Kapitel 16

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  Dein Vergangenes ist ein Traum und dein Künftiges ist ein Wind. Hasche den Augenblick, der ist zwischen den beiden, die nicht sind.  


Diese Augen. Genau vor mir. Ich konnte nichts aus ihnen herauslesen. War es die Fassungslosigkeit oder doch eher eine tiefe Bestürzung seinerseits mich zu sehen. Lag es an meiner Optik? Nur einen kurzen Augenblick schien er regelrecht geschockt zu wirken. Fast konnte man es gar nicht aus seinem Gesicht erahnen, doch ich sah es auf Anhieb. Und dann war diese Mimik wieder verschwunden, wurde schlagartig kalt wie Eis. Völlig ausdruckslos. Ich hingegen konnte nicht mehr klar denken. Alles um mich herum nahm ich nur noch verschwommen wahr. Da war nichts mehr. Außer dieses Grün und Blau, was sich ineinander verschlang. Mit einem Stich Grau. 

So scharf, dass ich in einen unendlichen Strudel dieser fantastischen leuchtenden Farben gezogen wurde. Sie schimmerten regelrecht. Anders wie bei einem normalen Menschen. Diese Farben verliefen außergewöhnlich und intensiv ineinander. Jedes normale Mädchen hätte bei so einem Anblick den Atem angehalten. Genau das tat ich. Jedoch kam ich mir jeden Moment vor, als würde ich in Ohnmacht fallen, weil es mir die Luft abschnürte. Nichtsdestotrotz hätte ich das geflissentlich in Kauf genommen. 

Kurz darauf schüttelte ich mich innerlich, probierte mich von diesen Augen zu lösen. Zum Glück befreite mich Gary aus meiner Verblendung. Wer weiß, wie lange ich sonst so bescheuert dagestanden hätte. Seine Blicke waren bohrend auf mein Gesicht geheftet, als wüsste er genau, was da gerade vor sich ging. Ich hingegen war völlig ahnungslos; konnte es nicht fassen, dass mich jemand fremdes so extrem aus dem Konzept brachte und das lag nicht an seinem guten Aussehen, sondern an dieser Präsenz. Auch wenn da mein Chef war und auch wenn er kurz meine Schulter ergriff und leicht daran rüttelte, konnte ich mich kaum rühren. Ich war regelrecht versteinert.

Ich fokussierte infolgedessen große Hände die auf den Tresen lagen und somit kamen die breiten Arme unter seinem Shirt noch mehr zum Vorschein. Kräftige Muskeln waren enorm angespannt. Nach meinem Auftritt sagte er kein einziges Wort mehr. Ihm schien jedoch irgendetwas im Kopf herumzugeistern. Dabei konnte ich ihn nicht einschätzen und hätte ich die Aktion zuvor mit Stella nicht mitbekommen, wäre ich davon ausgegangen, dass er einfach nur ein Zeitschriftenmodel für Motorräder, oder so etwas in der Art, war.

»Verschwinde, River«, hörte man eine dunkle Stimme; was natürlich kein anderer als Gary war und ich wurde hellhörig. Das war also sein Name... Skeptisch hob ich die rechte Braue in die Höhe und sah fragend in die Runde. »River?«, feixte ich nun und versuchte mir somit nicht anmerken zu lassen, wie nervös ich tatsächlich war. Der Namen war mir nicht unbekannt. Ich hatte ihn schon einmal von Josh gehört, aber kaum darauf geachtet. Im Grunde genommen ging mir das auch normalerweise am Arsch vorbei. Es interessierte mich nicht. Zumindest klang es schon da total bescheuert. Ich war mir sicher, dass es auf jeden Fall nicht sein Vorname sein konnte. »Ja, Honey«, lächelte er schräg, doch es erreichte seine Augen nicht.

Nun mischte sich auch mein Chef wieder mit ein. Womöglich, weil ihm das alles nicht passte und das zeigte er auch klar und deutlich. »Duncan River, um genau zu sein und du wirst dich von ihm fernhalten«, drohte er mir regelrecht. Ich wusste, er meinte es nicht böse und wollte mich somit bloß schützen, was ich auch verstand, nachdem ich bemerkte, wie er mit Stella umging. Trotzdem war ich alt genug. Ich schluckte schwer. In diesem Augenblick fand ich es aber nicht schlimm, dass er mir damit über den Mund fuhr, denn es gab sicher einen Grund, auch wenn ich mich noch immer selbst wehren konnte. Allerdings schien das diesen breiten Kerl zu stören. Ich konnte regelrecht das Pulsieren der Halsschlagadern unter seiner Haut erkennen. Es sah aus, als würde er jeden Moment platzen.

Zugleich knurrte Duncan: »Du wirst mich nicht von ihr fernhalten« und er beugte sich soweit nach unten, dass er Gary auf gleicher Augenhöhe begegnete. Rivers Iris schienen regelrecht zu glühen. Nur dieses kurze Aufflackern reichte schon, um irritiert den Kopf zu schütteln und einen Schritt nach hinten zu gehen. Bekam ich jetzt schon Halluzinationen? Ich sollte wirklich aufhören irgendwelche komischen Filme zu sehen oder Bücher zu lesen, denn das glich eher einer Wahnvorstellung, als der Tatsache, dass das tatsächlich passierte. Kurz dachte ich an die Situation im Badezimmer und dem Spiegel. Da war es auch. Diese Augen. Rot. Leuchtend. Wie Blut.

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt