Fips Garten

106 12 10
                                    

Pov Liv

Als ich am nächsten Morgen langsam die Augen öffnete, umfing mich eine ungewohnte Stille. Das Haus war still. Keine Stimmen, kein Flüstern, nur das leise Rauschen des Windes draußen. Ich rieb mir verschlafen die Augen und richtete mich auf. Das Sofa war überraschend bequem gewesen, obwohl ich mich nur an die letzte Unterhaltung mit Fips erinnerte, bevor ich einfach eingeschlafen war.

Mein Blick fiel auf den Wohnzimmertisch. Dort lag eine frische Jeans, eine weiche Bluse und eine lange Strickjacke, ordentlich gefaltet, daneben ein Zettel in Fips' krakeliger Handschrift. Ich nahm ihn in die Hand und las

Dachte, du könntest was Frisches brauchen. Mach dir 'nen Tee und genieß die Ruhe, ich versuche sie dir vom Hals zu halten – Fips

Ein kleines Lächeln huschte über meine Lippen. Ich legte den Zettel zurück, zog mir die frischen Sachen an und machte mich dann auf den Weg in die Küche. Der Wasserkocher summte leise, während ich einen Beutel Tee hineinhängte und gedankenverloren auf das sprudelnde Wasser starrte. Es war fast surreal, wie ruhig es war. Kein Fips, kein Zeke, kein Ruhn – einfach nur Stille. Ein Moment, den ich so lange nicht gehabt hatte.

Mit dem dampfenden Tee in der Hand zog ich durch das Haus, das in der Morgensonne viel freundlicher wirkte. Gestern Nacht hatte alles in Schatten und Geheimnissen gelegen, doch jetzt wirkte es fast... normal. Ich öffnete die Tür zum Garten und trat hinaus in die frische Morgenluft.

Der Garten war kleiner, als ich erwartet hatte, aber er war liebevoll gestaltet. Zwischen den Beeten und Bäumen stand eine große Statue. Ich stockte und musste zweimal hinsehen, bevor ich erkannte, dass es eine Statue von Fips war. In einer typischen Pose. Die Hände lässig in den Hosentaschen, ein schelmisches Grinsen im Gesicht aus Stein gemeißelt. Ich schnaubte leise. Natürlich hatte Fips eine Statue von sich selbst im Garten.

Ich setzte mich auf eine Bank nahe der Statue und nippte an meinem Tee. Der kühle Wind wehte leicht durch die Bäume, die Blätter raschelten sanft. Für einen Moment konnte ich einfach abschalten, die frische Luft einatmen und meine Gedanken ordnen. So viel war passiert in so kurzer Zeit. Das Chaos mit den Maskenmännern, die Flucht, Zeke, Ruhn, Joon...

Mein Blick wanderte zurück zu der Statue. Trotz allem, was ich über Fips wusste. Seine lockere, spaßige Art, die unvorhersehbaren Sprüche und dann hatte er mich mit einer überraschenden Fürsorge behandelt. Hier saß ich, mit frischen Klamotten, einem warmen Tee und einem Hauch von Frieden.

Ich betrachtete den Garten um mich herum und ließ meine Gedanken schweifen. Irgendetwas an diesem Ort erinnerte mich an einen anderen Garten, viele Jahre zuvor. Damals war ich noch ein Kind gewesen, und ich hatte meine Mutter zu einem Yoga-Wochenende begleitet. Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie überall im Garten bunte Matten verteilt gewesen waren, Menschen, die in seltsamen Positionen verharrten und dabei konzentriert atmeten. Ich hatte es schrecklich langweilig gefunden.

Doch es war nicht alles so öde gewesen. Ich erinnerte mich an den kleinen Jungen, den ich dort kennengelernt hatte. Während die Erwachsenen sich dehnten und entspannten, hatten wir beide das Wochenende damit verbracht, durch den Garten zu toben. Sein Lachen hallte plötzlich in meinen Gedanken wider, klar und ansteckend. Er hatte eine seltsam geschnittene Frisur gehabt, als hätte jemand ihm einen Topf auf den Kopf gesetzt und einmal drumherum die Haare gekürzt. Damals hatte ich es urkomisch gefunden.

Ich lächelte bei der Erinnerung, doch das Lächeln verblasste schnell. Etwas stimmte nicht. Ich versuchte mich daran zu erinnern, wie das Wochenende geendet hatte. Hatten wir uns überhaupt richtig verabschiedet? Warum hatten wir keine Adressen oder Telefonnummern ausgetauscht? Ich war sonst immer diejenige gewesen, die darauf bestand, in Kontakt zu bleiben. Und doch schien dieser Junge einfach aus meinem Leben verschwunden zu sein, ohne dass ich es wirklich bemerkt hatte.

Secret desire | Eine Julien Bam FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt