Halbe Antworten und neue Fragen

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Ich hatte mit Zeke das Kaminzimmer betreten. Fips lag auf der Couch, völlig erledigt, alle viere von sich gestreckt. >Was hat er?< fragte ich Zeke verwundert. 
>Nebenwirkungen< sagte dieser knapp. Ich sah ihn fragend an. Er zog eine kleine Flasche unter seinem Umhang hervor und hielt sie mir hin. Die Flüssigkeit leuchtete gefährlich grün.

Ich starrte die Flasche in Zekes Hand an.
>Und das hat er getrunken?< fragte ich skeptisch.

Zeke steckte die Flasche wieder unter seinen Umhang und nickte. >Es ist wie ein Schmerzmittel. Es dämpft die Schmerzen, ja, aber es gibt ihm auch einen Energieschub. Eine Weile lang ist er aufgedreht, bis es nachlässt. Dann ist er komplett erledigt.<

Ich warf einen Blick auf Fips, der völlig erschöpft auf der Couch lag. Er sah fast friedlich aus, seine Arme und Beine ausgestreckt, während er gleichmäßig atmete. Es war ein ungewohnter Anblick, diesen Energiebündel so ruhig zu sehen.

>Warum hast du es ihm überhaupt gegeben? Ist das nicht gefährlich?< Ich hatte keine Ahnung, was Zeke in der Flasche bei sich trug, aber es schien nicht gerade nach etwas aus, das man unbedacht jemandem verabreichen sollte.

>Gefährlich? Vielleicht. Aber besser, als dass er mit seinem kaputten Bein herumhumpelt und sich noch schlimmer verletzt.< sagte Zeke ernst. >Er hat’s freiwillig genommen, keine Sorge.<

Ich seufzte. Wollte ihm das jetzt einfach mal so glauben.

In diesem Moment hörte ich das leise Klavier im Hintergrund. Eine sanfte Melodie, die mich innehalten ließ. Die Töne drangen aus dem Eingangsbereich zu uns herüber, ein Stück, das ich nicht sofort erkannte, aber es war... wunderschön. Zart, fast melancholisch.

Zeke folgte meinem Blick und sah in Richtung des Eingangs. >Ruhn< sagte er knapp. >Er spielt manchmal, wenn ihm danach ist. Selten, aber es kommt vor.<

>Ich dachte, er hätte nie gute Laune< murmelte ich leise.

Zeke lachte kurz. >Das sagt Lumi, oder? Naja, er hat vielleicht nicht oft gute Laune, aber das bedeutet nicht, dass er keine hat. Und vielleicht ist heute eben so ein Tag.<

Ich wusste nicht, ob ich das glauben konnte. Ruhn hatte mir immer Angst gemacht. Seine dunkle, undurchdringliche Art, seine Art, mich in jeder Situation in die Enge zu treiben, als wollte er mich ständig an meine Schwächen erinnern. Und jetzt spielte er Klavier, weil er gute Laune hatte? Und das nachdem er mich auf dem Dach geküsst hatte?

Neugierig ging ich in Richtung des Eingangs, Zeke folgte mir dicht. Als wir den Flügel erreichten, sah ich Ruhn dort sitzen. Seine Finger glitten mühelos über die Tasten, sein Gesicht war ruhig, konzentriert. Es war, als würde er sich vollständig in der Musik verlieren, und für einen Moment sah er so... menschlich aus.

Ich hielt den Atem an. Die harten Kanten, die normalerweise seine Persönlichkeit ausmachten, schienen für diesen Moment geglättet. Die Musik erzählte von einer Traurigkeit, die tief in ihm lag, von einer Seite, die er niemandem zeigte.

Zeke stellte sich neben mich, verschränkte die Arme und summte leise die Melodie mit. Ich sah ihn an, überrascht über seine entspannte Haltung. >Du kennst das Stück?< fragte ich leise.

>Natürlich< antwortete er, ohne den Blick von Ruhn abzuwenden. >Er spielt es seit Jahren. Immer, wenn er... nun, wenn er nachdenken muss.<

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Ruhn nachdenklich war, aber offenbar hatte ich ihn komplett falsch eingeschätzt. Oder zumindest einen Teil von ihm.

Joon winkte uns zu sich, während Ruhn weiter Klavier spielte. Die sanften Töne hallten noch immer durch den Raum, aber ich konnte meine Aufmerksamkeit kaum darauf richten. Joon hatte das Buch auf dem Tisch aufgeschlagen, die Seiten wirkten alt und zerbrechlich, als könnte jede falsche Bewegung sie in Staub zerfallen lassen. Doch er blätterte vorsichtig weiter, noch immer auf der Suche nach der richtigen Passage.

Secret desire | Eine Julien Bam FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt