Der Hauch der Dunkelheit

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Pov Ruhn

Liv hatte sich aus meinen Armen gelöst und schien sich zum ersten Mal richtig umzusehen. Während ich noch rätselte was Menschen an einer Umarmung so besonderes fanden. Man war sich plötzlich körperlich ziemlich nah, mehr aber auch nicht. Ich hatte sie in den Arm genommen, weil ich wusste das Menschen das so taten und ich wissen wollte, ob dieser alte Mann recht haben könnte, dass ich Menschlichkeit besaß.

>Wo sind wir?< Liv stand langsam auf. Wir waren umgeben von einer Landschaft aus Sand. Egal wo man hinsah, es gab nur diesen verdammten Sand.
>Dem ganzen Sand nach zu urteilen, irgend wo in Zekes Reich< seufzte ich und stand auf. Von meinen Klamotten rieselten die kleinen feinen Steine hinunter.
Ich hasste Sand.

Liv wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht und sah auf meine Füße. Ich folgte ihrem Blick. Der Sand unter meinen Füßen war schwarz.

>Ich gehöre nicht hierher, wie man sieht< kopfschüttelnd ging ich einen Schritt auf Liv zu.
>Und ich dachte schon es liegt an deiner Seele. Wie finden wir die anderen beiden wieder?< fragte sie und sah stirnrunzelnd auf die schwarzen Fußspuren die langsam verblassten.
>Ich weiß es nicht. Du müsstest dich hier doch besser auskennen< zuckte ich mit den Schultern und sah mich erneut um. Den Satz über meine Seele ignorierte ich gefließend.
>Weil ich träume?< fragte sie kopfschüttelnd >Ich habe diesen Ort noch nie gesehen<

Wir schlugen schließlich irgend eine Richtung ein und liefen durch den Sand. Inwieweit wir voran kamen, ließ sich nicht beurteilen, da alles komplett gleich aussah.
>Und was genau suchen wir hier im Traumland?< fragte Liv irgend wann.
>Zeke hatte irgend was von verlorenen Träumen geredet und einem Tempel oder so. Ich bin daraus nicht schlau geworden. Dort soll ein Teil des Zepters sein< erklärte ich das was ich so halbwegs verstanden hatte.

>Hat O'Kelly euch noch mehr gesagt, außer diese Rätsel?< fragte Liv weiter.
>Nein< antwortete ich knapp.

Wir irrten weiter durch die endlose Wüste aus goldenem, feinen Sand. Der Horizont verschwomm in der Ferne, ohne klare Begrenzungen, als ob die Welt hier keinen Anfang und kein Ende hatte. Überall, wo das Auge hinreichte, erstreckten sich sanft geschwungene Dünen.

Der Sand glitzerte unter einem bleichen, unwirklichen Licht, das weder von Sonne noch vom Mond kam. Es wirkte fast so, als würde der Himmel von innen leuchten, in einem sanften Blau, das jedoch keine Wärme spendete. Stattdessen wurde die Luft kühler.

Livs Schritte sanken tief in den weichen Sand ein, als würde er sie bremsen wollen. Jeder Schritt kostete Kraft.

Der Himmel über uns war weit und leer, ohne Wolken oder Vögel. In der Ferne flimmerte die Landschaft, als ob die Wüste selbst zwischen Traum und Realität schwebte. Gelegentlich erschienen die Umrisse seltsamer Strukturen, die wie verfallene Türme oder verlorene Paläste aussahen, doch sobald wir näher kamen, lösten sich die Formen in Luft auf.

Pov Liv

>Wir sollten eine Pause machen< beschloss Ruhn als er scheinbar bemerkte wie sehr ich vor kälte zitterte.
Wir ließen uns einfach in den Sand nieder.
>Was wenn wir nie wieder von hier weg finden?< fragte ich mit Zähnen klappernd.
>Wir werden schon irgend etwas finden. Komm her< er streckte seinen Arm aus. Ich überlegte kurz, rutschte dann aber doch an ihn heran. Er legte seinen Arm um mich und ich spürte sofort wie seine wärme mich entspannte.

>Hat Zeke wirklich eine Sandfrau?< fragte ich plötzlich aus dem nichts heraus.
>Er hat sich hier in seiner Welt eine Frau aus Sand geformt und zum leben erweckt. Wahrscheinlich weil er sich doch einsam fühlt. Zu uns sagt er immer, es sei, weil er allein die ganze Arbeit nicht schaffen würde< erklärte er und ich hörte das er grinsen musste.
>Und du? Hast du auch jemanden?< fragte ich weiter.
>Ich habe Angestellte, die das meiste für mich machen. Und seit neuestem habe ich eine Menschenfrau die ziemlich neugierig ist<
Ich haute leicht gegen seine Brust >Du bist wirklich anstrengend. Immer wenn ich denke, ich komme mal etwas an dich heran, haust du sowas raus oder wirst gemein<
Er konnte nicht anders als zu lachen.

Ich machte mich grade und sah ihn an. >Im Ernst. Manchmal glaube ich du hast zwei Persönlichkeiten und deswegen auch diese Bemalung im Gesicht<
>Wie kommst du darauf?< fragte er und zog sein rechtes Bein an, um seinen Arm darauf abzustützen.
>Mal bist du total nett und dann wieder total abweisend. Und deine Stimme< ich wusste nicht wie genau ich es beschreiben sollte.
Ruhn sah mich einfach nur an. >Was soll mit meiner Stimme sein?< fragte er mit genau der tiefen Stimme, die jedes Mal eine Gänsehaut in mir hervorbrachte. Er schien genau zu wissen was ich meinte, so wie er plötzlich grinste.

>Du machst mich wahnsinnig< stöhnte ich und ließ mich in den warmen Sand fallen.
>Tu ich das?<
>Ja! Aber ganz sicher nicht im positiven Sinne<

Zu meiner Überraschung ließ sich Ruhn neben mich in den Sand fallen und drehte seinen Kopf zu mir, um mich anzusehen.
Ich betrachtete seine beiden Gesichtshälften. Die eine war wie die eines normalen Menschen. Weich, mit makelloser, blasser Haut, die fast schon unnatürlich rein wirkt. Die Lippen auf dieser Seite waren geschwungen und rosig, als ob sie zu einem Lächeln bereit wären, das sowohl freundlich als auch betörend wirken könnte.

Die andere Seite jedoch war ein scharfer Kontrast. Über die untere Gesichtshälfte verlief das detaillierte, grinsende Gebiss eines Totenschädels. Die Zähne waren unheimlich akkurat, in einem schattenhaften Weiß, das einen kalten Schimmer besaß. Die Kieferknochen waren fein gezeichnet, als ob die Haut durchscheinend wäre und darunter der Tod selbst lauern würde. Diese Seite des Gesichts wirkt leer und unbarmherzig. Das aufgemalte Skelett grinste unheilvoll, während das lebendige Auge darüber kalt und unergründlich erschien.

>Was denkst du?< fragte er plötzlich.
>Ich frage mich wie du so sein kannst? So kontrolliert, kalt und gleichzeitig habe ich das Gefühl das irgend wo in dir etwas lauert, etwas warmes< ich merkte wie er mich überrascht ansah und drehte mich schließlich zu ihm auf die Seite. >Und dann wüsste ich gerne, wie du mich dazu bringst all diesen scheiß hier mit zu machen, obwohl du gar nicht mal so nett bist, mit deinem gruseligen aussehen<

Ruhn sah mich einfach weiter an und sagte nichts.
>Ist das jetzt eigentlich aufgemalt oder nicht?< fragte ich, da ich die Stille als erdrückend empfund.
>Finde es heraus< antwortete er. Zögerlich streckte ich meine Hand aus und berührte seine Wange. Es fühlte sich kühl und glatt an, fast so, als würde ich über polierten Marmor oder kalten Stein streichen. Meine Finger fuhren über die aufgemalten Wangenknochen, doch es fühlte sich nicht an als wäre es Farbe.
Er schloss die Augen. >Das ist das was die anderen Dark nennen und du als kalt und unfreundlich wahrnimmst< wisperte er.
Ich hielt inne >Und das?< ich rutschte näher an ihn heran, um mit der anderen Hand seine andere Gesichtshälfte zu berühren. Er zuckte kurz zusammen, ließ es dann aber geschehen.

Die andere Gesichtshälfte fühlte sich warm und lebendig an. Die Haut war weich und leicht nachgiebig, wie die eines normalen Menschen, mit der leichten Wärme, die von Leben und Bewegung zeugte. Im Gegensatz zur kalten, bemalten Seite spürte ich hier den Puls, das Blut, das darunter floss und das Flackern von echter Lebendigkeit. Es war vertraut und beruhigend.

Der Gegensatz zwischen den beiden Hälften war deutlich spürbar. Die lebendige Seite vermittelte Wärme, Vertrauen und sogar einen Hauch von Zärtlichkeit, während die bemalte Seite eine Kälte und Starrheit ausstrahlte, die mich an das Wesen von ihm erinnerte, dass in der Dunkelheit gefangen zu sein schien. Zum allerersten Mal nahm ich seinen ruhigen Atem war, während meine Hände auf seinen Wangen ruhten.

>BEI ALLEN GUTEN MÖHREN, DA SIND SIE< schrie plötzlich Fips.
Ich schreckte von Ruhn zurück und merkte im gleichen Moment wie nah wir uns gekommen waren. Auch er setzte sich abrupt auf, schenkte mir einen kurzen verwirrten Blick, bevor seine Gesichtszüge wieder hart wurden.

Fips und Zeke kamen auf uns zu gerannt.

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Ich glaube das ist das bislang längste Kapitel 🤔 und ich hätte locker noch weiter schreiben können 😅

Secret desire | Eine Julien Bam FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt