Der Sturm

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Pov Zeke

Ich trat durch die Tür in den Garten, die Luft kühl und still. Ich rollte die Augen, als mein Blick wie gewohnt auf Fips' absurder Statue landete. Was für eine unnötige Egonummer, dachte ich kopfschüttelnd und wollte gerade weitergehen. Doch mein Blick blieb plötzlich an etwas anderem hängen, an Liv. Sie sackte in sich zusammen, wie ein zerfallendes Gebäude, das langsam aber sicher einstürzte. Meine Augenbrauen zogen sich verwirrt zusammen.

Ein mulmiges Gefühl kroch in meinen Magen, während ich von Liv zu Ruhn sah, der ebenfalls wie angewurzelt dastand. Doch etwas war falsch, richtig falsch. Ruhn, sonst immer so kontrolliert und klar in seiner Haltung, wich plötzlich einen Schritt zurück, als wäre ihm etwas entglitten. Ich öffnete den Mund, wollte etwas sagen, aber die Worte blieben mir im Hals stecken, als ich es sah. Es war, als würde ein Schatten aus Ruhn herausbrechen, ein Abbild, das von Dunkelheit durchzogen war - Dark, die Verkörperung von Ruhns dunkler Seite.
Mein Körper versteifte sich, als ich ihn erkannte.

Dark streckte die Hand aus. Das Zepter sauste in seine Hand und dann bewegte sich blitzschnell, wie ein Raubtier, das ein Ziel verfolgt, das nur er sehen konnte. Dunkle Energie pulsierte durch den Garten, das Gras schien sich im Schatten zu wiegen. Ich stand da, starr, unfähig, das Geschehene zu begreifen. Was zum Teufel war das? Ruhns innere Dämonen, er ließ ihn frei.

Zurück blieb White - die helle Seite Ruhns. Seine Erscheinung war wie ein gleißendes Licht, das die Dunkelheit durchbrach. White kniete sich sofort neben Liv, seine Bewegungen hastig und sorgenvoll. Mein Herz schlug schneller. Etwas stimmte ganz und gar nicht.

>ZEKE!< Whites Stimme schnitt durch die Stille des Gartens, ein Schrei, der tief in mich eindrang. >ZEKE, JETZT!<

Es war dieser Ruf, der mich schließlich aus meiner Starre riss. Ich blinzelte heftig, als mein Verstand endlich die Situation erfasste. Alles um mich herum beschleunigte sich. Der Schock, der mich eben noch gelähmt hatte, wurde durch einen heftigen Ansturm von Adrenalin ersetzt. Ich spürte, wie meine Muskeln sich anspannten, meine Brust vor Anspannung krampfte. Mein Blick klebte an Livs reglosem Körper, ihre Haut blass gegen das grüne Gras, ihr Atem kaum sichtbar. Scheiße, dachte ich, während ich losrannte, meine Beine wie von selbst in Bewegung setzend.

Das Geräusch meiner Schritte auf dem Pflaster hallte dumpf in meinem Kopf, während ich schneller und schneller wurde. Die Welt um mich herum verschwand, es gab nur noch Liv und das Bedürfnis, sie zu erreichen, bevor es zu spät war.

Ich ließ mich neben White ins Gras fallen, mein Herz raste, während ich Livs blutgetränkte Bluse betrachtete. Ohne nachzudenken, presste ich, wie White, meine Hände auf die klaffende Wunde an ihrem Bauch, das warme Blut sickert zwischen meinen Fingern hindurch. Meine Augen weiteten sich vor Panik, während ich nach Worten rang, die mir nicht einfallen wollten. >Was... was ist passiert?< stammelte ich schließlich, mein Blick fixierte White, der schweigend neben mir kniete, der Ausdruck auf seinem Gesicht angespannt.

White sah mich kurz an, bevor er knapp antwortete. >Eine Gestalt. Sie kam aus dem Nichts und hat sie niedergestochen.< seine Stimme war so kühl und kontrolliert, als wäre das bloß eine alltägliche Feststellung, doch ich spürte die Dringlichkeit hinter seinen Worten. Deshalb hatte Ruhn sich von Dark getrennt. Dark verfolgte den Unbekannten. Ich schielte zu meinem Bruder, dessen Gesicht so anders wirkte, wenn seine dunkle Seite fehlte. Wäre die blässe nicht, sehe er fast normal aus.

Ich spürte, wie Wut und Angst sich in mir mischten. Verdammt, das hier war ernst! Ich schüttelte den Kopf, meine Stimme nun schärfer, als ich flüsterte >Sie braucht einen Arzt, verdammt! Sie ist ein Mensch!< meine Finger drückten fester gegen die Wunde, aber das Blut hörte nicht auf zu fließen. >Keiner von uns weiß, wie man so etwas heilt!<

Ruhn starrte nur still vor sich hin, als ob die Worte ihn nicht erreichen würden. Es war, als ob er selbst noch mit dem inneren Kampf rang, der in ihm tobte. Wahrscheinlich verstand er selber kaum was geschehen war.

Fips kam keuchend in den Garten gerannt, Joon dicht hinter ihm. >Oskar ist entkommen!< schrie Fips, doch seine Worte verloren sich sofort, als er den Anblick von Liv sah. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen, Fips' Gesicht wurde blass, und seine Augen weiteten sich entsetzt.

Joon reagierte als Erster, zog hastig sein Handy heraus. >Ich rufe einen Notarzt!< sagte er atemlos, während er hektisch die Nummer eintippte, die Situation über das Telefon schildernd. Ich hörte seine Worte nur wie durch einen dichten Nebel. Alles, was ich wahrnahm, war das Blut, das durch Livs Bluse sickerte, warm und unaufhaltsam.

Ich nickte zu Fips. >Du hältst den Druck auf die Wunde befahl ich. Fips nickte stumm und kniete sich hin, seine Hände über die klaffende Wunde gelegt. Meine eigene Hände zitterten leicht, als ich Livs regloses Gesicht betrachtete. Sie sah so blass aus, als würde das Leben langsam aus ihr herausgleiten, und ich wusste, dass wir keine Zeit hatten. Doch sie durfte nicht sterben. Ich brauchte sie noch.

>Verdammt, das reicht nicht.< Ich atmete tief durch und griff in meine Tasche, meine Finger umschlossen den Sand, der mir meine Macht verlieh. Ich zögerte. >ich rufe sie.< Es war eine letzte, riskante Option, aber ich hatte keine andere Wahl.

Mit einem tiefen Summen rief ich die Sandfrau herbei. Sie erschien in einem Wirbel aus goldenem Staub, formte sich aus den Körnern und funkelte wie eine Illusion, doch ich wusste, dass sie weitaus mehr war als bloß ein Trugbild.

Die Sandfrau schien nicht begeistert. Ihre durchdringenden Augen musterten Liv und dann mich >Das ist nicht meine Aufgabe< sagte sie kühl. >Warum sollte ich auf den Geist eines Menschen aufpassen?<

Meine Augen verengten sich, und ich trat näher. >Du tust es. Oder ich sorge dafür, dass du nichts mehr tust, hast du verstanden?< meine Stimme war leise, aber unnachgiebig. Es war keine Bitte. Die Sandfrau hielt meinem Blick stand, doch schließlich nickte sie widerwillig.

>Gut< sagte ich kurz. >Pass auf sie auf.< Mit einem letzten Blick auf Liv rannte ich los. White folgte mir sofort, und wir eilten gemeinsam in die Richtung, in die Dark verschwunden war.

Die kühle Luft des Gartens wehte mir ins Gesicht, während ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Ich wusste nicht, was Dark gerade verfolgte, aber wenn Oskar entkommen war, würde ich alles daran setzen, ihn zu fassen.

Der Himmel zog sich in drückendem Grau zusammen, und ich spürte den Sturm in der Luft, wie die aufgeladene Spannung, die auch in mir brodelt. Der Wind kam auf, erst sanft, dann gnadenlos, so wie meine aufkeimende Wut und die Angst um Liv. Jeder donnernde Schlag des Himmels hallte in meiner Brust wider, jeder peitschende Windstoß gleichte meinem unruhigen Puls. Der Regen setzt ein, hart und kalt, und mit jedem Tropfen, der auf mich niederprasselt, spürt ich die unkontrollierbare Kraft des Sturms - eine Macht, die ich nicht aufhalten konnte, genauso wenig wie die drohende Katastrophe, die um uns alle kreist.

Der Sturm zog nicht länger auf, wir befanden uns mitten drin.

Secret desire | Eine Julien Bam FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt