Nerven aus Stahl

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Ich wandte mich an White. >Geh zu Liv< sagte ich entschlossen >sie braucht dich jetzt<

White nickte sofort, sein Gesicht so ruhig und fokussiert wie immer. Ohne ein weiteres Wort verschwand er zwischen den Bäumen, Richtung Fips' Haus.

>Sieh an, sieh an< begann Dark mit einem spöttischen Grinsen >du vertraust mir also doch. Immer gewusst, dass du mich insgeheim mehr schätzt als den edlen Bruder da drüben.< Er deutete mit einem kurzen Nicken in die Richtung, in die White gerade verschwunden war.

Ich warf ihm einen genervten Blick zu. >Sei still, Dark, oder ich überlege es mir noch und schicke dich stattdessen zurück. Dann kannst du zusehen, wie du alleine klarkommst.<

Dark lachte kurz, eine dunkle, vibrierende Stimme. >Ach komm schon, Zeke, du brauchst mich hier draußen. White würde doch glatt den Verstand verlieren, wenn er noch einmal so nah am Abgrund stehen müsste.< Er legte eine Hand dramatisch ans Herz und grinste dabei übertrieben.

Ich runzelte die Stirn. >Warum hat Ruhn dich überhaupt rausgelassen?<

Ich wartete keine Antwort ab, war innerlich schon auf dem Sprung. Darks Kommentare riefen immer die gleiche Mischung aus Gereiztheit und Misstrauen in mir hervor. Aber jetzt war nicht die Zeit für dieses Spiel.

Dark grinste breit und lehnte sich lässig gegen einen Baum, das Gesicht noch immer von diesem amüsierten Ausdruck geprägt. >Weil ihr es ohne mich offensichtlich nicht gebacken bekommt, Zeke< sagte er, während er die Kutte in seiner Hand spielerisch schwenkte. >Jedes Mal, wenn ihr versucht, die Dinge auf eure Weise zu regeln, entstehen nur noch mehr Probleme.<

Ich schnaubte. >Ja, klar. Weil DU ja immer die Lösung bist, Dark.<

>Nicht immer< gab Dark zu, wobei er sein Lächeln nie verlor. >Aber du weißt genauso gut wie ich, dass eure verzweifelte, moralische Art, Dinge zu handhaben, euch nicht weitergebracht hat. Erst, wenn ich ins Spiel komme, bewegt sich was. Oder irre ich mich da?<

Ich sah ihn an, sein Ausdruck war schwer einzuschätzen. Es war kein Moment, in dem ich über Darks Worte nachdenken wollte, doch ein Funken Wahrheit schien darin zu stecken.

>Mach einfach deinen Job, Dark< sagte ich schließlich kühl >und halte uns nicht länger auf. Wir haben keine Zeit für diese Spielchen.<

Im Keller von Fips' Haus war die Luft schwer und feucht, die Steinwände strahlten Kälte ab. Dark und ich traten durch die Tür, und sofort fiel uns Santa ins Auge, der sich tief über den Boden gebeugt hatte. Er wirkte konzentriert, fast schon akribisch, während er mit den Fingerspitzen den Staub von den Fugen der Steine wischte und jeden Winkel des Raumes prüfte.

>Wie sieht’s aus?< fragte ich, während ich mich näherte.

Santa richtete sich langsam auf, seine Stirn war in Falten gelegt. >Ich weiß es nicht< murmelte er >irgendetwas passt hier nicht zusammen. Oskar scheint nicht er selbst zu sein. Gestern… es war, als ob er nicht wusste, was er tat.< Er strich mit den Fingern über einen Riss in der Wand, als würde er dort eine Antwort finden.

Dark hob eine Augenbraue und lehnte sich an den Türrahmen. >Willst du sagen, er war verwirrt oder... gelenkt?<

Santa nickte nachdenklich. >Vielleicht beides. Es war seltsam. Er hat die ganze Zeit nichts gesagt, nichts, was irgendwie Sinn ergeben hätte. Nur… wirres Zeug<

>Und trotzdem ist er entkommen< stellte ich fest und trat an Santa heran. >Was hast du bisher herausgefunden?<

Santa sah sich noch einmal im Raum um, sein Blick blieb an einem Fleck an der Wand hängen, wo scheinbar eine kleine Spur Staub fehlte. >Das ist es ja< sagte er langsam. >Ich habe keine Ahnung, wie er entkommen ist. Keine Anzeichen für ein Portal, kein verborgenes Loch oder versteckter Gang. Es ist, als wäre er einfach… verschwunden.<

Dark lachte leise. >Das klingt ja mal wieder nach einem der richtig spaßigen Rätsel.<

>Das hier ist kein Spiel, Dark< warf Santa scharf zurück. >Wenn Oskar wirklich nicht wusste, was er tat, müssen herausfinden, was los ist.<

>Was ist mit Liv?< fragte ich schließlich.

>Fips und Joon sind dem Krankenwagen hinterher gefahren< erzählte Santa, während ein mulmiges Gefühl in meinem Magen aufstieg. Die Vorstellung, Liv in fremde Hände zu geben und dann auch noch ins Krankenhaus, wo sie nicht wissen konnten, was es wirklich mit ihren Wunden auf sich hatte fühlte sich falsch an. Ich konnte nicht leugnen, dass die ganze Situation mir entglitt.

Dark musterte mich mit einem höhnischen Grinsen. >Was ist los, Zeke? Macht dir das Ganze Sorgen?< Er trat von der Wand weg, seine Stimme triefte vor Spott. >Warum ist dir Liv überhaupt so wichtig? Du kennst sie doch kaum.<

Ich drehte mich zu Dark um, meine Augen schmal. >Das hat hier nichts damit zu tun.<

>Ach nein?< Dark trat einen Schritt näher, sein Ton wurde lauernd. >Du bist die ganze Zeit auf sie fixiert. Hast du jemals darüber nachgedacht, warum? Oder ist es einfach nur deine Sache, hilflosen Menschen zu helfen?<

Ich spürte, wie die Spannung in mir wuchs, aber ich zwang mich, ruhig zu bleiben. >Ich will einfach, dass sie in Sicherheit ist< sagte ich langsam, doch ich wusste selbst, dass diese Antwort zu einfach war. Es war nicht nur das.

Dark hob eine Augenbraue, als er die kurze Pause bemerkte. >Sie ist nur ein Mensch, Zeke< sagte er mit einem kalten Lächeln. >Nicht mehr und nicht weniger oder was verheimlichst du uns?<

Ich ballte die Fäuste. >Sie ist offensichtlich nicht nur irgendwer<

Dark lachte leise. >Nein, für dich offensichtlich nicht.<

Ich spürte, wie die Wut in mir brodelte. Dark hatte es geschafft, genau die richtige Stelle zu treffen, und mit einem Mal konnte ich nicht mehr an sich halten. >Was ist eigentlich dein Problem?< fauchte ich >Du bist auch Ruhn, also sag mir: Was sollte dieser Kuss?<

Dark grinste breit, unbeeindruckt von meinem Ausbruch. >Ach, der Kuss?< Er hob die Hände, als wolle er unschuldig wirken, doch seine Augen funkelten vor Schadenfreude. >Wer sagt denn, dass ICH das wollte? Vielleicht warst du es, der wollte, dass es so passiert. Du weißt doch, wie wir funktionieren.<

Ich biss die Zähne zusammen. >Du bist genauso verdorben wie Ruhn< knurrte ich, und die Wut überschwemmte mich endgültig. Ohne weiter zu zögern, schleuderte ich eine Handvoll Sand in Darks Richtung, ließ den feinen, schimmernden Staub mit der Kraft meiner Gedanken zu einer Wand heranwachsen, die auf Dark einstürzen sollte.

Doch Dark stand einfach da, das Grinsen immer noch auf seinem Gesicht. Mit einer lässigen Bewegung hob er die Hand, und der Sand stob auseinander, als wäre es nichts weiter als Staub im Wind. >Ernsthaft, Zeke?< fragte er lachend. >Das ist alles, was du hast?<

Ich fühlte, wie meine Wut sich in Verzweiflung verwandelte, doch ich war bereit, es erneut zu versuchen. Bevor ich jedoch reagieren konnte, trat Santa plötzlich zwischen uns. >SCHLUSS JETZT!< brüllte er, seine Stimme tief und durchdringend. Er hob die Arme, als wolle er die beiden physisch voneinander trennen. >Wir haben keine Zeit für so einen Unsinn!<

Ich blieb schwer atmend stehen, die Hände noch immer leicht erhoben, während Dark nur spöttisch lachte und sich entspannt gegen die Wand lehnte. >Ja, klar, Santa. Brems den Helden hier. Er scheint ein bisschen die Nerven zu verlieren.<

>Ich sagte: SCHLUSS damit< wiederholte Santa und warf uns beiden einen strengen Blick zu. >Ihr vergeudet unsere Zeit.<

Secret desire | Eine Julien Bam FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt