Adara wurde geweckt von den wilden Rufen der Vögel, die sich vom rauen Wind die steilen Klippen herauftragen ließen, um sich dann im Sturzflug wieder in die brechenden Wellen zu stürzen. Die Sonne stand schon über dem Horizont und sandte ihre goldenen Strahlen in die Welt hinaus. Sie lag mitten in ihrem Bett, auf dem Rücken, zugedeckt und schaute hinauf in den luftig leichten Stoff des Himmelbetthimmels. Doch plötzlich stutzte sie. Sie hätte schwören können, dass Tom noch bei ihr gewesen war, als sie eingeschlafen war. Und auch hatte sie am Fußende gelegen, quer über der Matratze. Unsicher hob sie ihren Kopf und erwartete bereits fast, dass eine erneute Welle des Schmerzes ihren Körper durchfuhr. Doch nichts passierte. Behutsam bewegte sie ihren Oberkörper erst nach links, dann rechts, streckte ihre Arme vorsichtig von sich, doch noch immer verspürte sie nicht das leiseste Ziehen. Es war weg. Sie setzte sich auf, ziemlich verwundert nun, und schaute sich um. Tom war nirgends zu sehen. Auch fiel ihr auf, dass sie ihre Kleider noch trug, was sie auf eine Weise beruhigte. Mehr aus Zufall glitt ihr Blick in den Spiegel, der an der Wand hing und damit auch auf ihre zerzausten Haare, die in wilden Strähnen über ihre Schultern hingen und teilweise in alle Richtungen abstanden. Und ihre Haut war blass. Fast wie die eines Gespenstes, schoss es ihr durch den Kopf. Aber nicht nur ihre Haut erinnerte an einen Geist. Auch ihre Züge waren eingefallen, zeichneten sich sogar hart ab und verliehen ihr etwas Ernstes, Kaltes. Fast wie auch bei Marlene, die so viel von ihrer Herzlichkeit und äußeren Schönheit eingebüßt hatte. Adara erschrak regelrecht bei diesem ihrem eigenen Anblick. Nur ihre Lippen leuchteten tiefrot in dem schneeweißen Gesicht. Es brauchte sie einiges an Überwindung, sich von ihrem Spiegelbild zu lösen und aus dem Zimmer, das irgendwie zu ihrem eigenen geworden war, auf den Flur zu treten. Aber auch dieser war menschleer, ebenso wie das neue Büro. Sie wagte es nicht, auch in den anderen Räumen nachzuschauen und hielt es für besser, erst wieder ins untere Stockwerk zurückzukehren. Vielleicht war Tom ja dort. Langsam und fast ein wenig unsicher stieg sie die Treppenstufen hinunter und drückte die Türklinke der Tür hinunter, die sogleich lautlos aufglitt. Und da stand er tatsächlich, Tom, mit Kochschürze am Herd. Als er den Kopf hob und sie erblickte, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus, das es Adara warm um Herz werden ließ. Sie konnte es nicht erklären, aber dieser Mensch schien der einzige zu sein, der sie ganz vorurteilslos betrachtete, obwohl er sich voll und ganz bewusst war, wer sie war und vor allem, was sie getan hatte. Sie war eine Mörderin und musste in jeder freien Sekunde an ihre schreckliche Tat denken, doch ihm schien es egal zu sein. Ein lächerliches Detail wie ein abgerissener Blusenknopf. Vielleicht verselbstständigte sich ihre Magie deshalb. Weil sie sich selbst in Frage stellte, an sich zweifelte und weder vergessen noch sich selbst verzeihen konnte. Aber Tom konnte es anscheinend. Unerklärlicherweise. „Du siehst besser aus", meinte er in diesem Moment und Adara war sich nicht sicher, ob das Leuchten in seinen Augen vom einfallenden Sonnenlicht herrührte oder nicht. „Danke", erwiderte sie etwas steif und strich sich verlegen eine lose Haarsträhne hinters Ohr. „Hunger?", fragte Tom so selbstverständlich wie eh und je, die Pfanne mit dem fertigen Omelett in die Höhe haltend und noch immer lächelnd. Aber noch bevor Adara auf die Frage antworten konnte, läutete es an der Tür. Tom's Lächeln schmolz dahin wie warmes Kerzenwachs. Er ließ die Bratpfanne wieder sinken und warf ihr einen fragenden Blick zu. Aber Adara wusste sich ebenso wenig zu helfen wie Tom selbst und so ging er mit großen Schritten und gerunzelter Stirn zur Haustür. Adara trat indessen hinter dem Klavier hervor und obwohl sie wegen der massiven Tür nichts sah, nahm es sie wunder, wer denn da so früh am Morgen vorbeikam. Auf der Schwelle mussten zwei Männer stehen, den Toms Kopf kippte erst nach links, dann nach rechts und wieder zurück. „Was wollen Sie denn hier?", fragte er verwirrt und Adaras Vermutung bestätigte sich, als beide gleichzeitig zu einer Antwort ansetzten. Schließlich setzte sich aber die tiefere Stimme durch und brachte die andere mit einem autoritären Räuspern zum Schweigen. „Dieser Mann wollte partout nicht stehenbleiben, meinte er hätte einen Termin mit einer gewissen Adara. Er hat sich nicht aufhalten lassen und abtransportieren konnten wir ihn auch nicht, so sehr hat er sich gewehrt." Der Mann hörte sich mürrisch an. Offensichtlich war es der Chef der Security-Staffel, die Tom angeheuert hatte. Tom seinerseits riss sich in Eile die Kochschürze vom Leib und versuchte dabei so ernst wie möglich zu wirken, was in dieser Situation schon wieder etwas lustig wirkte. „Sie haben also einen Termin?", fragte er ungläubig, zog demonstrativ eine Augenbraue in die Höhe, während er die Arme vor der Brust verschränkte. Der zweite Mann, der sich nun endlich zu Wort meldete, bejahte, bevor er kurz darauf weder verneinte. „Also, nicht so richtig. Jetzt lassen Sie mich endlich los, Sie Rüpel! Jedenfalls muss ich mit Miss Adara sprechen. Dringende Angelegenheit." Und damit drängte er sich durch die halbgeschlossene Tür und an Tom vorbei. Als erstes kam ein riesiger Strauß roter Rosen zum Vorschein, danach ein ziemlich verbeult aus der Wäsche schauender Alexander Palmer, der offensichtlich bis dato mit festem Griff am Kragen zurückgehalten worden war und nun sein Jackett richtete und die Krawatte enger zog. Sogleich erblickte er sie, wie sie auf dem Treppenabsatz stand und ihn verwundert musterte. „Adara! Da sind Sie ja!", begrüßte er sie und trat mit offenen Armen auf sie zu, küsste sie links und rechts einmal auf die Wange und überreichte ihr dann den Blumenstrauß mit den gigantischen Ausmaßen und musterte sie eingehend. „Alexander! Was tun Sie denn hier? Ich dachte, Sie wären in London!", entfuhr es ihr mit einer Mischung aus Verwirrung und Erstaunen. Neben Tom wollte der in schwarz gekleidete Security-Chef schon eingreifen, aber Tom hielt ihn zurück. Mit einer Miene, die ohne weiteres als die Totenmaske eines südländischen Diktators hätte durchgehen können, musterte er Adara und den ihm unbekannten Mann, den Fé eben Alexander genannt hatte. Daraufhin zog der Wachmann bald wieder ab und Alexander setzte sich unverfroren an den Esstisch. Tom schloss murrend die Haustür, hielt dann mitten in der Bewegung inne, schnupperte mit einem seltsamen Gesichtsausdruck und erinnerte sich dann an die Bratpfanne samt Inhalt, die noch immer auf dem Herd stand und vor sich hin brutzelte. Leise fluchend war er in wenigen Sätzen wieder in der Küche und versuchte zu retten, was noch zu retten war. Adara folgte ihm mit interessierten Blicken. Alexander Palmer ließ sich davon nicht beirren. „Es ist schön, Sie wiederzusehen, Adara. Es ist viel passiert in letzter Zeit und da Sie nicht auf meine Briefe geantwortet haben, habe ich mich kurzerhand dazu entschlossen, Ihnen persönlich einen kleinen Besuch abzustatten. Ich hoffe, mir ist die Überraschung gelungen!", verkündete er hocherfreut und bemerkte den bitteren Beigeschmack nicht, den Adaras Stimme annahm, als sie antwortete: „Auf alle Fälle." Ihr Blick pendelte andauernd zwischen dem strahlenden Alexander und dem düster dreinblickenden, mürrischen Tom hin und her. „Gut. Ich muss mit Ihnen übers Geschäftliche Reden. Wir möchten Sie nämlich auch für die nächste Linie als Werbegesicht. Der Haken daran ist, dass das Shooting schon in den nächsten Tagen stattfindet. Wären Sie damit einverstanden?" Er schaute sie erwartungsvoll an, doch kein Wort kam über ihre Lippen. Hilfesuchend schaute sie zu Tom, der wiederum Alexander wütend anfunkelte. Nur kurz hob er den Blick und zuckte stumm mit den Schultern, wie um zu sagen, dass sie diese Entscheidung selbst treffen müsse. Schlussendlich stimmte sie zu und Alexander Palmer lud sie zu einem Abendessen am selben Abend in ein renommiertes Restaurant in Dublin ein. Da der Vorschlag, keine Presse und auch sonst niemanden darüber zu informieren von ihm kam und dem auch nichts hinzuzufügen gewesen wäre, war er auch schneller wieder aus dem Haus, als man sich ein Spiegelei hätte braten können. Er hinterließ eine etwas aufgewühlte Adara und einen vor Wut kochenden und überhaupt nicht amüsierten Tom. „Wer zur Hölle war dieser unverschämte Typ?", knurrte dieser und schleuderte die Kochschürze der Haustür entgegen. Bei Adara setzte das schlechte Gewissen ein. „Das war Alexander Palmer. Er ist der Geschäftsführer von Cartier", gab sie etwas beschämt zu. „Was? Dieser Schnösel? Hast du gesehen, wie der sich aufgeführt hat?", wetterte Tom weiter und fuchtelte wild mit dem Pfannenwender in der Luft herum. Irgendwie sah es ja schon fast wieder komisch aus. Adara hatte Mühe, jetzt nicht zu lachen. „Es tut mir leid, Tom, das kommt bestimmt nicht wieder vor", sagte sie und konnte sich ein Grinsen nicht verbieten. Ergeben ließ er seine Arme wieder sinken und warf noch einen letzten, mürrischen Blick in Richtung Tür. „Ich mag den Vogel nicht, basta."
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Mermaid Summer
FantasyTom's Unglück begann vor etwa einem Jahr, als er zusehen musste, wie seine Familie in einem schrecklichen Brand ums Leben kam. Als einziger Überlebender schlägt er sich mit heftigen Depressionen und Albträumen herum und kann einfach nicht glauben, d...