68. Die Zeit rennt

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„Du wolltest mich doch noch etwas fragen", erinnerte sie ihn wenige Zeit später, als Tom gerade in Gedanken versunken aus dem Fenster starrte. Die untergehende Sonne tauchte den Horizont in ein leuchtendes Rot, das für die kälter werdende Jahreszeit viel zu grell schien. Er reagierte erst, als Adara ihm eine Hand auf die Schulter legte und räusperte sich. „Ja, genau", antwortete er mit krächzender Stimme. „Setz dich bitte." Seiner Aufforderung folge leistend schwang sie ein Bein über seine Knie und kam auf seinem Schoss zu sitzen. „Das hatte ich eigentlich nicht gemeint", raunte er und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ihre Lippen trafen aufeinander, Fés Arme schlangen sich um seinen Hals und er genoss den Moment so sehr, dass er alles andere schon fast wieder vergessen wollte. Doch plötzlich brach es aus ihm heraus. „Willst du eigentlich Kinder?" Er konnte spüren, wie Fé sich versteifte. Ihr Gesicht entfernte sich von seinem, etwas perplex, etwas erschrocken und vor allem mit einem sehr traurigen Ausdruck. Kurz war es still und Tom war sich nicht sicher, ob das gut oder schlecht war. „Was ist?", fragte er in ihrem Blick nach Antworten suchend, doch sie wandte sich ab. Nun war es an ihr, sich zu räuspern. „Es gibt da etwas, das ich dir nicht gesagt habe", gestand sie kleinlaut und Tom's Herz setzte einen Schlag lang aus. In seinem Kopf sponnen sich die wildesten Geschichten zusammen. Was hatte sie ihm verschwiegen? Panik stieg in ihm hoch. „Fé?" Sie spielte mit dem Kragen seines Pullovers und vermied es auf einmal, ihn anzuschauen. Je länger sie schwieg, umso unruhiger wurde Tom. „Henry hat keine Kinder", meinte sie auf einmal. Tom verstand den Zusammenhang nicht. Verwundert runzelte er seine Stirn. „Was hat denn das...", begann er, doch Adara unterbrach ihn. „Charles und Camilla haben auch keine Kinder." Erneut stiftete diese Aussage mehr Verwirrung, als dass sie zur Aufklärung der Situation beitrug. „Und auch die anderen Mischpaare haben keine Kinder, Tom", fuhr sie leise fort und jetzt endlich dämmerte ihm allmählich, auf was sie hinauswollte. „Du meinst..." Sie nickte. „Ich glaube nicht, dass es möglich ist." Sie hielt ihren Blick gesenkt, spielte noch immer hartnäckig mit den Maschen seines Strickpullovers. Irgendetwas in Tom zog sich in diesem Moment zusammen. Vielleicht waren sie ja tatsächlich noch zu jung, um gleich schon eine Familie zu gründen, doch dass es selbst in einigen Jahren unmöglich sein sollte, betrübte ihn. Wie schon gesagt, hätte er sich eine gemeinsame Familie mit Adara durchaus vorstellen können, schließlich gehörten Kinder für ihn zum Bild seines späteren Lebens einfach dazu und nun fühlte er sich vom Schicksal um seine Zukunft betrogen. Aber das konnte er Fé nicht sagen. Sie saß noch immer auf seinem Schoss, still und in ihre eigenen Gedanken versunken. Er konnte spüren, wie sich ihre Muskeln anspannten, als sie wieder aufstehen wollte, doch genau in diesem Moment hielt er sie zurück, drückte ihre Handflächen gegen seine Brust. Sie schaute ihm noch immer nicht in die Augen, also fasste er sie sanft beim Kinn. Endlich kreuzten sich ihre Blicke. Tom fand eine Unsicherheit in ihren Augen, die er zwar schon öfters bei ihr gesehen hatte, ihm jetzt aber dennoch frappierend erschien. „Ich liebe dich trotzdem", raunte er und platzierte einen liebevollen Kuss auf ihren vollen Lippen. Seine eigenen Lippen brannten noch immer bei jedem einzelnen ihrer Küsse. „Auch wenn wir keine eigenen Kinder haben können." Er sagte es leise, nicht nur, weil es etwas war, das man nicht in die Welt hinauszubrüllen brauchte, sondern weil er sich auch selbst mit diesen Worten überraschte. Schlussendlich musste er sich aber eingestehen, dass es stimmte. Solange Fé an seiner Seite war, würde er sein Glück und seinen Frieden schon finden. „Du bist das Einzige, was für mich zählt."

In der nächsten Zeit herrschte zwischen ihnen eine eigenartige Stimmung. Zwar immer noch vertraut und zärtlich, aber eben anders. Immer wieder erwischte Tom sich selbst dabei, wie er Fé verstohlene Blicke zuwarf. Ihr Körper unterschied sich in keinster Weise von dem anderer Frauen – jedenfalls nicht äußerlich. Weshalb sie keine Nachkommen zeugen konnte mit einem Menschen, war ihm ein Rätsel. Auf einmal nahm es ihn allerdings wunder, was die Ursache für diesen „Fehler" der Natur war. Inwiefern sich ihre Gene wohl von seinen unterschieden? Sie war ein so perfektes Wesen, wie konnte das Universum ihnen das nur antun? Er musste an die Zeit seines Medizinstudiums zurückdenken. Schon Mendel hatte versucht, die Mysterien von Vererbung und Evolution zu ergründen und hatte mit seinen Experimenten zur Rückzüchtung wahre Pionierarbeit geleistet. Doch Tom vertrieb diese Gedanken wieder. Niemals würde er es wagen, sich an Adaras Erbgut zu schaffen zu machen, nicht einmal dann, wenn er es gekonnt hätte. Seine Zunge hatte die Worte, die sein Gehirn noch interpretieren musste, schon längst formuliert. Er liebte Fé über alles, er liebte ihren Körper und er liebte ihren Geist, er liebte ihre Augen und das Strahlen, das in ihnen wohnte, ihre Grübchen, die sich beim Lachen bildeten und ihre langen, sandblonden Haare, die in unperfekt perfekten Wellenlocken über ihre zart geschwungene Figur fielen. Er liebte es, wie sie ihn ansah und er liebte es zu wissen, dass er der einzige Mann in ihrem Leben war, sie anfassen durfte wie kein anderer und wenn er daran dachte, was sie des nachts so trieben, wurde ihm gleich ganz anders.

Mermaid SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt