Sie traten hinaus in die Sonne. Es war warm. Adara blinzelte, geblendet durch die plötzliche Helligkeit und die leuchtenden Farben. Sie atmete tief ein, als ihr lauer Sommerwind entgegenschlug. Aber vergebens suchte sie darin nach dem vertrauten Geruch nach Salz und Wasser. Stattdessen roch sie dutzend verschiedene Gräser und etwas noch süsseres, lieblicheres. "Ich habe den Blumengarten meiner Grossmutter immer geliebt", seufzte Tom neben ihr und stemmte seine Hände in die Hüften. Zum ersten Mal schien er nun auch Adara der typische, stolze Hausbesitzer zu sein. "Nach dir", meinte er nach einer Weile und vollführte galant eine ausladende Handbewegung. Adara ging die wenigen Steinstufen hinunter, die erst auf eine grosse, mit Blumen geschmückte Terrasse und dann in den weiten Garten führte, hinter dessen hoher Steinumzäunung wilde, irische Wiesen wuchsen und blühten. Trotz der sommerlichen Hitze war das Gras unter ihren Füssen frisch und feucht, als sie die Terrasse verliess. Sie ging vorbei an duftenden Rhododendron-Büschen und hüfthohen Hortensien, die längs der Grenzmauer in akkuraten Beeten angepflanzt in der Sonne badeten. Kirschbäume spendeten spärlichen Schatten. Im hinteren Teil des Gartens, versteckt hinter grünenden Büschen befand sich ein helles Zeltdach, das über mehrere Eisenstangen gespannt war und gemütlich im Sommerwind flatterte. Darunter standen mehrere mit Sitzpolstern bezogene Stühle und ein kleiner Tisch. Adara blieb neben einem Busch stehen uns spürte Tom dicht hinter ihr, spürte, wie auch er stehengeblieben war. "Was ist das, Tom?", fragte sie etwas verwirrt und nervös lächelnd, während sie sich zu ihm umwandte. "Nichts", antwortete er bloss und setzte noch im selben Atemzug ein "Gefällt es dir?" hinzu. Er zog mit grossen, langsamen Schritten an ihr vorbei und stellte sich hinter einen der gusseisernen, mit cremefarbenen Polstern bezogenen Gartenstühlen, rückte ihn für sie zurecht. Doch Fé brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er nun auf sie wartete, darauf, dass sie sich hinsetzte, auf eben den Stuhl, den er ihr zurechtgerückt hatte. Und dann ging auch sie langsam unter das im Wind flatternde Zeltdach. Als sie sich gesetzt hatte, kam Tom hinter ihrem Stuhl hervor und setzte sich ihr gegenüber hin. Während er jedoch ganz lässig in den Polstern lehnte, sass Fé - und das bemerkte Tom mit einem seltsamen Stich im Herzen - steif da und fühlte sich offensichtlich aber unbegreiflicherweise unwohl. Und so nahm er die Nase aus dem Wind und lehnte sich mit einer Sorgenfalte auf der Stirn vor, legte seine Ellenbogen auf die Knie und musterte Fé. "Stimmt etwas nicht?", fragte er behutsam. Es ging ihm sonderbar nahe, dass sie sich in seiner Gegenwart noch immer nicht wirklich entspannen konnte, nie gänzlich losliess. Aber Fé schüttelte nur abwehrend den Kopf, lächelte scheu. Es fiel ihr schwer, sich in dieser Situation angemessen zu verhalten. Ja, was hiess eigentlich angemessen? Sie wusste nicht, ob sie Tom das einfache Mädchen vorspielen sollte oder die Prinzessin an den Tag legen, die irgendwie viel besser hierzu, aber viel weniger zu Tom passte. Und dann, als hätte sie sich selbst bei dem Gedanken erwischt, drängte sich ihr die Frage auf, wer sie selbst eigentlich war, dass sie meinte, jemandem etwas vorspielen zu müssen. "Fühl' dich hier ruhig wie zu Hause", fuhr Tom fort, freundlich und zuvorkommend wie immer. Aber es fiel ihr schwer, sich heimisch zu fühlen, an einem Ort, der ihr doch so fremd war. "So, hier kommen die Getränke", ertönte zu ihrer Linken die warme, fröhliche Stimme Marias, die auf einem silbernem Tablett balancierend zwei grosse Gläser Limonade brachte und das ganze auf den kleinen Tisch stellte. "Master Thomas!", erklang kurz darauf auch die nun etwas gehetztere Stimme Henry's, der keuchend und schnaufend angelaufen kam und Tom einen Telefonhörer entgegenhielt. "Der... Der Chefredakteur der Tageszeitung", übermittelte er und versuchte vergebens, wieder zu Atem zu kommen. Tom stand unvermittelt auf, der freundliche Ausdruck auf seinem Gesicht war gewichen und zurückgeblieben war nichts als blanke Wut. "Ich bin gleich wieder da", flüsterte er Fé zu und berührte sie im Vorbeigehen kurz an der Schulter, bevor er sich den Hörer griff und zügigen Schrittes aufs Haus zuging, den schnaufenden Henry im Schlepptau, der immer wieder leise murmelte, er sei zu alt für derartige Sporteinlagen. Fé schaute ihnen interessiert nach. "Miss? Bleiben Sie hier?", fragte Maria plötzlich und Adara wandte sich ihr zu, blinzelte gegen die Sonne. "Er hat gesagt, dass er gleich wiederkommt", meinte sie. Maria lächelte sie noch immer an, setzte sich nun aber in den Stuhl, der eben noch von Tom in Anspruch genommen worden war. "Sie gefallen mir, Miss", sagte die Haushälterin einfach, noch immer lächelnd. Adara zog die Augenbrauen zusammen, legte ihren Kopf kaum merklich schief, doch bevor sie nachhaken konnte, fuhr Maria auch schon fort: "Ihr haucht unserem Tom wieder etwas Leben ein. Sie bringen im wahrsten Sinne des Wortes die Lebensgeister in dieses Haus zurück." Und dann seufzte Maria und fügte kaum hörbar hinzu: "Ich hoffe nur, Ihr meint es ernst mit ihm." Doch Adara hatte es gehört und rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl umher. "Wie meinen Sie das?", fragte sie etwas verwirrt, traurig auch und mit einer Spur der Enttäuschung in der Stimme. Marias Lächeln schmolz dahin. Sie rieb sich betroffen die Stirn, ächzte und stöhnte wie ein altes, windschiefes Haus. "Verzeiht mir bitte, Miss", hauchte sie und wollte sich erheben, aber Adara lehnte sich vor und hielt sie mit einem Handzeichen davon ab. "Nein, warten Sie", bat sie. "Was meinen Sie damit?", fragte sie erneut. Es liess ihr keine Ruhe. Maria schaute sie einen Moment lang einfach nur an, kräuselte nachdenklich ihre Lippen und stiess dann resigniert die Luft aus. Sie hatte in Fés Augen geschaut und nichts von alledem gefunden, was sie dort erwartet hatte. Nur der flehende Blick aus unscheinbar tiefen, dunklen Augen schlug ihr entgegen und keine Spur der Habgier oder der Hinterhältigkeit, wie sie es von so vielen Leuten der "Oberschicht" kannte. Nein. Etwas an ihr was anders. Sie hatte etwas an sich, das noch keine Frau bisher gehabt hatte. Und konnte sie vielleicht sogar die eine Richtige sein? Diejenige, die vielleicht tatsächlich an Toms Seite gehörte. Maria biss sich auf die füllige, dunkle Unterlippe. Bei wie vielen Mädchen hatte sie doch schon dieselben Gedanken gehabt?
DU LIEST GERADE
Mermaid Summer
FantasyTom's Unglück begann vor etwa einem Jahr, als er zusehen musste, wie seine Familie in einem schrecklichen Brand ums Leben kam. Als einziger Überlebender schlägt er sich mit heftigen Depressionen und Albträumen herum und kann einfach nicht glauben, d...