Wer denkt schon an den Tod, wenn er lebt?
Neunzehn beschissene Jahre war ich in diesem kleinen Kuhkaff gefangen; wohnte dort. Ein Dorf was wahrscheinlich niemand wirklich kennt: Acme Township. Ein winziger Ort in Michigan. Die Zahl der Menschen ist ungefähr auf viertausend Einwohner begrenzt. Also sozusagen kennt jeder jeden. Für andere mag das möglicherweise am Anfang gar nicht so wenig klingen, aber für mein Befinden viel zu winzig und somit fanden die Partys eher zu Hause im Vorgarten statt. Meist mit mir allein oder meiner damaligen besten Freundin, die sich schon seit einer halben Ewigkeit aus dem Staub machte. Nun war ich an der Reihe.
Ich musste eh aus dem Haus, in dem ich meine komplette Kindheit verbrachte; ausziehen. Also warum nicht gleich weiter weg? Hinaus in die große Welt. Etwas Neues sehen. Eine Großstadt. Chicago zum Beispiel. Dort wollte ich schon immer mal hin. Da ich niemals wirklich aus dieser Kleinstadt wegfuhr, war die Freude so groß, dass ich den Tod meiner Eltern sogar ein wenig verdrängte. Außerdem lebte in Chicago jemand der Mom und Dad kannte. Verwandtschaft sozusagen. Eine entfernte Cousine, oder so etwas in der Art. Zumindest sagte sie mir das vor einigen Tagen am Telefon. Und auch, wenn ich kaum etwas von dieser Frau zuvor hörte, bloß in ein paar wenigen Gesprächen meiner Eltern, war es perfekt für einen neuen Lebensabschnitt. Egal wo. Außerdem war es die letzte Person aus meiner Familie.
Noch einmal lief ich gemächlich durch jeden Raum. Schaute mich um. Saugte alles auf. Ich hatte das Haus nach einem Jahr Trauer nun verkaufen müssen. Erstens konnte ich es mir in meinem Alter und einen Job im Dinner nicht leisten und zweitens, was sollte ich dort allein wohnen? Gerade, da das Schicksal mir so übel mitspielte. Außerdem konnte nicht ewig an diesem Ort versauern. Mit schwerem Herzen schnappte ich mir trotz dessen kurz darauf den letzten Koffer meiner wichtigsten persönlichen Dinge. Es war nicht viel, aber alles konnte ich nicht mitnehmen. Der Rest meiner Klamotten war schon in meinem Schrotthaufen von Auto, doch besser dieses alte Ding, wie überhaupt nicht aus diesem Kaff herauszukommen.
Meine Schritte wurden schwerer, als ich die Stufen hinunterschritt, die Tür öffnete und mich noch einmal auf der Schwelle herumdrehte. Ich hatte es mir eindeutig leichter vorgestellt, doch ich konnte nichts mehr daran ändern. Ich musste damit klarkommen. Nicht nur mit dem Tod von Mom und Dad, sondern auch, dass mir sonst keiner blieb. So war es nun mal mit dieser ganzen Scheiße, mit dem was ich erlebte. Man bekam im Leben nichts geschenkt. Aber wenn ich darüber nachdachte; ging es immer schlimmer. Natürlich brauchte ich auch das nicht und bevor das es doch noch anders kam, verschwand ich lieber.
Als ich kurz darauf in meinem Wagen saß, startete der Motor erst beim zweiten Versuch; wie so oft. Ich konnte nur hoffen, dass er mich wenigstens die dreihundert Meilen heile nach Chicago brachte, aber auch wenn das Auto eine richtige Zicke war, konnte ich mich im Endeffekt immer darauf verlassen. Hoffentlich auch dieses Mal. Zugleich fiel mein Blick nach rechts. Auf meinem Beifahrersitz lag ein Blumenstrauß mit weißen Lilien. Für sie. Ich würde noch einen kurzen Abstecher zum Friedhof machen und mich von meinen Eltern verabschieden. Das war ich ihnen schuldig, denn ich fühlte mich, als würde ich sie auf einer Art im Stich lassen, wenn ich verschwand.
Nicht weit von unserem Haus entfernt kam ich auch schon wieder zum Stehen und ließ den Motor verstummen. Selbstverständlich konnte ich den Schlüssel stecken lassen. Meine Rostlaube würde mir niemand klauen. Nicht einmal in New York. Ganz selbstverständlich lief ich im Anschluss durch das quietschende Tor, wobei meine Converse im staubigen Sand knarrten. Hier war niemand. Alles schien verlassen zu sein. Wie sonst auch. Nur der laue warme Wind war mein stiller Begleiter. Unverzüglich schloss ich die Lider und genoss es, wie dieser mich streichelte. So wunderbar. Ich konnte die Umgebung um mich herum regelrecht schmecken. Diese kleine Stadt war mein Zuhause und auch, wenn ich an diesem Ort nicht viel erlebte, würde ich sie trotz dessen doch irgendwo vermissen. Egal wo ich war.
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White Moon - Kiss of the Wolf
WerewolfSpringlight Award 2020: Platz 2 in "Vampire / Werwölfe" Passion Award 2019: Platz 1 in "Zauberhafte Welten" Goddess Award 2018: Platz 3 in "Vampire und Wölfe" Desire & Lust Award 2017: Platz 1 in "Werwolf" Was würdest du tun, wenn alle um dich herum...