Nicht mehr so einsames Hotel

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Als ich mich aufrichtete, war Ruhn verschwunden. Der kühle Wind des Abends fühlte sich plötzlich schneidend an, als hätte er ihn mit sich genommen. Ich war endgültig durcheinander. Was war da gerade passiert? Dieser kurze Moment… Julien? Nein, ich schüttelte den Kopf, versuchte die Verwirrung abzuschütteln, aber die Unruhe blieb tief in mir sitzen. Und vor allem blieb das Gefühl von seinen Lippen an meinen hängen.

Eine Weile blieb ich noch sitzen, die Kälte begann an meiner Haut zu nagen, doch die Gedanken in meinem Kopf waren lauter als das Frösteln in meinem Körper. Schließlich kletterte ich durch das Fenster wieder zurück ins Haus.

Der vertraute, leicht modrige Geruch des Dachbodens begrüßte mich, und ich folgte dem vertrauten Weg nach unten. Meine Schritte führten mich wie automatisch in die Küche. Allmählich meldete sich auch mein Magen – ich hatte Hunger.

Als ich die Küche betrat, erwartete mich Lumi mit einem breiten Grinsen. >Lumi hat sich schon gedacht, dass du kommst!< sagte er mit seiner typischen fröhlichen Art und hielt mir einen Teller hin. Darauf lag ein dampfender Pfannkuchen, perfekt golden und duftend.

>Danke< sagte ich und setzte mich wie so oft auf die Arbeitsplatte, den Teller auf dem Schoß. Ich nahm den ersten Bissen, und die Süße des Teigs und der warmen Butter beruhigte meine Nerven ein wenig. >Es schmeckt himmlisch< lobte ich Lumi, der bei meinem Kompliment strahlte wie ein kleiner Stern.

>Lumi ist froh, dass es dir gefällt!< Der kleine Geist wirbelte durch die Luft, sein Grinsen so unschuldig und unbeschwert. Für einen Moment vergaß ich den Tumult in meinem Kopf und ließ mich von seiner Freude anstecken.

>Spielen wir nachher noch auf dem Klavier?< fragte er hoffnungsvoll, seine Augen funkelten vor Begeisterung.

Ich legte die Stirn in Falten und überlegte kurz. >Oh je, ich weiß gar nicht, ob ich noch weiß, wie das geht< sagte ich und erinnerte mich an die langen Stunden, die Lumi und ich hier verbracht hatten. Während meiner Zeit im Hotel hatte er mir das Klavierspielen beigebracht, um die endlosen Tage der Einsamkeit zu überbrücken. Seine Begeisterung damals war ansteckend gewesen, und ich hatte mich immer wieder aufs Neue darauf eingelassen.

>Lumi glaubt an dich!< sagte er voller Überzeugung, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Er flatterte um mich herum, bevor er sich neben mich setzte, seine kleinen Hände auf meine Schulter gelegt.

Ich lachte leise und schüttelte den Kopf. >Du gibst nicht auf, was?<

>Nein, Lumi gibt nie auf!< erwiderte er, sein kleines Gesicht so ernst, dass ich erneut lächeln musste.

Für einen Moment schien die seltsame Begegnung mit Ruhn und das Chaos in meinem Kopf weit weg. Es war so einfach, mit Lumi zu lachen und die Zeit für einen Moment stillstehen zu lassen. Aber ich wusste, dass die Realität uns beide bald wieder einholen würde – ob ich bereit war oder nicht.

>Im Schach muss ich dich auch noch schlagen< grinste ich Lumi an, während ich den letzten Bissen des Pfannkuchens in den Mund steckte. Auch das Schachspielen hatte er mir beigebracht, und obwohl er ein harter Gegner war, liebte ich es, gegen ihn anzutreten.

>Sehr gerne!< freute er sich sofort, nahm mir den leeren Teller ab und wirbelte durch die Luft. >Noch ein Eis zum Nachtisch?< fragte er mit einem schelmischen Funkeln in den Augen.

>Lumi, nicht schon wieder so viel Süßes< lachte ich, den Kopf schüttelnd.

>Dann iss eine Gurke!< neckte er mich und wedelte seiner Hand in Richtung Tür. >Und jetzt raus aus meiner Küche!<

Lachend ließ ich mich aus der Küche vertreiben und ging den vertrauten Gang entlang in das Kaminzimmer. Es war einer meiner Lieblingsräume im Hotel – ruhig, warm, und immer erfüllt von diesem leisen Knistern des Feuers, das eine beruhigende Atmosphäre schuf.

Secret desire | Eine Julien Bam FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt