Auf hoher See

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Lumi deutete auf das kleine Fläschchen mit dem weißen Pulver in meiner Hand und sah mich ernst an. >Das hier< sagte er leise >sind gemahlene Zähne. Es ist der einzige Weg, ein Portal zu öffnen für euch, das uns direkt zu einem Boot bringt. Von dort aus gelangen wir fast zu Ruhn.<

Ich starrte ihn an, meine Augen weiteten sich vor Ekel. >Gemahlene... Zähne?< wiederholte ich ungläubig. Neben mir verzog auch Joon das Gesicht, als hätte er gerade in etwas Schlechtes gebissen.

>Du meinst, wir reisen durch ein Portal aus... Zähnen?< fragte Joon, der sichtlich weniger begeistert war. Er hielt sich ein wenig zurück, als ob er dem Fläschchen nicht zu nahe kommen wollte.

Lumi nickte ruhig, als wäre das völlig normal. >Es ist eine alte Methode, aber sie funktioniert sagt die Zahnfee. Keine Sorge, das Portal wird auch nicht beißen, hat Fips gesagt<

Ich schüttelte den Kopf und sah Joon an. >Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Das Zeug zu nutzen, um durch irgend ein Portal zu gehen oder von den Maskenmännern geschnappt zu werden<

>Ehrlich gesagt< fügte Joon hinzu >bin ich auch nicht wirklich begeistert davon, mich von Zähnen irgendwohin transportieren zu lassen<

Wenig später standen wir auf dem Hinterhof des Cafés und sahen ungläubig zu, wie Lumi das Pulver in einem seltsamen Muster auf den Boden streute. Die Dämmerung hatte sich über die Stadt gelegt, und der Kontrast zwischen der friedlichen Umgebung und dem, was gleich passieren würde, ließ mich frösteln.

>Okay, also was genau müssen wir tun?< fragte ich, während Lumi sorgfältig den letzten Kreis schloss.

>Ihr müsst einfach zusammen in den Kreis treten< erklärte Lumi ruhig, als wäre es das Normalste der Welt, mit Hilfe gemahlener Zähne zu reisen. >Sobald das Pulver aktiviert ist, wird das Portal sich öffnen, und dann gehen wir hindurch. Ihr werdet das Gefühl haben, zu schweben, aber keine Sorge, es ist völlig ungefährlich, sagt die Zahnfee<

Joon starrte das Pulver an, als ob es ihn gleich anspringen würde. >Schweben, hm? Ich weiß ja nicht, ob ich bereit bin, mich durch Zähne teleportieren zu lassen.<

>Es gibt keine andere Wahl< erinnerte Lumi ihn mit einer leicht angespannten Stimme. >Wir müssen zu Ruhn, und das ist der schnellste Weg. Auch wenn Lumi nicht weiß warum Liv möchte das Joon mitkommt<

Ich seufzte tief, während ich einen letzten skeptischen Blick auf den Kreis warf. Ich war nicht begeistert von der Idee, aber die Dringlichkeit der Lage ließ mir keine andere Wahl. Also trat ich mit Joon zusammen in den Kreis, während Lumi hinter uns folgte.

Plötzlich begann das Pulver zu glühen, und ein leises Summen erfüllte die Luft. Der Kreis unter uns pulsierte, und ich spürte, wie sich der Boden unter unseren Füßen veränderte. Ein scharfer, fast beißender Geruch stieg mir in die Nase, und bevor ich mich noch weiter wundern konnte, zogen uns die unsichtbaren Kräfte durch das Portal.

Als das Gefühl des Schwebens nachließ und ich die Augen öffnete, war die Veränderung schockierend. Wo eben noch der Hinterhof des Cafés gewesen war, standen wir jetzt auf einem Boot, das sich sanft über die Wellen der tiefblauen See wiegte. Der Wind peitschte über das Deck, und die Geräusche der Wellen schlugen gegen den Rumpf des Schiffes.

Ich blinzelte und trat einen Schritt zurück.
>Wir... wir sind auf einem Boot. Mitten auf dem Meer.< Joon sah sich um und schnaufte. >Das fühlte sich so seltsam an<

>Tja< sagte Lumi >Lumi hat euch doch gesagt, es funktioniert. Jetzt geht's zu Ruhn.<

Der Wind pfiff eisig über das Deck des kleinen Bootes, ich zog meinen Mantel fester um mich. Den Mantel hatte ich glücklicherweise unter einer der Bänke gefunden. Die Kälte biss unerbittlich in meine Haut, und obwohl ich versucht hatte, mich gegen die steife Brise zu stemmen, war es fast unmöglich, warm zu bleiben. Jede Böe schien schärfer als die letzte zu sein, und die Gischt des Ozeans sprühte uns gelegentlich ins Gesicht, als ob das Wasser selbst versuchte, uns zurückzuhalten.

Joon saß schweigend neben mir, die Schultern hochgezogen, während er die Hände tief in die Taschen steckte. Seine Zähne klapperten leicht, und ich konnte ein leises Fluchen hören, als er den Kopf tiefer in seinen Kragen zog. Lumi hingegen schwebte vorne am Bug, als würde ihn die Kälte überhaupt nicht stören. Ich wusste nicht, ob ihm all das wirklich nichts ausmachte oder er es einfach gut verbergen konnte, aber ich beneidete ihn um seine Gelassenheit.

>Wie lange noch?< fragte Joon irgendwann, seine Stimme kaum zu hören über das Heulen des Windes.

>Nicht mehr lange< rief Lumi zurück. Seine Stimme klang gedämpft, fast als würde der Wind sie verschlucken, bevor sie uns erreichte. >Wir nähern uns bereits dem Ziel.<

Ich konnte kaum etwas erkennen. Über dem Wasser hing dichter Nebel, der sich wie ein schwerer Schleier um uns legte, und die Sicht betrug kaum mehr als ein paar Meter. Jeder Blick in die Ferne wurde von der endlosen Grautönung verschluckt, und es fühlte sich an, als würden wir durch nichts als Leere fahren. Die Stille des Meeres unter dem Kreischen des Windes machte die Situation umso unheimlicher.

>Was heißt eigentlich die letzten Hauptvideos die ihr gedreht habt?< ich musste mich irgendwie ablenken.
>Ju wollte aufhören mit YouTube, aber die Geschichten die wir angefangen haben sollten ein Ende bekommen oder besser gesagt der YouTube Kanal sollte sein Ende bekommen, was er quasi verdient. Und du bist von der Zahnfee gefangen genommen worden und jetzt hilfst du ihm?< Joon schien immer noch erstaunlich entspannt, in angesicht dessen, in was für einer Situation wir steckten.
>Dumm oder?< Ich holte tief Luft >Aber ich habe kein Leben mehr dank ihm. Er hat alle vergessen lassen, dass es mich gibt ... so wie bei deinem Freund< stirnrunzelnd sah ich ihn an.
>Das ist nicht ganz richtig. Julien ist einfach unwichtig geworden. Die Leute scheinen akzeptiert zu haben, dass die letzten Videos nicht mehr kommen. Er würde das hier lieben, seine Abenteuer selbst erleben< Joon schien in irgend eine Erinnerung abzudriften.
>Aber warum könnte er denn verschwunden sein?< fragte ich schließlich.
>Ich weiß es nicht. Aber es ist irgendwie schon gruselig das Ganze. Vor allem das du mir sagst es gäbe die Wächter wirklich. Ich habe Ju natürlich nicht geglaubt, aber irgend wie war es auch das einzige was ich noch von ihm habe als Anhaltspunkt... ich glaube wäre dein Geist nicht aufgetaucht, würde ich dir immer noch nicht glauben< er lächelte mich schief an.
>Das ganze ist wirklich einfach nur verrückt und es wird noch verrückter, wenn du die Vier erstmal kennenlernst. Sie...<
>vertragen sich eher nicht so gut?< beendete Joon meinen Satz. Ich nickte langsam.

Plötzlich bremste das Boot ab, und ein leises Knirschen erklang, als es sanft gegen etwas stieß. Ich sah auf und erkannte, dass wir einen Steg erreicht hatten. Der hölzerne Anlegesteg war kaum sichtbar im Nebel, doch die knarrenden Planken und das Seufzen der Seile, die das Boot festhielten, verrieten, dass wir fest am Ziel waren.

>Was... ist das?< flüsterte ich, meine Stimme heiser vom Wind.

>Das hier ist unser Weg< sagte Lumi. >Der Nebel wird uns nicht lange Zeit lassen. Wir müssen weiter.<

Ich zögerte, aber die Kälte ließ mir keine Wahl. Ich folgte Lumi und Joon, als sie über die rutschigen Planken des Stegs stapften, der immer weiter in den Nebel führte.

Secret desire | Eine Julien Bam FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt