62. Until Dusk

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    Der Motor brummte leise, als sie der Küste entlangüber die Landstraße fuhren. Fé auf dem Beifahrersitz schaute beständig aus demFenster hinunter auf die anrollenden Wassermaßen, die an den Klippen brachen.Seemöwen kreischten ihren Unmut über die abendliche Störung der Abenddämmerungentgegen, welche den Horizont in ein zartes Rosa tauchte. Fast schon dunkel hobsich dagegen das Gras zu beiden Seiten der Straße vom leuchtenden Hintergrundab. Tom räusperte sich. Fé wandte sich ihm zu, wohl halb aus Schreck über dasplötzliche Geräusch und halb aus Interesse, ob er wohl etwas zu sagen hatte. „Ichmuss mit dir sprechen", sagte er unvermittelt. Die Sonne war schon einige Zeithinter dem Horizont verschwunden und es wurde langsam aber sicher kühl draußen.Es war still im feuerroten Ferrari, der stetig über den geteerten Weg fuhr. WederTom noch Adara sagten etwas, sie schwiegen sich bloß an. Schon beinahe begannTom daran zu zweifeln, ob er die Worte überhaupt laut ausgesprochen hatte.„Halt an", verlangte dann aber Fé von einem Moment auf den anderen und zerrissdamit nicht nur die Ruhe zwischen ihnen sondern auch Tom's Gedankengang.Verwirrt und ziemlich erstaunt fuhr er rechts ran und musterte die junge Frauauf dem Beifahrersitz, die stur geradeaus blickte und nach einer weiteren Weiledann schließlich ausstieg. Nun gurtete sich auch Tom ab und folgte ihr ziemlichempört. Sie ging aber nur einige Schritte vom Wagen fort, auf die Klippen zuund blieb mit geschlossenen Augen nahe dem Abgrund stehen. Dieser Anblick hatteetwas Besorgniserregendes an sich, fand Tom. Er hörte wie Fé mehrere Male tiefeinatmete, sah, wie der Herbstwind mit ihrem langen Haar spielte und es ihrüber die Schultern nach hinten wehte. Sie schlang fröstelnd ihre Arme um ihrenKörper und nur allzu gern hätte Tom das für sie übernommen. „Fé", begann erzögerlich, unterbrach sich jedoch selbst. Wie sollte er nur anfangen? Er gingweitere zwei Schritte auf sie zu und kam fast neben ihr zum Stehen, da öffnetesie ihre Augen wieder, jedoch nicht um ihn anzuschauen. „Ist es nicht schön?",fragte sie sanft, noch immer aufs Meer hinausblickend. Tom schluckte. Wiesollte er endlich reinen Tisch machen können, wenn sie ihn immerzu daranerinnerte, dass sie gar nicht hierhergehörte? Es grenzte doch an Folter, mitder Sprache rauszurücken, denn es würde unstillbare, seelische Qualenverursachen und alles zerstören, was bisher zwischen ihnen gewesen war. „Ja",gab er zu und seine Stimme krächzte wegen der plötzlichen Trockenheit in seinerKehle. „Das Meer ist wunderschön." „Ich habe nicht vom Meer geredet", erwidertesie unvermittelt, schaute ihn aber noch immer nicht an. „Es ist der Rest,alles, was eben nicht zum Meer gehört, verstehst du? Die Farben des Himmels,die Vögel, der Wind. Es ist nie ruhig, steht nie still, alles verändert sichdurchgehend." Sie sprach leise, flüsterte fast schon und legte in jedes ihrerWorte ein kleines Gebet, das sie mit dem Wind gen Himmel zu schicken schien. Wiederschaute Tom hinaus aufs offene Meer. Was Fé ihm allerdings eben so pittoreskbeschrieben hatte, fiel ihm erst auf, als er sich darauf konzentrierte. DerSalzgeruch, den der Wind mit sich trug, die nistenden Vögel, die auch baldverstummen würden und der Himmel, der mit jeder Minute blasser und dunklerwurde. Sogar das hohe Gras zu ihren Füssen bewegte sich ohne Unterbruch wiegendim frischen Abendwind. Und es kam ihm auf einmal so vor, als sähe er die Weltdurch ihre Augen, als wäre jeder Kiesel auf der Straße ein wunder der Natur undjeder neue Tag ein unermessliches Geschenk. Endlich wandte sie sich ihm zu,schaute ihm nach so langer Zeit wieder in die Augen. Doch sofort verändertesich etwas, Tom bemerkte es auf der Stelle. Ihr Blick nahm einen kalten, fasttraurigen Ausdruck an und sie biss sich hart auf die Lippen, bevor sie sichgleich wieder von ihm abwandte. „Hör auf mich so anzuschauen", verlangte sie.Tom's Augenbrauen glitten in die Höhe. Für einen kurzen Augenblick hatte ergedacht, sie ertrüge seinen Anblick nicht und für einen Sekundenbruchteil hattesein Herz zu bluten begonnen. Nun aber war er erstaunt über die merkwürdigeBitte. „Du schaust mich an, als wäre ich ein Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank",fuhr sie tonlos fort. Sie begann zu zittern vor Kälte. Tom erwiderte nichtsdarauf. Er war zu beschäftigt damit, seine eigenen Gedanken zu ordnen undendlich die rechten Worte und den nötigen Mut zu finden, ihr zu sagen, wasschon seit so vielen Wochen darauf wartete, endlich ausgesprochen zu werden. Dochwo sollte er anfangen? „Warum sollte ich anhalten?" Möwen kreischten in derFerne und es kam ihm fast so vor, als ob sie über ihn und seine einfältigeFrage lachten. Zugegeben, es war kein brillanter Anfang gewesen, aber dennochhatte er immerhin etwas über die Lippen gebracht. Fé schaute wieder auf dieFluten herab. „Du hast gesagt, wir müssen reden", erwiderte sie regungslos. Siestand einfach da, kaum einen halben Meter von ihm entfernt und zitternd, aberstolz wie eh und je. Ein stolzeres Wesen hatte Tom nie gesehen, ebenso keinschöneres. Selbst hier im Halbdunkel der herannahenden Nacht hoben sich ihreZüge wie sorgfältig ausgeführte Pinselstriche vom rauschenden und körnigverschwommenen Hintergrund ab und ihre Gelenke traten zu seiner Erleichterungnicht mehr so hart unter der Haut hervor. Die äußerlichen Spuren ihrerVergangenheit hatten sie verlassen, doch noch wusste Tom nicht, wie es in ihrdrin aussah. „Ich wollte dir in die Augen schauen können", hauchte sie stimmlosund drehte sich ihm zögerlich wieder zu, sodass es Tom nicht nur die Spracheverschlug, sondern der Kloß in seinem Hals ihn auch am Luftholen hinderte. DieWelt um ihn herum begann sich einmal mehr zu drehen und nur in der Mitte seinesBlickfeldes blieb alles beim Alten, wo oben noch oben und unten unten war undAdara ihn mit ihren unglaublich dunklen und wundervollen Augen anschaute. Undwieder wurden seine Füße leicht, so leicht, dass er das Gefühl hatte, siewürden sich bald seiner entledigen und mit den Zugvögeln gen Süden ziehen. Féwartete noch immer auf seine Antwort, schien kein Stück ungeduldiger zu werden– trotz der Kälte und der aufkommenden Dunkelheit um sie herum. Und Tom, dessenHerz so laut und heftig in seiner Brust schlug, dass er es in seinen Ohrenpochen hören konnte, fand endlich die passenden Worte. „Ich wollte schon langemit dir...", sagte er und räusperte sich, da seine Kehle noch immer trocken undder Kloß nicht verschwunden waren. „Über den Kuss sprechen. Den ersten." Féwirkte gefasst, gefasster als er jedenfalls. Er suchte in ihrem Gesicht nachHinweisen wie ein Detektiv an einem Tatort, doch er fand nichts. Sie schauteihn noch immer an und kein Zeichen von Scham oder Abscheu – was Tom wirklichfreute – war in ihren Augen zu finden. Doch schließlich wandte sie ihren Blickdoch ab, nicht ganz zwar, aber sie ließ ihn ein Stück nach unten wandern,während ihr Mund sich zu einem wehmütigen Lächeln verzog. „Wenn du nurwüsstest, wie viel Gutes er gebracht hat", hauchte sie und kurz daraufleuchtete eine grelle Kugel über ihren offen in der Luft schwebenden Händen. Erstwar Tom geblendet vom plötzlichen Licht, dann aber, als er sah, dass sich dieSzene der Sturmnacht darin wiederspiegelte und er erkannte, wie liebevoll auchFé an diesen Moment zurückdachte, keimte in ihm eine wagemutige Hoffnung auf. „Dubist mir also nicht böse?", fragte er stimmlos. Seine Stimmbänder hatten wieimmer im dümmsten Moment die Arbeit eingestellt und würden erst zur neuenSchicht den Betrieb wieder aufnehmen. Fé schüttelte zaghaft den Kopf, dasLächeln lag noch immer auf ihren Lippen. „Spürst du das?", fragte siestattdessen. Kurz war Tom verwirrt. „Die Wärme?" Sie nickte. Tatsächlich gingvon der kleinen Kugel eine regelrechte Hitze aus, strahlte ebenso wie ihr Lichtbeständig durch die Nacht und umgab sie beide wie eine wohlig warmeDaunendecke. „Nur deswegen haben wir so lange durchgehalten in dem dunklen,kalten Kerker. Du kannst Marlene fragen." Tom glaubte nicht, dass Fé sich ihreWorte gut überlegt hatte, denn er bezweifelte, dass er Marlene überhaupt je zuGesicht bekommen würde, ebenso wie irgend anderer Fischmensch. Aber die Tatsache,dass Fé so offen mit dem Thema umging – und das scheinbar sogar gegenüberihresgleichen – erfüllte seine Brust mit überschwänglicher Freude. Und vorallem spürte er die Wärme, die diese Erinnerung in Adara auslöste. Es war einwirklich unrealistischer Moment für ihn, denn das, was er da hörte, konnte ernur schwer glauben. Oder er missverstand es gar, weswegen er sich nicht traute,noch einmal nachzuhaken. Aber soweit er heraushören konnte, fühlte Adara einStück weit wie er, oder zumindest war sie ihm gegenüber positiv eingestellt. Oderetwa doch nicht? Bestand sie doch eher auf eine gute Freundschaft zwischenihnen? Je mehr er darüber nachdachte, umso verwirrte wurde er und umso mehrängstigte ihn der reine Gedanke daran, weiterzusprechen. Fé hatte dieLichtkugel wieder verschwinden lassen. „Lass uns nach Hause gehen. Es wird langsamkalt", meinte sie und im Halbdunkel konnte Tom ausmachen, wie sie ihren Blickein letztes Mal über sein Gesicht gleiten ließ, bevor sie sich langsam von ihmabwandte, ihn sprachlos und verwirrter denn je stehenließ und zurück zum Wagenschlenderte. Zögernd setzte auch er sich in Bewegung. Das hohe Küstengrasrauschte bei jedem ihrer Schritte, die Schreie der Möwen waren beinahe gänzlichverstummt und auch das Feuer des abendlichen Himmels war nahezu erloschen. NurMeer und Wind rauschten beständig in der herannahenden Dunkelheit. Adara hattesich schon angeschnallt, als auch Tom sich in den Wagen setzte. Sie saß stillda und fast machte es den Anschein, als hätte es ihr Gespräch nie gegeben, alswären sie nie aus dem Wagen ausgestiegen. „Bereit?", raunte Tom unsicher, alser die Zündung betätigte und die Scheinwerfer herausfordernd ansprangen. Nacheinem nur angedeuteten Nicken trat er aufs Gas, wieder krallten sich ihreFingernägel ins Sitzpolster, wenn auch nicht mehr ganz so tief wie beimallerersten Mal und auch lösten sie sich gleich wieder. Es war ein Reflex, densie wohl nicht so schnell loswerden würde, aber es war Tom egal. Solange sienur bei ihm war. Eigentlich ging es ja nur um das. Dass sie bei ihm war. Ob sienun zusammen waren, wie ein richtiges Liebespaar oder nicht, ob er ihr seineGefühle je gestand oder es eben bleiben ließ, solange sie ihn nur an ihremLeben teilhaben ließ, war er zufrieden. Auch als sie endlich bei dem Haus hochoben auf den weißen Kalksteinklippen angekommen waren, schien Fé tief inGedanken zu sein. Tom parkierte den Wagen, sie stiegen aus und gingen zusammenhinüber zum Wohnhaus, er schloss die Haustür auf und sie traten ein. Alles invollkommener Stille. „Hast du noch Hunger?", fragte er sie um irgendetwasgesagt zu haben und fühlte sich dumm, immer ein und dieselbe Frage zu stellen,doch Fé lehnte dankend ab. Ihre Blicke kreuzten sich erneut kurz und Tom dachtefür einen Moment, einen traurigen Schimmer in ihren Augen ausgemacht zu haben,doch schon nach einem Wimpernschlag war dieser Eindruck wieder verschwunden. „Ichdenke, ich gehe schlafen. Ich bin müde." Sie sagte es mit gerunzelter Stirn,als ob sie sich nicht wirklich sicher wäre und wünschte ihm gute Nacht, bevorsie die drei Treppenstufen des Absatzes erklomm, der den Essbereich abgrenzteund hinter dem Piano die zwischen den Bücherregalen in die Wand eingelasseneTür öffnete. Er schaute ihr wie gebannt nach und erst als das leise Klicken derTür erneut ertönte, als sie hinter Adara ins Schloss gezogen wurde, atmete ertief ein. Es fühlte sich so unwirklich an, so unecht wie ein Traum. Er standeinfach da, mitten in seinem Wohnzimmer, wusste weder, was er nun tun sollte,noch was er zu denken hatte und in seinem Kopf breitete sich langsam eindumpfes Gefühl aus wie dicker, wabernder und alles einhüllender Nebel. Für ihn schienes wie ein halbe Ewigkeit, doch in Wahrheit waren keine zehn Sekunden vergangen,ehe er ebenfalls zur Tür eilte, hinter der sich die Treppe in den zweiten Stockverbarg. Als wäre ein wildes Tier hinter ihm her, eilte er die Treppen hinauf,immer noch unwissend, was er da eigentlich tat. In seinen Ohren rauschte dasBut und verdrängte jegliche Gedanken aus seinem Bewusstsein. Auf einmal warenalle Hemmungen auf wundersame Weise wie weggeblasen und nur ein einziges Gefühldirigierte sein gesamtes Handeln: Die Angst davor, ein für alle Mal seineChancen verspielt zu haben. Er wollte es wissen – er musste einfach. Er hatteeigentlich keine andere Wahl. So lange Zeit, so viele Monate, Wochen, Tage, alldie unzähligen Stunden, die er grübelnd und in Ungewissheit verbracht hatte undsich ein Leben zu zweit mit Fé ausgemalt hatte, immerzu zwischen Hoffen undBangen hin und hergerissen, ob sie überhaupt zu ihm zurückkommen würde, siealle hatten ihre Spuren an ihm hinterlassen. 

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Hallo meine Lieben! <3

Ich liebe das nächste Kapitel *~* Nur leider schlafe ich grad fast ein, weswegen das Weiterschreiben auf morgen verschoben werden muss.. 

Wir waren heute Skifahren in Leysin mit dem gesamten Jahrgang und obwohl das Wetter mit dickem Nebel und konstantem Schneefall echt nicht gut war, waren die Schneebedingungen einfach perfekt! Viel Puderschnee/Neuschnee bei -8°C *~* Ich bin K.O. 

 

Mermaid SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt