44. Tom vor Gericht

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    „Und diese gewisse Adara Faè Cahaya ist zur Zeit nichterreichbar?", fragte der Richter mit in die Höhe gezogenen Augenbrauen. Tom,der an der Zeugenschranke stand, schüttelte verneinend den Kopf. „Leider nein,Sir. Sie ist vor fast zwei Monaten im Rahmen der Wohltätigkeitsorganisationmeiner Eltern – Gott habe sie selig – nach Indien geflogen und leistet dortgerade ehrenamtlichen Dienst in einem Kinderhospital", sagte er ohne wirklichdanach gefragt worden zu sein, aber Richter Shane nahm es nicht so eng undmahnte ihn nicht deswegen. „In Indien, sagen Sie also, Mister Right?", hakte ernach und schien nicht wirklich überzeugt zu sein, aber Tom nickte bestimmt. Erwar auf Henris Deut schlussendlich darauf gekommen, was es mit der ganzenVerbeugerei am Sommernachtsball-Abend auf sich gehabt hatte, auch wenn ihmAdaras wahre Identität noch immer entging. Er nahm an, dass Meermenschen sichuntereinander anhand irgendwelcher geheimen Zeichen erkannten und sich deswegeneinige Leute vor Fé verbeugt hatten und andere wiederum nicht – so als geheimesGegenzeichen oder so. Jedenfalls hatte er den Vorstandspräsidenten ClarencePerry Rattonburgh daraufhin um ein wasserdichtes Alibi für Fé gebeten, als dieVorladung zur Hauptverhandlung in sein Haus geflattert war. Wie sehr war ererschrocken, als er den mysteriösen Brief vom Landesministerium – adressiert anAdara Faè Cahaya – in den Händen gehalten hatte und sie nicht da gewesen war.Und nun zahlte sich seine Umsicht aus, denn bis zum heutigen Tag war sie nochnicht zurückgekehrt. Fast zwei Monate war es nun schon her, dass er sie hattegehen lassen und jedes Mal, wenn er wieder daran dachte, schmerzte es ihnheftiger in seiner Brust. Richter Shane räusperte sich in diesem Moment undriss Tom aus seinen Gedanken. „Und in Indien haben sie weder Internet nochTelefon, oder weshalb war sie nicht erreichbar?", fragte er und drehte sich aufseinem imposanten Ledersessel zu Tom. „Das Dorf liegt ziemlich abgeschieden undhat noch keine funktionsfähigen Stromleitungen. Deswegen fallen Telefon undelektronische Geräte im Allgemeinen leider fort, Euer Ehren", entgegnete er undzuckte entschuldigend mit den Schultern. „Nun dann, wir werden die Verhandlungohne sie weiterführen und ihre Aussage zu einem späteren Zeitpunkt einholen müssen",meinte der Mann mit der weißen Lockenperücke und schlug mit dem glänzendenHolzhammer auf die dafür vorgesehene Unterlegscheibe. „Thomas Reginald Right,Sie werden noch immer des Mordes an Rosalia und Paul, sowie Gregory, William,deren Ehegattinnen Mila und Kassandra, Philippe, Abygail, Frieda, Archibald,Josephine, Milena, Adeline, Elise und Michael Right beschuldigt, haben Sie dazuetwas zu sagen?" Tom erhob sich, als er zu sprechen begann. „Jawohl,ehrenwerter Richter Shane, dazu habe ich in der Tat etwas zu sagen. Wie schonvor einem Jahr plädiere ich auf Freispruch. Ich wurde in den letzten dreiMonaten selbst Opfer zweier Mordanschläge, welche beide mit Hilfe ziemlichidentischer Rohrbomben ausgeführt wurden. Dies und die Tatsache, dass meineAngehörigen ebenfalls durch eine Explosion ihr Leben lassen mussten, lässt michannehmen, dass auch sie ermordet wurden", erklärte er und schaute zielstrebiggeradeaus. Unter den Zuschauern saß in den hinteren Reihen der OberkommissarVincent Roderick und verfolgte das Geschehen mit verschränkten Armen. Natürlichwar er von Tom's Schuld überzeugt, schließlich würde es einen riesigenKarrieresprung für ihn bedeuten, wenn der Right-Erbe hinter Gitter wanderte unddas allein nur ihm zu verdanken war. So jedenfalls schlussfolgerte Tom. „Außerdemhatte ich kein Motiv, euer Ehren. Das Geld interessiert mich nicht. Ich lebenicht auf großem Fuß", fügte er leiser hinzu. „Das sind schwereAnschuldigungen, die Sie da hervorbringen, Mister Right", mischte sich der Staatsanwaltnun ein und kam auf die Zeugenschranke zu. „Haben Sie irgendwelche Beweisedafür?", fragte er und erinnerte stark an einen Aasgeier, der nur daraufwartete, sich auf seine Beute stürzen zu können. Aber Tom hatte sichvorbereitet. Ein Zeichen an seinen Anwalt genügte und dieser ließ seinenAktenkoffer aufschnappen. „Ja, die habe ich in der Tat", erwiderte er und legteeine Kunstpause ein, in welcher sein Rechtsbeistand die Bilder aufhängte.„Links sehen Sie die Rohrbombe, die in meinem Haus gefunden wurde, kurz nachdemein Wasserrohrbruch die untere Etage geflutet hat. Sie ist offensichtlich nichtdetoniert und hat wahrscheinlich zur Verstopfung in den Leitungen geführt",berichtete er. Der Staatsanwalt nickte langsam. „Und woher wussten Sie, dass essich dabei um eine Bombe handelte", hakte er einige Sekunden später nach, alsder Satz endlich den Weg über seine Lippen gefunden hatte. „Oh, das wusste ichnicht", gestand Tom. „Ich befand mich zur Zeit im Haus, als die Rohre brachenund bin dann von dort weg." „Waren Sie alleine?" Kurz geriet Tom aus demKonzept. Was sollte diese Frage nur? Im ersten Moment war er dazu geneigt, zubejahen. Aber schließlich verneinte er doch. „Nein, Fé war bei mir. Ihr ging esnicht gut und als dann auch noch das Wasser überall stand, bin ich mit ihr rausund mit dem Auto weg. Die Bombe wurde mir erst einige Tage später auf demPolizeipräsidium vorgelegt von Oberkommissar Roderick dort drüben", erklärte erund deutete in die Menge der Zuschauer, woraufhin sich alle zu dem Bezeigtenhin umdrehten. Und nun schaltete sich auch Toms Anwalt ein und fuhr fort: „Darfich an dieser Stelle anmerken, dass Mister Rights Menschenrechte während diesermehrtägigen Untersuchungshaft mehrmals verletzt wurden? Dies wurde natürlich auchfachmännisch festgehalten." Und weitere drei Bilder nahmen an der weißenSchautafel platz. Sie zeigten Toms verschlagenes Gesicht mit der aufgeplatztenOberlippe und dem violett-blauen Auge, seine geprellten Rippen und auch einefußballgroße Verfärbung auf seinem Oberschenkel. „Diese Verletzungen wurdenoffenbar durch die Mitarbeiter der Wache verursacht, da Mister Right nicht zurKooperation willig gewesen war", ergänzte er und wieder drehten sich alle zumOberkommissaren Roderick um. Diesem wurde es immer ungemütlicher imGerichtssaal, doch etwas dazu zu sagen, fiel ihm auf die Stelle nicht ein.Dafür sprang der Staatsanwalt sofort zur Stelle. „Wenn das wirklich wahr wäre,wäre das ein handfester Skandal, können Sie die Täter denn Identifizieren?"Abwartend musterte er Tom, der jedoch schlussendlich verneinen musste. Dafürwar es einfach zu lange her, außerdem war es dunkel gewesen. „Also können Siedie Täter nicht eindeutig wiedererkennen?", stellte der Richter sogleich dieGegenfrage. Es wurde ruhig im Gerichtssaal, man hätte eine Stecknadel fallenhören können. „Ich vermute ja eher", ergriff der Staatsanwalt dann wieder dasWort „dass diese Adara etwas mit dem Ganzen zu tun hatte. Schließlich war sieauch anwesend und hätte die Bombe deponieren können. Und außerdem..." Etwas an seiner Art gefiel Tom ganz und garnicht. Der Staatsanwalt versuchte nun alles so zu drehen, dass Fé in die Engegetrieben wurde – trotz ihrer Abwesenheit. Tom verfolgte den Mann in derschwarzen Gerichtsrobe, die bei jedem seiner langen, abgemessenen Schritte neueFalten warf, während er ihm den Rücken zudrehte. „Außerdem ist überhaupt nichtbewiesen, dass diese aufgeführten Verletzungen tatsächlich von der Polizeiwachestammen. Sie könnten ebenso gut von jemand anderem zugefügt worden sein.Vielleicht sogar von Mister Right selbst?" Noch bevor der Staatsanwalt den Satzzuende gesprochen hatte, hatte Tom's Anwalt schon lautstark Protest dagegeneingelegt. „Einspruch, Euer Ehren! Das ist Verleumdung und Mutmaßung! Außerdemhaben wir drei Zeugenaussagen, die Mister Right's Version bestätigen." Er warvon seinem Platz aufgesprungen, doch seine Miene war eisern wie immer, einundurchschaubares Pokerface vom Feinsten. „Standgegeben. Herr Staatsanwalt,bitte unterlassen Sie das. Die Jury wird dazu aufgefordert, der vorangegangenenBemerkung keine Aufmerksamkeit zu schenken." Murmeln ging durch den Raum, diezwölf Jurymitglieder notierten je etwas auf ihre Blöcke, miteinander zusprechen war ihnen während der Gerichtsverhandlung untersagt. Einedunkelhäutige Frau um die dreißig schien besonders fleissig zu schreiben, fielTom auf. Ihr Stift flog nur so übers Papier und er fragte sich, ob sie wohl dengenauen Wortlaut mitschrieb und ob sie das nicht lieber den Gerichtsdienernüberlassen wollte. Doch dann sah er die fast schon spöttisch gekräuseltenLippen des Staatsanwaltes. „Sie haben – um genau zu sein nur einen einzigenZeugen, mein verehrter Kollege, nämlich den Arzt, der das Zeugnis ausgestellthat. Da Sowohl Henri Carmicle als auch Maria Mambouané von Mister Right fürihre Dienste bezahlt werden, sind ihre Aussagen so gut wie als nichtig zubetrachten. Und darf ich daran erinnern, dass der Arzt erst im Nachhinein – alsdiese Verletzungen also schon beinahe wieder am Abheilen waren – ein Gutachtenausgestellt hat?" Er deutete mit der flachen Hand auf die Bilder am Whiteboard.„Aber nur weil ich davor in einer Zelle gesessen hab!", presste Tom zwischenzusammengebissenen Zähnen hervor. Ihm platzte bald der Kragen. Warum nurschienen alle etwas gegen ihn zu haben? „Sagen Sie mir doch, Mister Right, wieviel Zeit haben Sie genau in Polizeigewahrsam verbracht?", wollte er nun wissenund kam wieder an die Zeugenschranke heran. Tom überlegte. „Ich weiß es nichtgenau", antwortete er langsam. „Wie darf ich das verstehen?", entgegnete seinGegenüber sogleich stirnrunzelnd. Der Typ würde nicht so leicht lockerlassen. „Ichdenke so an eine Woche, vielleicht", mutmaßte Tom und grub noch tiefer inseiner Erinnerung. Wie viel Zeit mochte er wohl dort verbracht haben? „Ich kannes Ihnen sagen. Sie waren genau sechs Tage dort, Mister Right. Kann es sein,dass sie schon mit diesen Verletzungen, die wir dort drüben sehen können, aufder Wache eingetroffen sind?", fragte er nun und Tom verneinte sofort. „IhrWort in Ehren, Mister Right, aber es scheint mir doch sehr suspekt zu sein, dasGanze." Der Staatsanwalt wandte sich zu Tom's Anwalt um, der ihn mürrischmusterte und fuhr dann fort. „Unser Job ist es, der Wahrheit auf den Grund zugehen und deswegen ist es unsere Pflicht, herauszufinden, was stimmt und wasnicht. Stellen wir doch eine Hypothese an: Nehmen wir an – und ich spreche hiernicht von Ihnen im Spezifischen, Mister Right – aber nehmen wir doch einmal an,ein Mann erbt auf einen Schlag sehr viel Geld. Gleichzeitig sterben alleanderen Miterben. Sieht das nicht seltsam aus? Und dann taucht eine ominösejunge Frau auf, von der noch nie jemand zuvor gehört hat und kurz darauf werdenzwei Bombenanschläge im unmittelbaren Umfeld verübt, beide in unmittelbarer Näheder jungen Frau, der Mann wird verprügelt und am Tag der Gerichtsverhandlungist jene Frau dann unauffindbar. Meiner Meinung nach stinkt da doch etwas zumHimmel, finden Sie nicht auch? So ganz rein hypothetisch?" Er ließ seineAugenbrauen in die Höhe zucken. Leider musste Tom zugeben, dass derStaatsanwalt in gewisser Weise Recht hatte. Es sah von außen betrachtettatsächlich verflixt seltsam aus. „Adara würde mir nie etwas antun", entgegneteer mit gerunzelter Stirn aus der Not heraus, etwas sagen zu müssen, obwohl erkeine Worte fand. Der Staatsanwalt schnaubte und schüttelte ungläubig den Kopf.„Wie lange kennen Sie die Dame denn schon?", fuhr er fort und Tom mussteschlucken. „Drei Monate", gestand er. „Und Sie würden Ihre Hand für Miss Cahayains Feuer legen? Wie kommt das?" Verzweifelt schaute Tom zu seinem Anwalt, dermit hängenden Schultern einfach nur dastand und zurückstarrte. Er konnte alsonichts dagegen tun. Die Wendung dieses Verfahrens gefiel ihm ganz und garnicht. Tom wandte den Kopf zur Seite. Ihm wurde in diesem Moment so unglaublichheiß, dass er sein Jackett ausziehen musste. „Sie würde mir nie etwas antun.Sie wäre selbst beinahe gestorben, als die zweite Bombe hochging", sagte erstattdessen, doch das war nicht, worauf der Staatsanwalt gewartet hatte.„Beantworten Sie bitte einfach die Frage", meinte er nachdrücklich und musterteTom über den Rand seiner Brillengläser hinweg. Tom wurde schwindlig.Schweißbäche rannen über seine Stirn und seine Kehle war auf einmal so trockenwie Schmirgelpapier. „Mister Right?", hakte nun auch der Richter nach, als Tomnicht antwortete und als er bemerkte, wie Tom – nun schon kreideweiß im Gesichtund auf die Zeugenschranke gestützt dastand, befahl er den Gerichtsdienern, ihnhinauszubegleiten. Schlussendlich wurde der Prozess vertagt und Tom, der kurzdarauf auf dem Flur ohnmächtig zusammengebrochen war, mit Blaulicht insKrankenhaus nach Dublin gebracht. 

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Quatsch XD will euch diesmal ausnahmsweise nicht noch zuspammen und lasse es deshalb einfach mal ;) 

Auf Kommentare antworte ich allerdings immer gerne und fleissig! :D 

<3   

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