Adara fühlte sch auf einmal ganz und gar nicht mehr wohl in ihrer Haut. Nicht nur, dass sie auf einmal ein ganz mieses Gefühl in der Magengrube hatte, nein, sie spürte zudem auch die offen zur Schau getragene Verachtung ihres Volkes. Noch nicht einmal Leas Solas und Caylin Réalta hatten sich dazu überwinden können, sie zu begrüssen. Nur konnte sie es den Kindern nicht verübeln. Sie hatten so viel ihrer einstigen Fröhlichkeit eingebüsst, schon damals im Kerker. Sie waren nun Halbwaisen und hatten so viele schreckliche Dinge miterleben müssen. Sie taten ihr unheimlich leid, ebenso wie ihr Marlene leid tat, die den Gram und den Schmerz hinter einer eisernen gefühlstoten Maske zu verstecken versuchte. Adara fuhr sich fröstelnd über die Arme. Sie fragte sich, was aus ihnen werden würde, wenn sie nun auch von ihr Abschied nehmen mussten. Nur kam es nicht für sie in Frage, länger als nötig hier zu bleiben, auch wenn dieser Stadt und ihren Bewohnern einst ihr Herz gehört hatte. Sie war hier geboren worden, kannte jeden Winkel, jede Gasse und jeden Händler, der seine Ware auf den drei verschiedenen Märkten loswerden wollte. Ein wenig würde sie den Ort vielleicht vermissen, das musste sie sich eingestehen. Aber sie würde ihn ebenso vermissen, wenn sie hier blieb, denn kaum etwas war mehr so wie zuvor. Die Stadt war einst etwas Besonderes gewesen, weil ihr Vater sie regiert hatte. Weil sie als jüngste Tochter des gutherzigen Königs überall freundlich empfangen worden war und man sie überall gekannt hatte. Sie war frei gewesen in einem unendlich schönen Käfig. Nur eines hatte sie hier, im wortwörtlichen Paradies nicht gehabt und genau das konnte allein Tom ihr geben: wahre Liebe. Es wahr ein ehrliches Geschenk, eines ohne Bedingungen und Voraussetzungen. Man konnte weder wählen, ob man es verschenken wollte, noch ob man es annahm. Es war einfach da und band sie für immer aneinander. Und genau deswegen, wegen Tom und diesem unglaublichen Gefühl, das sie bei jedem Gedanken an ihn und jeder Berührung durchströmte und ihr Innerstes erwärmte, wollte und konnte sie ihm nicht fernbleiben.
Der feuchte Sand unter seinen Füssen begann langsam, wirklich kalt zu werden. Noch immer stand Tom da, regungslos, den Blick fest auf den blassblauen Horizont gerichtet. Er atmete im Rhythmus der anrollenden Wellen, während der Wind ihm ins Gesicht peitschte. Über ihm kreisten die Möwen unruhig in grossen Kreisen und kreischten ihm für ihn unverständliche Warnungen zu. Sein Nacken war schon ganz steif, seine Finger klamm und er zitterte, obwohl er an der prallen Sonne sass. Nur wärmte die Herbstsonne nicht im Geringsten so sehr wie jene des Augustes und so war es klar, dass er unkontrolliert schlotterte. In seinen Gedanken tauchten immer öfter Erinnerungen auf an Zeiten, die er am liebsten niemals losgelassen hätte. Für ihn hätte der Mittsommernachtsball zum Beispiel noch ewig weitergehen können. Oder ihre erste gemeinsame Nacht. Er erinnerte sich an die dumpfe Dunkelheit im Zimmer und dass sie eng umschlungen eingeschlafen waren. Fast schon glaubte er, ihren Duft in der kühlen Brise zu riechen und so sog einen kräftigen Atemzug in seine Lungen ohne gleich wieder auszuatmen, als ob er den Moment für immer so konservieren könnte. Es war kindisch, das wusste er. Gleichzeitig fragte er sich, wie sein Leben nur weitergehen sollte, wenn er schon nach kaum zwei Stunden ohne Fé nervlich so sehr am Ende war, dass ihm wohl kaum ein Psychiater mehr helfen konnte. Fé musste einfach zurückkehren. Noch einmal würde er keine vier Monate warten können.
Sie hatte sie königlichen Gärten erreicht und sich am Fuss einer leuchtend weissen Marmorstatue niedergelassen. Die Figur einer Meerjungfrau schlang sich anmutig um den Körper eines ebenso steinernen Mannes mit filigran gearbeiteten Fischschuppen auf seiner Flosse. Seine Arme schützend um seine Geliebte gelegt und die üppigen Muskeln kaum angeberisch angespannt neigte er in romantischer Geste den Kopf hinunter und nur Zentimeter trennten die Gesichter der beiden. Wie ironisch, dachte Adara bei sich. Für sie war das immer ein Symbol unendlicher Liebe gewesen. Nun erst verstand sie, wie tragisch die Botschaft, die die Marmornen Liebenden überbrachten, in Wirklichkeit war. Auf ewig waren sie dazu verdammt, sich so nah zu sein und sich doch nie vollkommen lieben zu können. Wie bei ihr selbst, dachte sie traurig und Ernüchterung machte sich in ihr breit. Niemals würde sie Tom das Geschenk einer Familie machen können. Niemals würde ihre Liebe wirklich vollkommen sein, sie hatte seine Blicke auf ihr ruhen gespürt, nachdem sie ihm das alles verändernde Geständnis gemacht hatte. Unüberlegt fuhr sie sich über die Augen, als wollte sie ihre Tränen damit wegwischen, merkte erst dann, dass sie unter Wasser gar nicht weinen konnte. Die Algenansammlungen hinter raschelten, wahrscheinlich schwammen gerade Fische hindurch. Sie beeilte sich, einen etwas freundlicheren Gesichtsausdruck aufzusetzen und sich ihren Gram nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Wieder raschelte es hinter ihr. Sie wollte sich umdrehen, doch ihre Sicht verschwamm auf einen Schlag hin, die Ränder ihres Sichtfeldes zogen sich rasant zusammen, hüllten sie in vollkommene Schwärze. Ein leiser Blutgeruch stieg ihr in die Nase, dann nichts mehr. Überhaupt nichts mehr. Es war vorbei.
Mit geschlossenen Augen kniete er im Sand und Tränen liefen an seinen Wangen herunter. Er spürte, wie sein Herz in seiner Brust schlug, regelmässig und stark. Er konnte es kaum fassen, dass er die schönsten Momente seines ganzen Lebens alle in weniger als diesem letzten halben Jahr erlebt hatte und noch weniger, dass er sie nur mit einer einzigen Person teilen konnte. Wie gern hätte er Fé seiner Familie vorgestellt, seiner Mutter, seinen Brüdern. Nun wäre es an ihm gewesen, vor seinen Brüdern zu prahlen mit der Schönheit und der Intelligenz seiner Freundin. Etwas klickte verdächtig und Tom fuhr zusammen. Er spürte das kalte Ende des Laufes einer Pistole an seiner Schläfe und plötzlich pochte sein Herz nicht mehr wie gewohnt in seiner Brust sondern lautstark in seinen Ohrmuscheln. Seine Atmung ging auf einmal ganz flach, Adrenalin schoss durch seine Adern. "Schhh...", murmelte jemand.
Die Möwen kreischten, als die Schüsse fielen. Leblos sackte der Köper in den Sand. Blut vermischte sich mit dem Meerwasser und wurde von der Gischt davongetragen. Ein Mann in Schwarz verliess den kleinen Strand. Auf seinem Gesicht thronte ein Lächeln voller Genugtuung. Es war nicht Tom.
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Herzlich Willkommen im April ;)
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Mermaid Summer
FantasyTom's Unglück begann vor etwa einem Jahr, als er zusehen musste, wie seine Familie in einem schrecklichen Brand ums Leben kam. Als einziger Überlebender schlägt er sich mit heftigen Depressionen und Albträumen herum und kann einfach nicht glauben, d...