78. Monotonie des Palastlebens

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Ich hab so ein süßes Fan-Art von Fenpixx bekommen :3 Mit ihrer Erlaubnis möchte ich euch das gerne zeigen, es ist einfach umwerfend <3 

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Nach einer weiteren schlaflosen Nacht zerrte sich Adara am Morgen des zehnten Tages ohne Nachricht von Tom aus dem Bett und begab sich wie jeden Tag vor ihr kleines Fenster, aus dem sie nicht mehr als bloße Blicke werfen konnte. Unzählige Male hatte sie nun schon versucht, sich über die Worte des Orakels hinwegzusetzen, war jedoch jedes einzelne Mal kläglich gescheitert. Als wäre das Fenster gar kein Fenster, sondern nur ein weiteres Stück kalte Steinwand, gegen die sie sich mit alles Wucht geworfen hatte. Gestern wäre es ihr fast gelungen, das silberne Medaillon endlich mit dem Zauber zu belegen, der ihr Bildnis in sein Herz meißelte, doch dann war alles den Bach hinunter gegangen. Sie war auch damit erneut gescheitert. Nichts wollte ihr mehr gelingen, noch nicht einmal schlafen konnte sie. Draußen dämmerte es. Nun ja, es wurde jedenfalls heller, eine Sonne hatten sie ja nicht. Das Licht wurde von Abermillionen Luminophoren Kristallen erzeugt, welche die Wände der riesigen Unterwasserhöhle, in der die gesamte Stadt lag und deren einziger Zugang das enge Höhlenlabyrinth darstellte, auskleideten. Wie das genau funktionierte, wusste sie selbst nicht. Es war eines der Geheimnisse dieses Ortes und würde es wohl auch für immer bleiben. Was zählte, war das Licht, das es hier unten eben gab.

Bald kam Marlene. Sie klopfte an und öffnete die Tür, die von nun an unverschlossen blieb. Adara ließ die morgendliche Prozedur über sich ergehen, ließ sich bürsten und die Spuren der Erschöpfung aus dem Gesicht wegretuschieren. Schließlich zog ihre große Schwester sie wie ein Kind an der Hand nach draußen und die langen, schier unendlichen Flure entlang bis in ein großes Zimmer, in dem das Frühstück serviert wurde. Doch Adara brachte keinen Bissen hinunter. Sie schob den Teller wortlos von sich und glitt von ihrem Stuhl. Marlene protestierte: „Du musst doch etwas essen." Aber Adara winkte ab. „Was ist der nächste Punkt auf der Liste?", fragte sie nur tonlos. Die Leere, die in ihren Augen lag, erschreckte Marlene so sehr, dass sie nicht weiter insistierte, sondern ihrer Schwester wortlos folgte. Sie gelangten in den Thronsaal, wo – wie jeden Tag – viele Leute warteten. Adara nahm auf dem Thron Platz, diesmal mit penibelst geradem Rücken und im Schoss gefalteten Händen und auch wenn sie nicht einmal mit halben zuhörte, was die Leute reihum von ihr wollten, so schaute sie doch nach jeder Bitte teilnahmslos zu Marlene hinüber, die von da an das Ruder übernahm und den Leuten Rede und Antwort stand. Eigentlich hätte dieser ganze politisch Apparat auch sehr gut ohne Adara funktioniert und sie war sich ihrer rein repräsentativen Rolle durchaus bewusst, doch sie tat es Marlene zuliebe. Ihre Schwester hatte im Grunde ja recht. Dass sie hier zu sein hatte, war einzig und allein die Schuld des Orakels, das wohl kaum eine härtere Strafe für sie hätte ersinnen können. Und schließlich war sie an diesen Ort zurückgekehrt im vollen Bewusstsein der Konsequenzen, sie hatte sich um den Namen ihrer Familie reinzuwaschen dem Urteil des Orakels unterzogen, und nun war sie hier. Von allen möglichen harten und unbarmherzigen Strafen war sie ausgerechnet zur neuen Königin gemacht worden. Sie, die doch überhaupt nichts anderes wollte, als mit Tom ein glückliches Leben an Land zu führen. Die öffentlichen Audienzen dauerten auch an diesem Tag eine schiere Ewigkeit, doch Marlene schien sie alle souverän und mit viel Geduld und Nachsicht zu meistern. Keinen einzigen Fischmenschen sah Adara den Thronsaal mit einem missmutig Gesichtsausdruck verlassen – was sie ja beim letzten Versuch schon beim allerersten geschafft hatte. Diesen Armageddon, oder wie auch immer der Typ geheißen hatte, sie hatte ihn ganz schön auf die Palme gebracht. Der Morgen zog sich dahin wie der sich zur Teilung vorbereitende Körper einer Süßwasserhydra. Irgendwann – Adara war beinahe im Sitzen eingeschlafen nach einer zweistündigen Diskussion mit einem Händler – wurden die Leute aber endlich nach Hause geschickt mit den Worten, sie sollten es doch am nächsten Tag wieder versuchen. Adara seufzte resigniert und fragte sich, ob von nun an jeder einzelne Tag ihres restlichen Lebens so ablaufen würde. Ihr Magen knurrte fürchterlich und tatsächlich verursachte ihr der beißende Hunger in ihrer Magengrube eine mittelschwere Übelkeit. Und wieder, noch bevor sich Adara vom Thron hatte gleiten lassen, hatte Marlene sie erneut beim Handgelenk gefasst und zog sie mit sich hinaus und durch die Fure des Palastes, bis sie in einen Saal mit einem langen, gedeckten Tisch gelangten. Adara wehrte sich kaum gegen diese Bemutterung und ließ sich auch auf den ihr zugewiesenen Stuhl drücken. Marlene nahm an ihrer Seite platz und war ihr aufmunternde Blicke zu, die Adara geflissentlich zu ignorieren wusste. Sie wollte kein Mitleid. Lieber wäre sie gestorben. Kurz darauf wurden die großen Flügeltüren geöffnet und hochdekorierte, angesehene Meermenschen strömten in den Speisesaal. Adara seufzte. Es war üblich, dass das Königshaus solche Anlässe ausrichteten, besonders für die angesehenen Leute der Stadt, die viel Einfluss hatten und von denen es besser war, sie auf der eigenen Seite zu wissen. Und bisher hatte Adara bis auf Marlene so gut wie keine Unterstützung, was sich Marlenes Meinung nach dringend ändern sollte. Adara musste an Beliebtheit gewinnen, wenn sie und ihre Entscheidungen – bislang noch Marlenes Entscheidungen – akzeptiert werden wollten. Doch wie auch zuvor bei den Anliegen der eher ärmeren Bevölkerungsschicht hörte Adara nur mit halbem Ohr zu und knabberte ab und an einem Stück gekochtem Fisch. Die Algenbeilagen verschmähte sie aus gutem Grund, hatte sie sich doch über mehrere Monate lang von nichts anderem ernähren müssen. Sie beteiligte sich nur mit einem Minimum an den aktuellen Gesprächen und war oft auch nicht wirklich auf dem neuesten Stand der Dinge – weil es sie einfach nicht interessierte. Doch dann war Marlene zur Stelle und übernahm ihren Part, wie es der loyale Berater eben zu tun hatte und Adara verfiel wieder in diesen Zustand körperlichen Wachseins, der ihre Augen zwar einen Punkt in scheinbar weiter Ferne fixieren ließen, ihre Seele jedoch auf träumerische Wanderschaft schickte. Ihre Gedanken glitten unweigerlich zu Tom und Adara fragte sich, wie es ihm wohl ging, ob er wohl alleine war und ob er wohl genauso litt wie sie. Sie sah sein Gesicht nahezu vor sich, die wundervollen, strahlenden Augen und das spitzbübische Lächeln, das seine Lippen so oft verzogen hatte. Und wie er sich immer am Kopf gekratzt hatte, wenn er nicht weitergewusst hatte. Ein wehmütiges Lächeln stahl sich nun auch auf ihre Lippen. Sie musste es unbedingt schaffen, dieses Medaillon zu verzaubern und es ihm zukommen zu lassen. Dann würde er wenigstens etwas von ihr haben, ihr Gesicht ab und zu anschauen können, wie sie es ebenfalls tat, in der Mitter der Nacht, wenn sie am verzweifeltsten war und nicht anders konnte, als ihre leuchtende Kugel heraufzubeschwören. „Adara, ist alles in Ordnung?", fragte Marlene sie plötzlich im Flüsterton und griff nach ihrer Hand. Adara zuckte zusammen. „Natürlich", wisperte sie zurück und schaute ihre Schwester fragend an. „Du hast den ehrenwerten Sir Baltemar angelächelt als wäre er ein Stück Seesterntorte. Du weißt doch, dass er da immer sehr gerne Dinge hineininterpretiert", wies sie Adara zurecht und strafte sie mit einem kurzen Blick. Danach richteten noch zwei oder drei der allesamt ehrenwerten Herrschaften das Wort direkt an Adara, doch nach ihren eher fruchtlosen Versuchen, die Königin aus der Reserve zu locken, gaben sie es schließlich etwas genervt auf. Und so fand auch diese Aktivität irgendwann ihr Ende und Adara verließ an Marlenes Hand den Saal ohne auf die merkwürdigen Blicke zu achten, die man ihnen zuwarf. Nein, es ging ihr wortwörtlich am Allerwertesten vorbei, was man von ihr hielt. Sollten sie doch alle denken, dass ihre Königin nichts weiter war als ein unselbständiges Kind, das ohne die Hilfe der großen Schwester nichts auf die Beine bringen konnte. Und wenn es auch stimmte! Dann war es eben so. Sie wollte sich ja sowieso nicht mit all diesen elendig langweiligen Dingen auseinandersetzen. Marlene zog sie weiter durch die Flure, an offenen Bereichen vorbei, von denen Adara wusste, dass sie für sie ebenso unüberwindbare Hindernisse darstellten wie zugemauerte Gefängniszellen. Marlene versuchte sie in der Zwischenzeit über die noch zu verrichtenden Arbeiten des Tages zu informieren, doch Adara hörte nur einen Bruchteil von dem Gesagten und verstand davon nochmals nur wenig. „Wir müssen einige Algenbauern treffen, die Ernte ist bald fällig", hörte sie Marlene irgendwann sagen und da begannen alle Alarmglocken in ihrem Kopf zu schrillen, doch noch bevor sie den Mund hätte aufmachen können, prallte sie mit voller Wucht gegen eine unsichtbare Wand und auch Marlene wurde zurückgehalten wie ein Hund, dem man im Lauf die Leine gekürzt hatte. Zu spät hatte Adara realisiert, dass Marlene sie tatsächlich mit sich nach draußen in die Stadt hatte bringen wollen. Und nun tat ihre Nase fürchterlich weh von dem schmerzhaften Zusammenprall mit der mehr oder weniger magischen, unsichtbaren Wasserwand, die nur für die Königin höchstpersönlich spürbar war. „Tut mir leid, dieses Detail hatte ich vergessen", gestand Marlene und massierte sich die Schulter. „Schon gut", erwiderte Adara und hielt sich ihrerseits die Nase. „Geh du nur, ich hätte sowieso nur dumm daneben gestanden." Marlene zögerte kurz. „Und was wirst du in der Zwischenzeit tun?", fragte sie scheinbar besorgt um Adaras geistliches Wohlergehen. Sie seufzte. „Keine Ahnung. Vielleicht gehe ich in die Bibliothek oder verkrieche mich wieder in meinem Zimmer. So schwer kann es ja nicht werden, mich zu finden, den Palast kann ich eh nicht verlassen." Ein mitleidiger Blick war die einzige Antwort, die sie darauf erhielt, dann war Marlene auch schon hinter der nächsten Marmorstatue verschwunden. Adara seufzte und rieb sich die schmerzende Stelle im Gesicht, die auf solch unangenehme Weise Bekanntschaft mit der unsichtbaren Wand gemacht hatte. Träge schwamm sie zurück in ihre Gemächer und durchquerte auf ihrem Weg die zahlreichen, verworrenen Gänge des Palastes in umgekehrter Reihenfolge. Je näher sie aber dem dunklen Raum kam, in dem sie nun schon seit Tagen vor sich hin vegetierte, umso weniger wollte sie sich wieder dorthin begeben. In ihr regte sich plötzlich ein tiefliegendes Widerstreben, sich wieder den dunklen Gedanken der Einsamkeit auszuliefern und obwohl sie genau wusste, dass sie die Bibliothek zuvor nur als fadenscheiniges Alibi vorgebracht hatte, gefiel ihr dieser Gedanke mit jedem Meter, den sie zurücklegte, besser. Insgeheim war sie ja froh, dass sie sich nicht schon wieder der Öffentlichkeit präsentieren musste – die allmorgendlichen Klagerunden, die immer bis mindestens Mittag andauerten, gingen ihr schon an die Nieren, noch mehr offizielle Besuche konnte sie nicht gebrauchen. Mit einem bitteren Beigeschmack bemerkte sie, dass sie wohl eine der wenigen Kronträger war, die sich so etwas wie Freizeit gönnen konnte. Oder musste – je nachdem, wie man es betrachtete. Irgendwann hatte sie die Abzweigung erreicht, bei der sie sich entscheiden musste: entweder nach links und damit zurück in ihre düsteren Räumlichkeiten, oder aber nach rechts und in die wie leergefegte Bibliothek, in der sich sowieso kaum jemand je aufzuhalten schien. Adara zögerte kurz. Sie schwebte mitten im Flur, ließ ihren Blick durch die gleichermaßen öden, langen Gänge gleiten und hielt sich dann rechts. Sie schwamm nur langsam, sie hatte auch keine Eile, da ohnehin nichts Sinnvolles zu tun wusste. In diesem riesigen Palast, der trotz der Unmassen seiner Bewohner so leer und ruhig schien, fühlte sie sich einsamer als je zuvor. Dabei war das hier eigentlich der Ort, an dem sie aufgewachsen war und der sich vor allen anderen als ihr Zuhause bezeichnen konnte. Eigentlich. Nur kam es ihr so vor, als wäre dieser altbekannte, so oft entdeckte und lange Zeit insgeheim geliebte Ort ein ihr völlig neuer, in dem weder die vertraute Wärme noch die Freude aus Kindertagen zu finden waren. Ihr Zuhause war vielmehr ein Gefängnis als etwas anderes und die Wachen, die dazu gedacht waren, sie zu mit ihrem Leben zu schützen waren mehr ihre Wächter, die verhinderten, dass sie sich selbst befreite. 

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Mermaid SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt