleich wieder, wirklich", versicherte sie ihm, doch daran wagte Tom zu zweifeln, sie war noch immer so blass um die Nase und schien so unwahrscheinlich zerbrechlich zu sein, wie so dastand – nun wieder etwas aufrechter zwar, aber dennoch. Tom schluckte. Und dann noch einmal, denn irgendwie wollte ihm das Sprechen einfach nicht gelingen. Er schaute an sich herunter und erinnerte sich wieder an das Essen, das er mit sich herumtrug. „Giuseppe war da", sagte er lahm. Als hätten die beiden mit dampfender Pasta gefüllten Teller nicht gereicht, um dies zu erraten. Auch Fé warf ihm einen merkwürdigen Blick zu. „Ich meine..." Er seufzte. Was redete er da eigentlich? „Es riecht lecker", kam ihm Fé zu Hilfe und trat einige Schritte auf ihn zu. Das Glühen in ihren Händen erlosch. „Bist du dir sicher, dass du okay bist?", hakte Tom endlich nach und musterte sie besorgt. Noch immer hielt er das Tablett in den Händen und musste wohl aus der Wäsche schauen wie ein unterbezahlter, trotziger Küchenjunge. Fé nickte, fast ein bisschen zu schnell für seinen Geschmack, aber was wollte er schon tun? Er stellte das Essen auf die Kommode. „Wenn es dir nicht gut geht", begann er, doch sie unterbrach ihn erneut, lachend. „Es ist alles in Ordnung, Tom. Wirklich. Nichts, was man nicht richten könnte. Es dauert nur seine Zeit. Außerdem geht's mir doch schon viel besser." Sie schaute ihn direkt an, versuchte noch nicht einmal, seinem Blick auszuweichen und wieder raubten ihm diese unwahrscheinlich dunklen Augen den Atem. Fé trug in ihren Augen ein ganzes Universum an leuchtenden und strahlenden Punkten, gleichsam den Sternen am Himmelszelt, nur tausendmal schöner. Als er darauf nichts antwortete, wechselte sie irgendwann das Thema. „Warum hast du jetzt so vieles Verändert?", brachte sie ihre anfängliche Frage erneut hervor. Tom überlegte. „Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Ich hab mir gedacht, wenn ich die alten Geister rausschmeiße, verschwinden auch die Erinnerungen an sie. Aber es hat eher wenig gebracht", gestand er leise und kratzte sich verlegen am Kopf. Dann fiel ihm das immer kälter werdende Essen wieder ein und hastig reichte er Fé einen der beiden Teller, während er sich den anderen auf den Schoß stellte. „Hier. Allzu heißdürfte es jetzt nicht mehr sein." Die Pasta war vorzüglich. Auf den Punkt gegart, Al-dente und schön slazig, genau wie Tom sie mochte. Die Zitronengrass-Sauce mit den gegrillten Shrimps und Cherry-Tomaten schmeckte wie der fleischgewordene siebte Himmel. Dementsprechend war es still, während sie aßen und Tom bekam auf diese Weise noch etwas Zeit, um seine unvollständige Antwort nochmal zu überdenken. „Es ist wirklich hübsch geworden", meinte Fé dann irgendwann. Tom lächelte. Wieder wanderte seine Hand zu seinem Haaransatz. „Ich hatte gehofft, dass es dir gefallen würde", erwiderte er, fast schon schüchtern, was er sich einfach nicht erklären konnte. Er wurde normalerweise nie schüchtern. Wenn, dann schafften es die Leute, ihn zur Weißglut zu treiben oder auf halbem Weg in die Irrenanstalt. Aber ihn schüchtern werden zu lassen, dass konnte einfach nur Fé. Und diese musterte ihn nun mit einer Mischung aus Unglaube und Verwirrung. Ihre Mundwinkel zuckten, als könnten sie sich nicht entscheiden, ob sie nun in die Höhe wandern sollten oder nicht. „Warum denn mir?", fragte sie endlich. Auf einmal schien es wieder unglaublich heiß geworden zu sein im Raum. Sogar Tom's Ohren begannen schier zu glühen. Ob es allerdings tatsächlich an der Temperatur lag und nicht doch etwa an Fé, konnte er selbst nicht so genau sagen. Jedenfalls kam er nun in Erklärungsnot, obwohl er die Worte eigentlich kannte, die er aussprechen wollte. Nur machte ihm der unüberwundene Kloss in seinem Hals noch immer schwer zu schaffen. „Nun... nu ja... Ich dachte... ich dachte, dass du...", stammelte er und begann plötzlich unkontrolliert zu husten, als sich der Rest einer hängengebliebenen Nudel an seine Speiseröhre klebte. Es artete in einen riesen Hustenanfall aus, den er nur mit Mühe unter Kontrolle bekam. „Es ist ja schön, dass du dich um mich sorgst, aber bist du sicher, dass du okay bist?", fragte Fé besorgt und musterte ihn unsicher. Wieder zuckte es um ihre Mundwinkel herum und nach der kurzen Pause, die dann folgte, blieb Tom kaum etwas anderes übrig, als zu lachen. Zwar hustend und noch immer ein wenig röchelnd, aber es war zu surreal, um nicht zu lachen. „Mir geht's gut, mir geht's gut!", versicherte er mit erhobenen Händen und kriegte sich allmählich wieder ein. Auch Fé lachte hinter vorgehaltener Hand fast Tränen, beruhigte sich aber auch langsam wieder, besonders als sie sich auf einmal in die Seite fasste, war sie gleich wieder viel ernster. „Du wolltest noch etwas sagen?", erinnerte sie ihn und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Tom beobachtete diese betont unauffällige Geste beunruhigt. Mit gebrochenen Rippen war nicht zu spaßen und er wusste, welch schweren Verletzungen dieser Art Knochenbruch mit sich ziehen konnte. „Genau", sagte er gedehnt. Wieder musste er sich erst räuspern, bevor er weitersprechen konnte. „Ich hatte gehofft, dass dir dieser Zimmer gefallen würde, weil ich gehofft hatte, dass du... dass du vielleicht etwas länger bleiben und... auch nicht mehr unbedingt... nun ja, unten auf der Couch schlafen willst." Obwohl die Worte gegen Ende immer mehr Überwindungskraft eingefordert hatten und dennoch immer leiser über seine Lippen gekommen waren, suchte Tom Fé's Blick, wartete auf eine Reaktion ihrerseits. Doch erst einmal passierte nichts.

***** 

Hei meine Lieben! :) 

Ich häng hier gerade etwas hinterher, ich weiss! ^^''' SORRY <3 Ich schreib als nächstes eine Szene mit Mr. Anonym ;) Muahahhahaahaha XD *hust* mir bekommt die böse Lache nicht sonderlich gut... :/

Hoffe, ihr hattet Spaß beim Lesen, ich muss jetzt weiterschreiben ;)

LY <3

Mermaid SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt