„Freuen Sie sich denn gar nicht?", holte Henrys besorgte Stimme sie wieder in die Realität zurück und Adara schaute ihn nach einer halben Ewigkeit wieder an. „Wie bitte?", fragte sie etwas verwirrt, völlig aus dem Zusammenhang des Geschehens gerissen und offensichtlich noch immer ihren eigenen Gedanken nachhängend, während sich ihr Blick langsam wieder etwas klärte. „Ob es Sie denn nicht glücklich macht, dass wir heute so viel erfolg hatten", wiederholte Henry und musterte sie mit einem aufmunternden Lächeln im Gesicht, das seine abertausende, winzige Fältchen zum Vorschein brachte. „Natürlich freut es mich", beeilte sich Adara ihm zu versichern, kam dabei jedoch nicht ganz so überzeugend rüber, wie eigentlich gewollt. Sie hasste es, ihren Gemütszustand nicht mehr wie sonst immer unter Kontrolle zu haben. Ihn nicht mehr verstecken zu können. Die Menschen schienen etwas in ihr bewirkt zu haben, was es ihr schwer machte, sich zu verstellen. Tom, Henry und Maria schienen problemlos hinter ihre Maske sehen zu können und sie wollte gar nicht erst herausfinden, ob das auch alle anderen ihrer Art konnten. „Sind Sie sicher?", hakte Henry nun schon etwas besorgter nach und eine tiefe Falte hatte sich auf seiner Stirn gebildet. „Natürlich bin ich mir sicher", erwiderte Adara leise und senkte den Blick. „Es ist nur... Es beunruhigt mich auch, zu wissen, dass es Menschen gibt, die uns Böses wollen", fügte sie noch viel leiser hinzu und spielte krampfhaft mit ihren Fingern. Henry legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Die wird es immer geben. Aber ich werde nicht zulassen, dass Ihnen oder Master Thomas je etwas wiederfahren wird, darauf gebe ich Ihnen mein Wort." Und obwohl dieses Versprechen sie nicht vollends beruhigen konnte, wagte Adara es doch auch nicht, dem Butler zu wiedersprechen. Natürlich hatte er es nur gut mit ihr gemeint und sicherlich würde er alles in seiner Macht stehende tun, um sein Wort zu halten, aber dennoch wisperte eine kleine, fiese Stimme in Adaras Gedanken, dass der alte Mann auch beim letzten Mal nichts hatte ausrichten können. Dass ein dutzend Menschen gestorben waren und er es nie und nimmer hätte verhindern können. Und wenn Tom nun etwas in seiner Zelle widerfuhr, wenn er starb oder verletzt wurde, dann hätte weder Henry noch sie selbst irgendetwas dagegen unternehmen können. Und auch deshalb war sie mit ihrer doch recht beeindruckenden Leistung und der Ausbeute des Tages nicht wirklich zufrieden. „Wie viel haben wir schon zusammen?", ereiferte sie sich dann aber doch noch zu fragen, denn dieses Essenzielle Detail hatte sie wohl überhört haben müssen. „Ich weiß es noch nicht genau, Miss Adara. Aber wir werden die Checks noch heute zur Bank bringen und sie einlösen. Heute Abend wissen wir es dann genau", antwortete Henry milde und war für diesen einen kurzen Augenblick tatsächlich so alt, wie er aussah. Aber dieser Eindruck verflog bald und als er kurz darauf wieder aufs Gaspedal trat und sich der Bentley schnurrend über die asphaltierte Straße in Richtung Norden zog, verlor sich Adara wieder in ihren Gedanken, die sich immerzu um Tom und ihre Geschwister drehten, um Mörder und Attentäter und schwarze Gestalten, die sie nun noch nicht zu identifizieren wusste.
„Zweihundertdreiundachzigtausend Euro", verkündete Henry stolz und reichte Adara den Zahlungsbeleg der Bank, der die Buchung auf ihrem Konto bestätigte. Adara nahm das Papier etwas unschlüssig entgegen und betrachtete die Zahl, die schwarz auf weiß ihre ersten Erfolge verewigte. Doch sie freute sich nicht. Im Gegenteil, auf ihrer Stirn hatte sich eine tiefe Furche gebildet. Sie schien bedrückt und das entging auch Henry und Maria nicht. Doch der Butler hakte diesmal nicht nach. Nur Maria verstand Adaras Reaktion nicht ganz. „Es reicht einfach noch nicht. Das ist alles. Das ist ein Hundertstel von dem, was wir zusammenbringen müssen", erklärte Adara knapp und leise, als Maria sie verständnislos und kopfschüttelnd musterte. In den folgenden Tagen wiederholte sich das ganze Schauspiel noch etliche Male und Adara hörte auf mitzuzählen, hörte auf, sich beim Lügen schlecht zu fühlen und auch damit, zu lachen. Als sässe ihr die Pistole im Nacken hetzte sie Henry und Maria von einem Händler zum nächsten, legte sich abends schlafen und stand morgens in aller Frühe wieder auf, um wieder auf Verkaufstour zu gehen. Alle Ruhe und Ausgeglichenheit schien mit jedem verkauften Aquamarin mehr von ihr zu weichen und auch die Freude war ein immer seltener gesehener Gast in ihrem Wesen. Doch die Haushälterin und der Butler verstanden das und nahmen Rücksicht. Auch ihnen wurde es mulmig in der Magengrube, wenn sie an ihren Arbeitgeber dachten, der zu unrecht hinter Gittern hockte.
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Mermaid Summer
FantasyTom's Unglück begann vor etwa einem Jahr, als er zusehen musste, wie seine Familie in einem schrecklichen Brand ums Leben kam. Als einziger Überlebender schlägt er sich mit heftigen Depressionen und Albträumen herum und kann einfach nicht glauben, d...