Er forderte Henry auf, ihm zu folgen und ging großen Schrittes den Flur entlang. Der Butler hatte seine liebe Mühe damit, dem großgewachsenen jungen Mann zu folgen, war er selbst doch fast zwei Köpfe kleiner als der Alexander. Schließlich wurde eine Tür zur Linken geöffnet und darin stand niemand geringeres als Adara, die gerade von einer Frau mit Haarknoten und Cardigan mit einem Maßband vermessen wurde. Zwei junge Männer, darunter der kahlköpfig bebrillte mit dem gesunden, südländischen Teint, besprachen sich aufgeregt. „Ah! Alex, gut dass Sie kommen! Sie müssen sich das anschauen. Was halten Sie davon, wenn wir statt Elizabeth Kenneth für die nächste Schmucklinie sie hier nehmen?", meinte er freudestrahlend, aber noch bevor Mister Palmer etwas dafür oder dagegen hätte einbringen können, brach es aus Ian heraus wie ein Wasserfall. „Ich meine, klar, es ist eine total verrückte Idee, aber schauen Sie sie doch nur mal an! Perfekte Proportionen, ein bildhübsches Gesicht – jetzt mal unter uns", und dabei hielt er sich die Hand abschirmend an die Wange „haben Sie je solche Augen gesehen? Und das allerbeste: Sie ist noch unbekannt! Ein unbeschriebenes Blatt!"
Jubelnd klatschte er sich dabei in die Hände, als ob er gerade die Entdeckung des Jahrhunderts gemacht hätte. „Und dabei soll es auch bleiben!", meldete sich aber Henry zu Wort und wieder wurde der Geschäftsführer etwas rüde unterbrochen. Aber er schmunzelte nur. Schließlich stand er hier umringt von einem begeisterten Werbe-Manager, einem nicht ganz abgeneigten Chef-Designer, einem griesgrämigen älteren Herrn und einer ziemlich verloren wirkenden jungen Frau, die eben erst seine neue Geschäftspartnerin geworden ist. „Ich sehe schon, das wird jetzt sehr lustig", meinte Alexander Palmer schmunzelnd und fasste sich dabei ans stoppelhaarige Kinn. „Darf ich vorstellen", fuhr er einen Moment später weiter und wies mit der offenen Hand auf Adara „Das ist Miss Adara Faè Cahaya. Sie ist dieser spezielle Gast, von dem ich euch vor einigen Tagen erzählt habe und sie hat sich dazu bereit erklärt, uns einen Teil der Steine für unsere Kollektion zur Verfügung zu stellen." Galant half er Adara, die auf einem einfachen Klappstuhl saß, auf die Beine. „Und die beiden hier, meine Liebe", fuhr er an Adara gewandt fort „sind Dave Franconi, der Chef-Designer des Hauses und Ian Bell." Mit einem bedeutsamen Blick und etwas schärferem Unterton in der Stimme fügte er hinzu: „Der etwas eigenwillige Werbe-Manager."
Ian kratzte sich nun verlegen am Hinterkopf und rückte seine Brille zurecht, während er peinlich berührt versuchte, sich bei Adara zu entschuldigen und bei Alexander Palmer zu rechtfertigen, bis ihm sein Kollege Einhalt gebot. „Bis auf dieses eine kleine Detail könnte es aber durchaus funktionieren", meinte er nachdenklich und tippte sich mit dem Kugelschreiber ans Kinn. „Ich meine, wenn Sie damit einverstanden wären, natürlich." Und damit schaute er Adara erwartungsvoll an, ebenso wie Ian und Alexander es bereits taten. Nur Henry schaute noch etwas grimmig aus der Wäsche. Als Adara nichts darauf erwiderte, bemerkte er als erster, in welch prekärer Situation sie sich befand und kam ihr zu Hilfe. „Wir sind Ihnen wirklich sehr dankbar für das Angebot, aber Miss Adara wünscht – wie Sie es vorhin so schön gesagt haben – ein unbeschriebenes Blatt zu bleiben", versuchte er den Männern so diplomatisch wie möglich weiszumachen. „Und Sie sind?", wollte Dave der Designer nun aber wissen, doch diese Frage beantwortete Adara. „Ein guter Freund der Familie. Und er hat recht. Es ist nicht gut, wenn plötzlich so viel Aufmerksamkeit auf mir liegt", meinte sie und schaute betreten zu Boden. Ian und Dave tauschten bedeutungsschwangere Blicke. „Wir würden Sie nur wirklich sehr ungern ziehen lassen. So eine Chance kriegen weder Sie noch wir ein weiteres Mal. Und Mit Ihnen als Werbegesicht – die Linie wird schneller ausverkauft sein als Sie Miss Universe sagen können."
Er saß schon wieder in dem kalten, weißen Verhörraum. Es musste nun etwa zwei Wochen her sein, seitdem er das letzte Mal auf freiem Fuß war und auch befürchtete er, dass die kleine Platzwunde an seiner Stirn, die als völlig harmlos abgetan worden war, sich langsam aber sicher doch entzündet hatte. Die Schmerzen in seiner Seite und seinem Oberschenkel zuckten schon fast synchron durch seinen Körper und schienen Cowboy und Indianer zu spielen. Doch Tom war viel zu erschöpft, als dass er sich weiter darum hätte kümmern können. Langsam sank ihm auch der Mut. Obwohl er den bisherigen Anschuldigungen der Oberkommissaren Vincet Roderick und auch den nächtlichen Übergriffen in seiner Zelle standgehalten hatte, zermürbten ihn die Isolation und die Eintönigkeit zunehmend. Wo blieb bloß Fé? Seine gutgläubige Hoffnung, die junge Frau würde ihn bald hier rausholen, war schon vor einigen Tagen in pure Verzweiflung umgeschlagen. Er fühlte sich wie ein Ertrinkender, der sich an jeden noch so kleinen Strohhalm klammerte, nur um noch ein paar Minütchen seines erbärmlichen Lebens gutzumachen. Mittlerweile hatte er Vincent Roderick schon beinahe vergessen. Dieser aber räusperte sich nun genau in diesem Moment. „Hören Sie jetzt mal genau zu, sie reicher Schnösel", begann er und in seiner Stimme schwang etwas Gefährliches mit „mir reicht es jetzt langsam mit Ihnen!", bellte er und schlug erneut auf die Tischplatte, was Tom hochschrecken ließ. „Gestehen Sie endlich! So schnell kommen Sie hier nämlich nicht raus, sehen Sie das endlich ein!", schrie der Kommissar – mit den Nerven nun endgültig am Ende. Aber Tom musterte ihn nur mit einem abschätzigen, vernichtenden Blick. „Mir ist egal, wie oft Sie diese Schlägertrupps noch zu mir schicken und wie sehr Sie mich noch bedrohen", hauchte er am Ende seiner Kräfte und der Erschöpfung nahe. „Aber.Ich.Werde.Nicht.Gestehen.Was.Ich.Nicht.Getan.Habe!", schnaufte er mit Nachdruck in der Stimme und versuchte den Kommissaren trotz des blauen Auges so gut wie möglich im Blick zu behalten. Gerade als Vincent Roderick etwas darauf antworten wollte, klopfte es an der Tür und er wurde rüde unterbrochen, was ihm irgendwie gar nicht zu gefallen schien. „Was?", bellte er den Beamten an, der kurz darauf seinen Kopf durch den Türspalt schob an. „Die Kaution wurde gestellt, Sir", meinte der hagere Typ und räusperte sich. Vincent Roderick schien etwas verwirrt. „Welche Kaution bitte?", fragte er etwas dümmlich, was Tom heiser auflachen ließ. „Mister Right's Kaution, Sir." In diesem Moment und obwohl er sein Gesicht nicht sehen konnte, wusste Tom, dass der Kommissar gerade leichenblass geworden war. Und diese Genugtuung tat nach den Strapazen der letzten Tage und Stunden richtig gut. „Von wem?", herrschte der Oberkommissar in diesem Moment seinen Unterstellten an, aber nach Toms mehrfachen Aussagen zufolge hätte er es sich eigentlich denken können müssen. „Nun ja, das ist etwas seltsam, Sir", druckste der jüngere Kollege erst, doch der Kommissar schrie erbarmungslos weiter: „Von wem, habe ich gefragt!" Kurz war es im Verhörraum still. „Von... Von Cartier, Sir." Tom stutzte. Cartier? Etwas das Schmucklabel? Was hatte denn Cartier damit zu tun? Der Kommissar stellte sich offenbar gerade dieselbe Frage und so tauschten die beiden Männer mindestens ebenso verwunderte Blicke miteinander. „Das soll wohl heißen, dass ich dann gehen kann", meinte Tom nach einer Weile mit schwacher Stimme und auch Vincent Roderick schien allmählich zu verstehen, dass es keinen weiteren Sinn hatte. „Bring ihn raus", befahl er seinem Unterstellten, der Tom sogleich beim Aufstehen half. Auf den uniformierten Polizisten gestützt humpelte Tom aus der Folterhölle von Verhörraum, den Gang entlang und vorbei an den Zellen. Persönliche Sachen hatte er eh fast keine gehabt. An der Rezeption war eine hochgewachsene Blondine in teuren Klamotten gerade dabei, mit dem diensthabenden Beamten zu flirten. Vielleicht ging es ja um eine Temposünde, schoss es Tom durch den Kopf, aber so genau konnte er es wegen seinem aufgedunsenen Auge auch gar nicht erkennen. Er suchte nach Adara und stieß dabei erst einmal mit einer Zimmerpflanze zusammen, doch Fé konnte er nicht finden. Erst als der Polizist an seinem rechten Arm nachfragte, ob er denn zu der hübschen Blonden gehörte und diese sich dann umdrehte, erkannte er sie schließlich. Sie trug nun zwar eine riesengroße Sonnenbrille und hatte sich auch sonst ziemlich verändert, stellte er fest. Mit den hohen Absätzen, den Ohrringen und den Designer-Kleidern hätte er sie beinahe nicht erkannt. „Tom!", keuchte sie völlig verschreckt. Sie hatte sich beide Hände über Mund und Nase gelegt und schaute ihn schockiert an, soweit er das wegen der Sonnenbrille beurteilen konnte. Aber sie war da! Sie war endlich da. Sein angeschwollenes Auge begann zu tränen. „Fé", hauchte er und trat auf sie zu. In diesem Moment fielen all der Kummer und die Schmerzen schier von ihm ab und einen Moment später schlang er seine Arme um ihre Taille und fast gleichzeitig tauchte er ein in ihre Duftwolke. Ihr typischer duft nach Salz und Wasser umfing ihn und er ließ diesen Geruch in seine Lungen strömen als wäre es absolut nötig für sein Überleben. „Danke", hauchte er neben ihrem Ohr. Er Spürte ihre Arme um seinen Hals, wie sie zögerlich über sein Haar strich mit ihrer Hand. Plötzlich räusperte sich jemand neben ihnen und wie von der Hummel gestochen fuhren die zwei auseinander. Tom entging dabei nicht Adaras besorgter Gesichtsausdruck. Verdammt, er musste ja wirklich schlimm aussehen. Und riechen. Es war ihm schon fast wieder peinlich, Fé trotz seiner etwas sehr strengen Duftnote so nah gekommen zu sein. Jetzt erkannte er auch, was da auf dem Tresen lag. Es waren seine Entlassungspapiere. Und darunter prangte... Als er es entzifferte, fielen ihm beinahe die Augen aus dem Kopf. Darunter prangte in feinsäuberlicher Schrift Fé's Unterschrift. Adara Faè Cahaya. Und die Bürgschaft übernahm – und nun verstand Tom überhaupt gar nichts mehr – Cartier. Einer der bekanntesten Groß-Juweliere der Welt. Wie um Himmels Willen hatte sie das denn wieder geschafft? Er konnte nur staunen. Und er staunte auch noch, als man ihn wie einen Schuljungen aus dem Polizeipräsidium führte und ihn dann schließlich ganz Fé überließ, die ihn stützend zum alten Bentley führte, wo Henry und Maria schon aufgeregt warteten.
„Ach du meine Güte! Thomas, wie sehen Sie denn aus?", entfuhr es Maria, die nicht minder geschockt schien wie Fé noch vor wenigen Minuten. Was haben sie mit Ihnen gemacht?", kreischte die Haushälterin schon fast hysterisch, aber Tom winkte ab. Er wollte so schnell wie nur irgend möglich nach Hause. Mit vereinten Kräften verfrachteten sie ihn auf den Rücksitz und schnallten ihn an, was nicht ganz schmerzlos von statten ging. Doch Tom gab sein Bestes, sich möglichst nichts anmerken zu lassen. Als Henry endlich aufs Gaspedal trat, lehnte sich Adara zu Tom herüber und legte ihm mitleidig eine Hand auf das schmerzende Knie. „Ich kann die Wunden heilen lassen, wenn du willst", bot sie an, doch Henry hielt sie davon ab. „Nein, Miss Fé. Wir sollten die Verletzungen erst einem Arzt zeigen, dann haben wir etwas gegen diese Grobiane in der Hand." Daran hatte Tom auch schon gedacht, es aber in der Zwischenzeit wieder vergessen. Und auch Fé schien das einzuleuchten, denn sie nickte langsam. Aber als sie ihre Hand nach einem weiteren Moment wieder von Toms Knie ziehen wollte, hielt er sie zurück. Und sie ließ ihn gewähren. „Erklärt mir erst einmal, wie es dazu kommt, dass Cartier meine Kaution stellt und Fé meine Papiere unterschreibt", meinte Tom mit kratziger Stimme. Sein Hals war so trocken wie nach einem Zwieback-Wettessen. „Das ist eine lustige Geschichte", erwiderte Fé ausweichend und kniff dabei ein Auge zusammen. „Und eine überaus lange noch dazu, die wir Ihnen ein andermal gerne erzählen", warf Henry vom Fahrersitz aus ein. Im Rückspiegel musterte er interessiert seinen etwas ausgebeulten Chef und Freund, der da mit der hübschen Adara händchenhielt. Er sagte aber nichts weiter dazu, ganz wie es von ihm erwartet wurde. Ein Schmunzeln konnte er sich jedoch nicht verkneifen.
Zuhause angekommen wurde auf der Stelle ein Arzt verständigt, der keine zwanzig Minuten später auf der Matte stand – unter anderem wegen eines versprochenen Bonus. Toms Verletzungen sahen im Licht der großen Deckenleuchter noch schlimmer aus. „Woher haben Sie diese Verletzungen?", wollte der Notarzt wissen und Tom antwortete trocken aber immerhin wieder mit Stimme: „Wache einundzwanzig des hiesigen Polizeipräsidiums, Zelle 3B." Darauf herrschte ein kurzer Moment der Stille, bis der Arzt aus seiner offenbaren Starre erwachte. „Sind Sie etwa in eine Schlägerei zwischen zwei Zelleninsassen geraten, oder ist man gleich direkt mit dem Einsatzfahrzeug über Sie drüber gerollt?", fragte er mit Amüsement in der Stimme. „So in etwa", erwiderte Tom fast lässig, wobei Adara endgültig der Mund aufklappte vor Empörung. „Sagen wir es so: Einige der Beamten haben auf Geheiß ihres Vorgesetzten ihr Gehirn im Wald verloren und mich mit ihrem Boxsack verwechselt." Gleichzeitig schmolz sein aufgesetztes Lächeln dahin wie flüssige Butter. „Au!" Er hatte nicht erwartet, dass der Arzt ihm in diesem Moment einen getränkten Wattebausch ans verletzte Auge hielt. Der Doktor war jetzt um einiges ernster. „Es ist gut, dass Sie mich gerufen haben. Die hiesige Polizei scheint mit ihren Praktiken wohl nicht im neuen Jahrhundert angekommen zu sein. So was gehört vor Gericht gestellt", murmelte er, während er jede einzelne von Toms Verletzungen fotografierte. Adara und die anderen warteten vor der Tür, hörten jedoch viel von dem gesprochenen. Sie wollten Tom bloß die nötige Privatsphäre lassen, schließlich musste er sich für die Wundbesichtigung ganz schön freimachen. „Verlassen Sie sich darauf, das wird auch geschehen!", knurrte Tom zornig. Eine halbe Stunde später verabschiedete sich der Arzt und versprach, so schnell wie möglich den Bericht zu fertigen. Henry dankte ihm und schloss hinter ihm die Tür.
Hallo meine Lieben! <3 Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen, ich zumindest hatte grosse Freude daran, es zu schreiben und habe noch zwei weitere fertig ^^ die poste ich demnächst dann auch noch ;) Damit ihr nie wieder sooo lange warten müsst wie letztes Mal... (Nochmal sorry! o_o) Ly <3 LG
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Mermaid Summer
FantasyTom's Unglück begann vor etwa einem Jahr, als er zusehen musste, wie seine Familie in einem schrecklichen Brand ums Leben kam. Als einziger Überlebender schlägt er sich mit heftigen Depressionen und Albträumen herum und kann einfach nicht glauben, d...