20. Unangenehmer Besuch

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"Henry", begann Tom, sprach jedoch nicht weiter, als er die Herren hinter seinem Butler erblickte. "Besuch für Sie, Sir", meinte der ältere Mann mit dem angegrauten Haarschopf nur kühl und trat zur Seite, sodass die zwei uniformierten Beamten eintreten konnten. Adaras Herz setzte einige Schläge lang aus. Was wollten diese Männer hier? Ungewollt klammerte sie sich an Toms linken Arm, trat einen kleinen Schritt zurück, fort von den Fremden, die ihr so bedrohlich und unheimlich erschienen. Je mehr Menschen sich nach und nach hier einfanden, umso unwohler und bedrängter fühlte sie sich. Und diese beiden Herren waren offensichtlich nicht des Spaßes halber hier. Wenn sie nun herausgefunden hatten, wer sie war und sie fortbringen wollten? Wenn sie sie einsperrten? Was sollte sie tun? Aber nein. Sie konnten nicht wissen, wer sie war. Das war einfach unmöglich. Tom hätte niemals... "Mister Right, wir bitten Sie darum, uns zu begleiten", sagte der eine Mann auf einmal. Adara verstand die Welt nicht mehr. Tom? Ihr Kopf flog von den Männern in Uniform zu Tom herum. Ihr Blick blieb verunsichert an ihm hängen. Doch Tom schien sich im Gegensatz zu ihr noch nicht einmal angesprochen zu fühlen. Im Gegenteil. Er stand einfach nur da. Wie eine dieser weißen Statuen, die sich auf dem Meeresgrund sammelten und still und heimlich Algen ansetzten. Nur seine Kiefermuskulatur arbeitete. Er hatte seine Augen starr auf die Beamten gerichtet. "Weshalb?", fragte er scharf und war plötzlich wieder der unnahbare Mann, der Adara so viel Angst einflößen konnte. Auch die Polizisten schienen sich zunehmend beklemmter zu fühlen. Der eine, ein etwas kleinerer, leicht untersetzter Mann, verlagerte sein Gewicht vom einen aufs andere Bein und kratzte sich nervös am vollen, dunklen Schnurrbart. Der andere, größer und muskulöser gebaute der beiden hielt Toms Blick kühn stand, blieb breitbeinig in der Raummitte stehen. "Das wird Ihnen der leitende Inspektor auf dem Revier schon sagen. Wenn Sie freiwillig mit uns mitgehen, wird Ihnen ein angenehmer Aufenthalt...", sagte er, doch Tom unterbrach ihn mit einem Handzeichen. "Ich gehe nirgendwo hin", erklärte er bestimmt und schaute die beiden Männer in seinem Wohnzimmer herausfordernd an. "Dann nehmen wir Sie hiermit offiziell fest", erwiderte der grössere Beamte ebenso bestimmt und kam einen Schritt auf Tom und Adara zu. Toms Hand umfasste Adaras hinter seinem Rücken. In den Augen des Beamten schimmerte ein seltsamer Glanz, der Adara die Galle aufstossen liess. Ein Lächeln der Genugtuung huschte über das behaarte Gesicht. Doch dann schaltete sich Henry ein. "Officer, ich bitte Sie, Officer! Es ist doch nun wirklich nicht nötig, diesen anständigen, jungen Herrn auf derartige Weise zu bedrängen. Sie sehen bestimmt, dass er Besuch hat, nicht wahr?", versuchte er den schrankartigen Mann zu beruhigen, was ihm jedoch nicht sonderlich gut gelang. Immerhin war dieser nun stehengeblieben und schaute sich zu Henry um, der ebenfalls wie eine Marmorstatue dastand. "Natürlich sehe ich das", erwiderte er und wandte sich dann an direkt an Adara, die deswegen fast in Ohnmacht gefallen wäre. "Entschuldigen Sie bitte, Miss", sagte er jedoch nur. Hätte er nach ihrem Namen gefragt, sie hätte nicht gewusst, was zu antworten. Und hätte er sie gleich auch noch mitnehmen wollen, sie hätte es Henry nie verziehen. "Und nun, Mister Right, gehen wir", zischte der Polizist und fasste Tom am Arm, der sich jedoch gegen den groben Griff wehrte und sich wieder losmachte. "Ich komme bald wieder", flüsterte er Fé noch zu, bevor er sich von ihr abwandte. Ein letztes Mal drückte er noch sanft ihre Hand hinter seinem Rücken. Dann ließ er sie los und ging an den Männern in Uniform vorbei, als wäre es das Normalste auf der Welt. Die letzteren folgten ihm, wobei der kleinere der beiden etwas verdutzt aus der Wäsche schaute. Sie folgten ihm durch die Tür hinaus und bald hörte man, wie auch die Haustür geschlossen wurde. Sie hinterließen nur eine dumpfe Stille, in der Adara nun perplex und sprachlos stand und nicht wusste, was sie noch tun konnte. Einige Minuten vergingen auf diese Weise, bis sie zumindest ansatzweise verstand, was gerade passiert war. Und irgendwann räusperte sich Henry in ihrer Nähe und holte Adara somit wieder ganz in die Realität zurück.

„Miss, die Umstände tun mir leid, aber vielleicht möchten Sie sich erst einmal duschen, während wir versuchen, Master Thomas aus dieser misslichen Lage zu...", meinte er und hütete sich davor, befreien zu sagen. Doch Adara war schon beim Wort duschen zusammengezuckt und hatte sich ängstlich und panisch zu ihm herumgedreht. „Nein", keuchte sie so schnell, dass sie sich im nächsten Moment am liebsten selbst ein gescheuert hätte. Sich in Toms Gegenwart zu versprechen, war noch eine Sache. Er kannte ihr Geheimnis schließlich. Aber den kalten und unberechenbaren Henry auf ihre Spur zu bringen war nun echt das Letzte, das sie tun wollte. „Nein, ich... ich kann jetzt nicht duschen", fügte sie rasch hinzu, setzte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck auf und versteckte sich dahinter. Henry beäugte sie misstrauisch, sagte aber nichts mehr. Irgendwann hielt Adara es nicht mehr aus und rauschte aus dem Raum, lief die Treppe hoch und verschwand in dem Zimmer, in dem Tom sie untergebracht hatte. Sie sah nicht mehr, wie Henrys Blicke sich in ihren Rücken bohrten und wie er sich nachdenklich am Kinn kratzte. Für den Butler stand fest: irgendetwas stimmte mit diesem Mädchen nicht.

Mermaid SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt