„Tom?", fragte Adara unnachgiebig. „Du wolltest mir noch etwas sagen?" „Ah ja, ähm, du hast unzusammenhängendes Zeugs geredet", erwiderte er noch immer ausweichend, aber Adara liess ihn nicht so einfach damit fortkommen. „Was genau?", bohrte sie hartnäckig weiter und ihre Miene gefror zu Stein. „Wortwörtlich hast du gesagt: Amethyst, Marlene, Muschelpalast, Verrat, Orakel, Falsch, Vater, Sturm, Tod. Reicht das? Ich sagte doch, unzusammenhängendes Zeugs", entgegnete Tom schulterzuckend. Für Adara jedoch waren das überhaupt nicht unzusammenhängende Worte. Wie falsch Tom doch lag. Wenn er nur wüsste, was sie ihm da unkontrolliert und ungewollt preisgegeben hatte. Doch er wusste es nicht. Und das war gut so. „Ja...", flüsterte sie. „Unzusammenhängendes Zeugs." Sie lehnte sich wieder in ihrem Stuhl zurück und eine peinliche Stille legte sich erneut zwischen sie. Adara schaute aus dem Fenster. Draussen schien die Sonne golden am wolkenlosen Himmel. Es war ein wunderschöner Sommertag. Dann fiel ihr Blick auf den Briefumschlag, der noch immer ungeöffnet am anderen Ende des Tisches lag und eine Frage lag ihr auf der Zunge. Sie schaute Tom an, der gerade sorgsam sein drittes Vollkornbrötchen bestrich. Er hielt mitten in der Bewegung inne und warf ihr einen fragenden Blick zu, während das Brötchen hilflos aus seinem Mund baumelte. Adara musste kichern. Wie seltsam dieser Anblick doch war. Tom wurde sich bewusst, dass er in diesem Moment aussehen musste wie der allerletzte Trottel und legte das Gebäckstück wieder in seinen Teller zurück. Ihm war es irgendwie peinlich und er wollte den Moment unbedingt so schnell und so elegant wie möglich überbrücken. „Du meintest?", fragte er, als ob nichts geschehen wäre und Adara nahm es ohne Widerspruch hin. „Was hat es mit der Einladung auf sich?", fragte sie neugierig und auf den cremefarbenen Umschlag deutend. „Ich werde nicht hingehen, das hat es mit der Einladung auf sich", erwiderte Tom fadengerade heraus. Ohne Umschweife. „Was ist das, der Sommernachtsball?", fragte Adara weiter. „Ist nicht wichtig", erwiderte er und sein Ton war eiskalt. Etwas in ihr zog sich in diesem Augenblick ein Stück weit von Tom zurück, etwas, das noch eine Heidenangst vor ihm zu haben schien. Und trotz dieses Teils in ihr, liess sie nicht locker. „Aber ich möchte es gerne wissen", beharrte Adara ihrerseits. „Mhh, das ist ein Ball für reiche Leute, in der Mitte des Sommers", entgegnete Tom knapp. Auf einmal arbeitete es in Adaras Kopf. Das Blut pochte in ihren Schläfen, pulsierte in ihren Adern und hinter ihrer Schädeldecke ratterte es so laut, dass Tom es eigentlich hätte hören müssen.
„Ein Ball für Reiche Leute, sagst du? Mitte Sommer? Dann heisst das... Dann heisst das, dass du reich bist?", fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Irgendwie hätte sie ihn nicht in diese „Schublade" eingeordnet. Doch nicht Tom mit seinem kaputten Pulli und der kleinen Hütte. Er antwortete nur mit einem angedeuteten Nicken. „Das wusste ich gar nicht", setzte sie verwundert hinzu. „Das Erbe", hüstelte Tom etwas bedrückt. „Nun ja... Meine Familie hat ein relativ erfolgreiches Unternehmen aufgebaut, aber ich kann damit relativ wenig anfangen", sagte er knapp und ausweichend. „Erzähl weiter", bat sie ihn. „Weshalb sollte ich, Fé? Ich meine, entschuldige bitte, aber du verstehst noch weniger davon als ich selbst", setzte er hinzu und lächelte dabei auf eine Weise, die Adara irgendwie so gar nicht passte. Es war ein ironisches Lächeln, irgendwo auch falsch und hämisch. „Und? Das will nicht heissen, dass es mich nicht interessiert", gab sie so neutral, wie es ihr nur irgendwie möglich war, zurück. Sie wollte Tom nicht vor den Kopf stossen, obwohl sie sich in dem Moment unangenehm bevormundet fühlte. Er seufzte. „Also", begann er, zog das Wort in die Länge und stiess die Luft in einem langen Atemzug aus. „Mein Urgrossvater hat vor gut einhundertzehn Jahren die Firma Right & Farmer mit seinem besten Freund Frank Farmer gegründet. Am Anfang verkauften und reparierten sie nur Haushaltsartikel und Werkzeuge und was weiss ich alles für Krempel und Krimskrams. Aber sie wussten, wie man sich die Werbung zu eigen macht und so wurden sie ziemlich schnell sehr gefragt. Sie erweiterten ihr Unternehmen auf Elektrogeräte. Du weißt schon, Waschmaschinen, Kochherde, Staubsauger und so weiter", erklärte er und Adara hing förmlich mit glänzenden Augen an seinen Lippen. „Als mein Urgrossvater dann meine Urgrossmutter geheiratet hat, zog sich sein bester Freund aus dem Geschäft zurück und machte mit dem Geld, das er von meinem Urgrossvater für seine Anteile bekommen hatte, eine Weltreise. Lange Zeit waren wir dann die Nummer Eins wenn es um Photographische Themenbereiche ging. Einige Jahre später spezialisierte sich die Firma dann auf Computersoft- und Hardware und Sicherheitssysteme und wurde damit noch erfolgreicher. Mein Urgrossvater expandierte schnell und exportierte bald in andere Länder. Die Firma wurde in die Matryx Inc. umbenannt, ging dann an meinen Grossvater und seine Geschwister, und dann wiederum an ihre Kinder. Und vor einem Jahr dann, ging das gesamte Unternehmen an mich." „Ich habe immer ein Sorgenloses Leben geführt, weißt du? Wir lebten im Wohlstand und obwohl wir viel Geld hatten, sind wir... nun ja, irgendwie, irgendwo auf dem Boden geblieben", erklärte Tom und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. „Ich meine, klar, wir hatten tolle Spielsachen, teure Autos, einen grossen Pool und eine riesige Villa, aber wir hatten immer Zeit für die Familie. Wir waren nicht wie diese amerikanischen Schnösel, die Parties und Drogen hinterherhingen. Meine Mutter hat uns jeden Tag zur Schule gefahren. Oder zur Bushaltestelle, wenn wir weiter weg mussten. Wir besuchten zwar nicht die staatlichen Schulen, hatten aber alle normale Hobbies, wie Basketball oder Fussball, haben normale Bücher gelesen und mit normalen Leuten verkehrt. In den Ferien sind wir eigentlich immer hierher gekommen. Nur einmal im Jahr sind wir zusammen nach Indien geflogen, wo meine Mutter eine der heute grössten Wohltätigkeitsorganisation gegründet hatte. Von der ist übrigens auch die Einladung dort", unterbrach Tom seinen eigenen Redeschwall und deutete auf den Umschlag. Adara hatte ihre Ellbogen auf die Tischplatte gestützt und ihren Kopf in ihre Hände gelegt. „Dann ist der Sommernachtsball also eine Wohltätigkeitsveranstaltung?", fragte sie neugierig. „Ja, das ist er", seufzte Tom. Es war ihm auf eine seltsame Art und Weise lästig, wieder an diese alten Konventionen erinnert zu werden, die nur von Wert waren, als er noch Teil der Familie Right gewesen war. „Aber, warum willst du dann nicht hin?", fuhr Adara unbeirrt fort und holte Tom wieder ein Stück weit in die Realität zurück. „Weil..." Ja wieso eigentlich? Weil alle ihn zu kenne schienen, er selbst jedoch kaum jemanden kannte? Weil alle von ihm erwarteten, dass er dort fortfuhr, wo seine Eltern aufgehört hatten? Weil alle an sein Geld wollten? „Ich fühle mich nicht wohl auf so grossen Veranstaltungen", war seine etwas mickrige Antwort. „Mhm, das kenne ich", stimmte Adara ihm in Gedanken zu. Als Prinzessin hatte sie natürlich auf jedem Fest Anwesenheitspflicht gehabt, was ihr nicht immer gefallen hatte. Natürlich liebte sie grosse Feste mit prächtigen Kleidern und Lichterketten, aber sie mochte es nicht, einer ihr unbekannten Masse auf einem silbernen Tablett präsentiert zu werden. Andererseits: Wer mochte das schon? Im Mittelpunkt zu stehen war nicht jedermanns Sache. Insbesondere wenn man nichts für dieses Privileg geleistet hatte und einfach dumm in der Gegend rumstand und grinste. Jedenfalls war es ihr immer so vorgekommen. Viel lieber mochte sie Feste, auf denen sie mit der tanzenden und schwimmenden Menge verschmolz und nur eine unter vielen war. Ganz egal ob sie nun die Tochter des Herrschers der Meere war oder nicht. „Was tut die Organisation deiner Mutter?", wollte Adara wissen. „Sie unterstützt von Armut betroffene Menschen in Drittweltländern. Sie verhilft vielen Menschen zu Essen und medizinischer Versorgung", erklärte Tom routiniert. Er hatte diese Antwort gefühlte tausend Mal abgegeben. Diese Worte waren ihm so vertraut, dass er sie sogar rückwärts hätte aufsagen können. „Das sind doch überaus ehrenwerte Taten", erwiderte Adara kopfschüttelnd. Sie konnte nicht verstehen, weshalb Tom dem so negativ gegenüber stand. „Ja schon, aber..." „Dann verstehe ich nicht, warum du eine so offensichtliche Abneigung gegen sie hast", fiel Adara ihm ins Wort. Daraufhin konnte Tom nichts erwidern. Er hatte schlicht und ergreifend nicht mit dieser Wendung gerechnet. Aber Fé hatte trotzdem mitten ins Schwarze getroffen. Er schluckte leer. „Es ist nicht gegen die Organisation gerichtet... Vielmehr an ihre Mitglieder", versuchte er sich rauszureden. „Was haben sie denn getan?", fragte Adara erneut und verständnislos zugleich. „Sie... nun ja, sie... Ich mag sie einfach nicht", druckste Tom herum, fuhr sich mit der Hand über den Nacken und Adara verschränkte die Arme vor der Brust. Sie hatte ja selbst auch nicht immer überall präsent sein wollen, war aber jedes Mal an das grössere Ziel und das gemeinsame Wohl erinnert worden, was sie Tom aber natürlich nicht sagen konnte. „Tom, hier geht es doch nicht darum, ob du gewisse Individuen magst oder nicht, hier geht es doch wohl darum Leuten zu helfen, die viel weniger haben als du, meinst du nicht?" Es war eine rhetorisch gemeinte Frage gewesen, deren Wirkung ihr Ziel nicht verfehlte. Man konnte Tom ansehen, wie er angestrengt überlegte, was er nun sagen sollte, ohne dass es überheblich oder geringschätzig klang. „Ich kann nicht hin, ich hab dann schon etwas vor", winkte er schliesslich mit einer Handbewegung ab. Adara lachte auf. „Mein lieber Tom, du weißt doch überhaupt nicht, wann dieser Sommernachtsball stattfindet, du hast ja noch nicht einmal den Umschlag geöffnet!", entgegnete sie empört. Dachte er eigentlich, dass er sie so einfach hinters Licht führen konnte? Tom beantwortete ihren Einwand mit einem Murren. „Es gibt hier einfach viel zu viel zu tun, ich kann nicht weg", versuchte er sich erneut aus der Affäre zu ziehen. „So charmant wie ein Stück Schwemmholz", seufzte Adara gerade so laut, dass Tom es hören konnte. Aber bevor er etwas darauf erwidern konnte, fuhr sie schon wieder fort: „Du wirst dein Haus auf den Klippen wohl für einen einzigen Abend alleine lassen können, oder? Und ausserdem bin ich ja auch noch hier!" „Ich kann dich doch nicht einfach so hier lassen! Und dann auch noch alleine!", widersprach Tom energisch. „Doch, kannst du!", erwiderte sie ebenso stur. „Und wenn ich dich nicht alleine lassen will?", fragte er mit schelmisch hochgezogenen Augenbrauen und einem selbstsicheren Ausdruck auf dem Gesicht. Er hatte wohl gedacht, ein Schlupfloch gefunden zu haben und das brachte Adara zum Schmunzeln. „Du willst da wirklich nicht hin, oder?", fragte sie lächelnd und schaute ihn aus ihren traumhaften Augen heraus an. „Am liebsten würde ich das Haus gar nicht mehr verlassen", gestand er ihr mit einem hoffnungslosen Seufzen. „Irgendwie hab ich immer das Gefühl, dass alle Leute so unglaublich oberflächlich sind. Früher hat mich das herzlich wenig interessiert. Ich war nie alleine gewesen, egal, ob ich nun Geld hatte oder nicht. Ich hatte meine Familie. Und jetzt, jetzt spüre ich, wie alle angekrochen kommen, wenn es ums Geld geht", sagte er abschätzig und mit gerümpfter Nase. „Das widert mich an. Das sind keine Freunde, verstehst du? Das sind geldgierige Leute mit leeren Worten, die von mir verlangen, dort weiterzumachen, wo meine Familie aufgehört hat." „Das kann ich ja noch verstehen", sagte Adara sehr leise zum Fussboden. „Diesen Leuten würde ich selbst ja auch kein Geld geben. Aber ist das hier nicht etwas anderes?" Sie hob den Blick wieder und hielt den Briefumschlag in die Höhe. „Ich meine, das ist die Organisation deiner Mutter! Da hast du doch sicher auch etwas zu sagen, nicht? Und wenn schon nirgendwo anders, kannst du dir dann nicht wenigsten hier sicher sein, dass das Geld gut angelegt ist?", fragte sie sanft. „Du verstehst das nicht, Fé...", begann er abwehrend. Mit Fé zu diskutieren war gar nicht mal so einfach, denn sie hatte wirklich gute Argumente parat. Sie wäre wohl die Einzige gewesen, die ihn hätte umstimmen können, das war ihm bewusst und genau das wollte er eigentlich nicht zulassen. Er wollte noch nicht zurück in die Welt, zurück ins tägliche Geschehen, in die Gesellschaft. Fé schnaubte zwar empört, liess aber trotz des leichten Kopfschüttelns ein Lächeln über ihre Lippen huschen. „Ich verstehe das nicht. Tom?", meinte sie und ein Mix aus Beleidigung, Empörung und Enttäuschung schwang in ihrer Stimme mit. „Meinst du, du seist der Einzige, der Probleme hat? Meinst du, du seist der Einzige, der sich abschottet und nichts vom Rest der Welt wissen will? Sich sogar davor versteckt, was draussen wartet? Ich kann dir sagen, wir sind uns viel ähnlicher, als du vielleicht glaubst, Tom", sagte sie und wurde dabei immer ruhiger. In Gedanken fügte hinzu: „Viel ähnlicher, als ich es glaubte." Tom schaute sie einen Moment lang an und verstand zum ersten Mal. Was Fé ihm da gerade gesagt hatte, brachte ihn zum Nachdenken. Er war ja nicht der Einzige auf der Welt, nicht einmal der Einzige in diesem Raum, der Familienmitglieder verloren hatte und der sich vor der gesamten Welt zu verstecken versuchte. Er war nicht der Einzige, der gerade Probleme hatte. Fé hatte recht. „Es Tut mir leid, Fé. Ich hab's nicht so gemeint." „Ich weiss", erwiderte sie noch leiser als Tom. „Ich weiss, wie du dich fühlst, mir geht's ja schliesslich nicht anders. Weißt du", sie atmete tief ein. „Mein Vater hat mir früher, als ich mal wieder nicht aus meinem Zimmer wollte, immer gesagt, dass es nicht nur einen einzigen kleinen Fisch im grossen Ozean gab. Dass mehr als ein einziges Riff oder eine einzige Küste auf der ganzen weiten Welt existierte. Dass sich das Universum nicht nur auf einen einzigen Ort und eine einzige Person beschränke. Er hat dann immer gesagt, dass aber dieser eine kleine Fisch das Leben vieler anderer verändern kann. Sowohl zum Guten, als auch zum Schlechten und dass die Entscheidung schlussendlich ganz alleine bei diesem einen kleinen Fisch liege, versteckt in seinem Zimmer zu bleiben oder hinauszugehen und die Welt zu verändern." Sie musste bei dieser liebevollen Erinnerung an ihren Vater lächeln und eine Träne wegblinzeln, die sich in ihre Augenwinkel geschlichen hatte. Tom hatte seltsamerweise wie gebannt dieser kleinen, fast schon banalen Anekdote gelauscht, unfähig sich zu rühren. „Weiss du, mein Vater war ein weiser Mann", fügte Adara mit strahlenden Augen hinzu und jetzt bahnte sich doch noch eine Träne ihren Weg über ihre Wange. „Wie schaffst du das nur, Fé?", fragte Tom ruhig, seinen Kopf kaum merklich schüttelnd. „Was?" „Wie kannst du nur so verdammt stark sein?" „Wie meinst du das?", erwiderte Adara mit dem Hauch eines Lachens. „Ich habe mehr als ein Jahr gebraucht, um so von meiner Familie sprechen zu können und du, du... bist so..." „Ich muss stark sein, Tom. Ich habe keine andere Wahl. Mein Vater ist tot, meine Geschwister in alle Himmelsrichtungen verstreut und das Meer...", antwortete sie etwas zu schnell. Tom wusste nicht, was er darauf hätte antworten sollen. „Vielen meiner Artgenossen geht es sehr viel schlechter als mir. Ich habe kein Recht zu weinen oder schwach zu sein." Sie hätte sich beinahe verplappert. Wieso fiel es ihr in Toms Gegenwart nur so verdammt schwer, sich auf das, was sie sagte zu konzentrieren? Es war jetzt schon das vierte Mal, dass sie ihm beinahe mehr gesagt hatte, als gut für ihn war. „Ich bin schliesslich dieser kleine Fisch, der die Welt verändern soll." Und dann brachen alle Dämme für einen kurzen Moment. „Das mit deinen Geschwistern wusste ich gar nicht", kam es von Tom, der betreten zu Boden starrte. „Ich weiss, ich hab's dir auch nicht gesagt", erwiderte Adara trocken und war damit beschäftigt, ihre Tränen wegzuwischen. Tom schnaubte wiederum verächtlich. „Was soll denn das bitte, Fé? Ich hab dir mehr von mir erzählt, als je einem anderen, aber du willst mir nichts über dich anvertrauen?" „Bitte verstehe mich nicht falsch, Tom, aber ich kann und darf dir nicht mehr sagen. Du..." „Ah ja, klar. Was ist denn das für eine dämliche Regel?", warf er ihr wütend und sichtlich genervt an den Kopf. Adara schloss die Augen. „Es ist Gesetz." Das schien Tom irgendwie den Wind aus den Segeln zu nehmen, denn er starrte sie mit offenem Mund an. Er wollte ihr gerade zu verstehen geben, wie dumm er sich vorkam, ihr sein Herz auszuschütten, aber nichts im Gegenzug zu erhalten, aber mit dieser Antwort hatte er definitiv nicht gerechnet. „Was für ein Gesetz?", fragte er etwas dümmlich. „Unser Gesetz", erwiderte sie mit immer noch geschlossenen Augen. „Es ist kompliziert...", fuhr sie fort und Tom zog die Augenbrauen zusammen. „Es gibt im Grossen und Ganzen eigentlich fünf Kerngesetze", erklärte sie mit zitternder Stimme. „Niemals an die Oberfläche schwimmen. Nichts essen, das von den Menschen kommt. Sich einem Menschen niemals nähern. Sich fernhalten von Netzen und Schiffen. Sich niemals auf einen Menschen einlassen", zitierte sie monoton und routiniert. Ihr waren diese Regeln jahrelang eingebläut worden, aber weshalb offenbarte sie das Tom nun alles? Ihr Vater hätte sie dafür hinrichten lassen. Ab diesem Moment wäre sie nicht mehr seine Tochter gewesen, wenn er nicht schon tot gewesen wäre. „Und dann gibt es noch das oberste Gesetz. Gebe niemals deine Identität preis", fügte sie mit brechender Stimme hinzu und Tom stutzte. „Wieso denn das?", fragte er unvermittelt und Adara schaute ihn lange an, bevor sie antwortete. „Wer die Identität einer Meerjungfrau kennt, kann sie jederzeit zu sich rufen", antwortete sie schliesslich leise und ein kalter Schauer kroch Tom den Rücken hoch. „Und du denkst, dass das wirklich geht?", fragte er skeptisch und versuchte dabei allen Spott aus seiner Stimme zu vertreiben. „Es geht nicht nur, es ist Gesetz. Ich spüre, dass ich seit dem Morgen, an dem du mich gefunden hast, gerufen werde. Aber da ich mich nicht im Wasser befinde, hat es keinen allzu grossen Einfluss auf mich", murmelte sie und traute sich kaum, Tom anzuschauen. „Dann reicht es, wenn ich dich beim Namen rufe und du bist gezwungen hierher zu kommen?", rekapitulierte er kurz. „Zu wissen, wie jemand heisst, bedeutet nicht, diese Person zu kennen", erwiderte Adara etwas enttäuscht und Tom bemerkte diese Enttäuschung nur einen kurzen Moment zu spät, um noch zu reagieren. „Wer ruft dich denn?" Adara schüttelte den Kopf. „Warum..." Wieder nur ein trauriger Blick als Antwort. „Fé, ich will dir doch helfen!", versuchte er ihr verzweifelt zu verstehen zu geben. „Das kannst du nicht, Tom. Du bist...", antwortete sie sanft und hätte beinahe ein 'nur' hinzugefügt. „Ein Mensch. Du hast keine Ahnung von meiner Welt. So glaube mir doch! Ich würde dir nur zu gern mehr sagen, dir so vieles erzählen, aber dann wärst du eine Gefahr für mich und meine Art", erklärte sie verzweifelt mit den Händen gestikulierend und fügte traurig hinzu „und nicht zuletzt auch für dich selbst." Dann liess sie ihre Arme, die nun hilflos in der Luft schwebten, fallen. Stumm assen sie ihr Frühstück zu Ende und keiner wagte es, noch weiter auf dieses Thema einzugehen. Doch Tom konnte eines nicht auf sich sitzen lassen. „Siehst du? Genau das meinte ich. Genau das passiert, wenn man Leuten vertraut. Man wird hintergangen und beschissen. Ich hab einfach keine Lust dazu, wieder unter Leute zu gehen, basta." „Tom", begann Adara sanft, als er sich abwandte, doch er machte sich nicht die Mühe, ihr auch nur Beachtung zu schenken. „Tom", wiederholte sie lauter und strenger. „Ich schwöre dir, ich ersetze dir jeden einzelnen Penny, den du am Sommernachtsball für soziale Zwecke spendest", sagte sie langsam und so würdevoll, dass Tom stehengeblieben war und sich langsam zu ihr herumdrehte. Er keuchte auf, als er lächelte. „Wie grosszügig, aber woher willst du das Geld denn nehmen?", fragte er, vielleicht ein wenig vorwurfsvoll. Ihr Angebot belustigte ihn auf eine seltsame Weise. Adara hingegen fand die ganze Situation überhaupt nicht witzig. Sie reckte ihren Hals. „Ich habe meine Mittel, mach dir darum keine Sorgen", gab sie mit herausforderndem Blick zurück. Da war es wieder. Dieses prinzessinnenhafte Etwas, das Adara so tief unter der Oberfläche ihres Seins vergraben hatte. Diese Seite an ihr, die sie immerzu gehasst, aber niemals hatte ablegen können. Sie war eben die Tochter ihres Vaters, daran liess sich nichts ändern. Tom blieb unbeeindruckt, zog nur eine Augenbraue hoch. „Ach ja? Die würde ich gerne mal sehen, deine Mittel", gab er etwas spöttischer zurück, als er es eigentlich beabsichtigt hatte. Um Fé's Mundwinkel zuckte es einen winzigen Augenblick lang, doch dann faltete sie ihre Hände zusammen und als sie sie wieder auseinandernahm, lag ein tiefblauer Stein darin. Tom fielen vor Erstaunen beinahe die Augen aus dem Kopf. „Zufrieden?", fragte Adara knapp und mit einer Härte in der Stimme, die beide gelichermassen erschreckte. „Ein echter Aquamarin. Ist ganz schön was wert, wenn ich mich nicht täusche." Tom stockte der Atem. Wie hatte sie das bloss gemacht? Er sah sie entsetzt an und schluckte seine Frage hinunter, als er ihren Blick auffing. Er war kälter als sonst, fremd und unterkühlt. Sie streckte ihm den Edelstein entgegen, doch Tom zögerte. „Nimm ihn schon", forderte Adara ihn etwas sanfter auf. Er schaute sie mit leeren Augen an und wusste nicht, was er sagen sollte. „Ist schon gut, er gehört dir", beteuerte Adara und drückte ihm den kalten Stein in die Hand. Er neigte den Kopf und starrte das reine, blaue, kleine Ding in seiner Handfläche an, schluckte schwer. Seine Kiefermuskulatur arbeitete. War das ihr Ernst? Sie wollte ihn dafür bezahlen, dass er auf seine eigene Party ging? Eigentlich war es eine überaus süsse und herzliche Geste von ihr, doch zwischen ihnen war kurz zuvor irgendetwas zerbrochen, von dem er sich nicht sicher war, ob er es wieder würde reparieren können. Dann hob er seinen Kopf wieder und schaute in das ebenso blaue und reine Augenpaar ihm gegenüber. Er brachte immer noch kein Wort hervor, doch er erkannte in ihrem Blick, dass sie all das, was er ihr sagen wollte, jedoch in dem Moment nicht konnte, verstanden hatte. Wie seltsam ihn ihre Anwesenheit zur gleichen Zeit beruhigte und doch beunruhigen konnte.
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Mermaid Summer
FantasyTom's Unglück begann vor etwa einem Jahr, als er zusehen musste, wie seine Familie in einem schrecklichen Brand ums Leben kam. Als einziger Überlebender schlägt er sich mit heftigen Depressionen und Albträumen herum und kann einfach nicht glauben, d...