Doppelte Macht

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>Ruhn, bitte. Das hilft doch nichts. Du brauchst deine Kräfte für was anderes.< Meine Stimme klang ruhig, obwohl in mir eine Flut von Gedanken tobte. Ich legte meine Hand auf Ruhns Arm und drückte ihn leicht zurück. Zu meiner Überraschung ließ er sich tatsächlich gegen die kalte Steinwand sinken. Der Zorn, der so oft in seinen Augen flackerte, war für den Moment erloschen.

Betretenes Schweigen breitete sich im Raum aus. Es war, als ob alle auf etwas warteten – auf eine Antwort, auf ein Geständnis, auf ein Zeichen, dass es doch noch einen Ausweg gab. Doch es kam nichts. Stattdessen lastete die drückende Stille wie eine zusätzliche Kette auf uns allen.

Fips und Santa tuschelten leise miteinander. Ihre Stimmen waren kaum mehr als ein Flüstern, doch ihre Blicke verrieten, dass sie etwas berieten, das ihnen selbst unangenehm war. Immer wieder wanderte Fips' Blick zu Zeke, und ich konnte förmlich spüren, wie die Spannung im Raum weiter anstieg.

Joon, der direkt gegenüber von mir saß, hatte Lumi in sein offenes Hemd gewickelt, um den kleinen Geist zu wärmen. Sein Gesicht war angespannt, doch er sagte nichts. Er konzentrierte sich darauf, Lumi zu schützen.

Ich schloss kurz die Augen, ließ die Worte und das Tuscheln um mich herum verschwimmen. Alles fühlte sich so surreal an, als ob wir nur Zuschauer in einem Drama wären, dessen Ausgang längst beschlossen war. Doch das stimmte nicht. Es musste einen Weg geben, und dieser Weg begann mit der Wahrheit.

Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich zu Zeke hinüber. Sein Blick war starr auf den Boden gerichtet, als wäre er in Gedanken gefangen, unerreichbar für uns alle. Die Anspannung in seiner Haltung, das Verharren in seiner eigenen Welt – es erinnerte mich an einen geschlagenen Welpen, der zu viel durchgemacht hatte und sich nicht mehr traute, den Kopf zu heben.

Aber wir brauchten ihn. Er wusste mehr, als er zugab.

Auch wenn ich all die Wut auf Zeke verstand, brachte es uns jetzt nicht weiter. Es war offensichtlich, dass sein Plan – welchen auch immer er gehabt hatte – nicht so aufgegangen war, wie er es sich ausgemalt hatte. Sein Blick war starr, in sich gekehrt, und die Stille, die von ihm ausging, ließ den Raum nur noch kälter wirken. Wir hatten schon genug Kälte hier, dachte ich.

Langsam rutschte ich näher an Zeke heran und legte meine Hand vorsichtig auf seinen Rücken. Er zuckte zusammen, als hätte ihn ein elektrischer Schlag getroffen, und sah mich verwirrt an. Seine Augen verrieten den Sturm, der in ihm tobte – so viel Schuld, so viel Schmerz.

>Na los, Liv< murmelte er heiser. >Schrei mich an, schlag auf mich ein. Ich habe es nicht anders verdient.<

Ich schüttelte den Kopf. >Nein< antwortete ich ruhig, ignorierte das ungeduldige Schnauben von Ruhn, das wie eine Warnung hinter mir klang.

Zeke starrte mich an, als ob er nicht glauben konnte, was er da hörte. Seine Unsicherheit, seine Verwundbarkeit, all das lag offen vor mir. Ich zögerte nur kurz, bevor ich mir mit der Zunge über die trockenen Lippen fuhr und ihm direkt in die Augen sah.

>Kannst du, so wie Ruhn , meine Energie in Macht umwandeln?< fragte ich.

Sofort kam eine heftige Reaktion hinter mir. Ruhn, der bis eben noch still gewesen war, rief laut >Nein! Das steht nicht zur Debatte!< Auch Fips und Santa ruckten wie auf ein unsichtbares Kommando hoch und starrten mich ungläubig an.

Zeke öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, doch Ruhn war schneller. Er zischte zu seinem Bruder >Untersteh dich, Zeke. Sag ja und...<

Ich drehte mich abrupt zu Ruhn um. >Niemand hat dich gerade gefragt, Ruhn!< fauchte ich, und das brachte ihn tatsächlich zum Schweigen. Er sah mich an, als hätte ich ihn geschlagen. Seine Überraschung war fast greifbar.

Secret desire | Eine Julien Bam FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt