22. Plan A wie Albtraum

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„Aber dafür müssen wir von Felicitas Duncan fortkommen. Das glaubt uns eh keiner. Der erstbeste Trottel, der Nachforschungen anstellt, wird herausfinden, dass alles ein einziger Schwindel ist. Oh, außerdem sollten wir Mademoiselle Ida nichts davon erzählen, sie scheint mir nicht so recht vertrauenswürdig zu sein. Ich glaube überdies, dass sie gelegentlich klaut", grummelte der Butler, während er noch immer in seine Notizen vertieft einen weiteren Punkt auf seine Liste setzte. „Mein Bruder wird sich um die Details kümmern, darin war schon immer besser als ich", murmelte er. Die Feder kratzte übers Papier, das bald darauf getränkt von schwarzer Tinte glänzte. „Wir müssen es geschickt anstellen. Die Edelsteine stellen die einzig annehmbare Möglichkeit dar, um so schnell zu so viel Geld zu kommen", meinte Henry und schaute auf. Sein Blick glitt zwischen Maria und Adara hin und her, ganz so, als ob er dazu erst ihrer beide Zustimmung einholen müsse. Beide nickten also. „Es tut mir wirklich leid, Miss Fé. Unter anderen Umständen würde ich das natürlich nicht von Ihnen verlangen", meinte er, doch Adara winkte ab. „Ich mache es für Tom. Und es muss sein", sagte sie nur knapp. Und damit war das Thema gegessen. Henry bedachte Adara noch mit einer Mischung aus Bewunderung und Anerkennung, bevor er sich räusperte und fortfuhr. „Jedenfalls müssen es geschickt angehen. Nicht alles auf einmal zu einem der kleinen, örtlichen Händler bringen. Das wäre viel zu auffällig. Ich könnte nach London gehen und dort bei den großen, internationalen Händlern vorbeischauen. Cartier zum Beispiel ist in gewissen Kreisen bekannt dafür, gute Preise für Meerjungfrauen-Aquamarine zu machen." Dann war es einige Zeit lang still. Ab und an griff der ein oder andere zum Kaffeetischchen, um sich noch ein Sandwich zu nehmen, aber ansonsten sannen sie alle ihren ganz eigenen Gedanken nach. Besonders Adara ließ der Gedanke, dass es eine ganze Meermenschen-Gesellschaft an Land geben könnte, einfach nicht los. Irgendwann durchbrach Maria dann aber doch die Stille. „Huiuiuiuiui", machte sie. „Da geht es wohl bis ganz nach oben in die höchsten Gesellschaftsschichten", merkte sie an und machte dabei mehr als große Augen, wobei sie zusätzlich noch ihre Augenbrauen in die Höhe zog. Henry kicherte. „Wenn Sie wüssten, meine Teuerste. Heutzutage ist es ja schon fast einfach für eine Meerjungfrau, unentdeckt zum Menschen zu werden. Stellen Sie sich das mal vor gut dreihundert Jahren vor!"

Und damit schwanden Adaras Hoffnungen, ihr Urururgroßvater könnte heil davon gekommen sein, dahin wie der Schaum, der die Wellen säumte. Henry nahm das Papier in seine Hände und hielt es auf Armeslänge von sich. Ein leises Stöhnen verließ seine Lippen, als er wieder zu sprechen begann. „Also. Was haben wir bis jetzt?", fragte er, als ob er selbst nicht wüsste, was er auf seiner eigenen Liste zusammengetragen hatte. „Identitätsausweis für Miss Fé auftreiben. Dazu müssen wir nur meinen Bruder Charles besuchen", begann er aufzuzählen und blickte aber schon nach diesem ersten Punkt in die kleine Runde. Nicht vergebens, denn Adara saß wieder kerzengerade auf dem Sofa und jeder einzelne Muskel ihres Körper schien angespannt zu sein. Milde lächelte Henry sie an. Seine Frau hatte am Anfang auch immer so reagiert. Wie sehr er sie doch vermisste. „Keine Bange, Miss Fé", meinte er beschwichtigend. „Charles ist eingeweiht. Er mag es nur nicht, irgendwelchen wildfremden Leuten Ausweise auszustellen. Er will jede angebliche Meerjungfrau persönlich kennenlernen", erklärte er. Adara stutzte dabei. „Und wie will er wissen, ob ich nun ein Meermensch bin oder nicht?", hakte sie etwas verwirrt nach und machte eine ausladende Handbewegung, als sie sich nach vorne beugte. Henry lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Seine Frau sagt es ihm. Auch meine Schwägerin gehört dem Fischvolk an, ich vergaß wohl, das zu erwähnen, vergebt mir." Damit gab sich Adara zufrieden, auch wenn sie es kaum glauben konnte. Nun gut, Zufälle sollte es geben, dachte sie bei sich. Henry fuhr derweilen mit dem nächsten Punkt fort.

„Ein Bankkonto für Miss Fé eröffnen. Damit wir das Geld nicht durch halb Irland transportieren müssen. Klingt logisch, oder?", fragte er und wartete gar nicht, bis Adara nickte wie Maria – für die es mehr als nachvollziehbar war - es schon die ganze Zeit über tat, sondern fuhr weiter fort. „Sicherstellen, dass das Grundstück frei von jeglichen Presseleuten bleibt", meinte er dann und schaute erneut von seinem Papier auf. „Maria und Adara schauten ihn noch immer aufmerksam an, aber keine sagte etwas. „Oder sollen wir das lieber lassen?", fragte der alte Butler nach einer Weile herausfordernd, wobei die beiden Frauen beinahe synchron fast aufsprangen und sich mit Händen und Füßen gegen diesen Vorschlag wehrten. Erst als Henry zu schmunzeln begann und seinen ordentlich gezwirbelten Schnauzer über seiner Oberlippe tanzen ließ, beruhigten sich auch die beiden Frauen wieder ein Stück weit. „Nun, dann werde ich wohl eine Security-Firma beauftragen", fügte er hinzu und notierte sich wieder etwas auf seiner Liste. „Es herrscht schließlich schon genug Trubel um Master Thomas", fügte er etwas leiser hinzu. Irgendetwas schien er in diesem Moment zu bemerken, denn auf einmal fuhr er sich ächzend über das schüttere Haar auf seinem Kopf und biss die Zähne zusammen. „Was ist Henry?", fragte Maria sogleich, wenn auch ziemlich relaxed. „Ach, wir befinden uns doch in einem Teufelskreis", stieß der Butler in einem enttäuschten Seufzer aus. „Wenn wir einen Ausweis für sie haben wollen, brauchen wir erst einmal etwas an angemessener Kleidung für sie. Und Kleidung kostet Geld, das wiederum auf ein Bankkonto gehört, welches wir erst bekommen, sobald wir ihren Ausweis vorlegen können", meinte er seufzend. Ein Moment der absolutem Stille verging, doch dann begann Maria auf einmal zu lachen. „Aber Henry! Das können wir doch übernehmen!", rief sie nur.

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