Kapitel 36

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Noch ahn' ich, ohne zu finden. Ich frage die Sterne und sie verstummen. Ich frage den Tag und die Nacht, aber sie antworten nicht. Aus mir selbst, wenn ich mich frage, tönen mystische Sprüche; Träume ohne Deutung.


Als ich die Augen aufschlug war es noch nicht einmal richtig hell draußen. Ich gähnte, seufzte leise auf und war sofort wach, obwohl ich gern noch ein wenig dagelegen hätte. Wie sollte es auch anders sein? Konnte ich mir das nicht von vorn herein denken? Sofort spürte ich nämlich, dass etwas fehlte und prompt bemerkte ich: Die andere Bettseite neben mir war eindeutig leer. Wo ist Duncan, verdammte Scheiße? Er hat mir doch versprochen, zu bleiben oder sagte er mir das bloß, damit ich einfach nur Ruhe gebe? Um seine somit vor mir zu haben? Einen Moment hüllte mich die Traurigkeit ein, aber zugleich strampelte ich sauer die Decke von meinen Beinen und setzte mich auf. »Wie kannst du nur? Wie kannst du mir das nur antun? Womit habe ich das denn verdient?«

Augenblicklich sprang ich auf meine Füße, schnauzte: »So ein beschissenes Arschloch!« und ballte meine Hände zu Fäusten. Weiter kroch dieser elende Zorn unter meine Haut und in meinen Fingern begann es extrem zu kribbeln. Kurz erinnerte ich mich an meine Ohnmacht im Café und die Wut, die ich davor verspürte. Nun war ich sogar darüber hinaus. Es war schlimmer. Viel schlimmer. Hass brodelte in mir. So sehr, dass ich glaubte zu platzen. Er konnte mich nicht wie der letzte Dreck behandeln. Das war falsch und dafür verdiente er eindeutig ein paar in die Fresse. Vollkommen angepisst schmiss ich mein Kopfkissen quer durch den Raum. War ich eine Nutte, oder wie? So kam ich mir nämlich vor.

Aus purem Reflex und total neben der Spur, ergriff ich die Tischlampe in meiner Nähe, holte aus, knallte sie mit voller Wucht gegen die Wand und auf der Stelle zersprang sie in tausend Einzelteile. Keine Ahnung, was auf einmal mit mir los war, doch das interessierte mich auch nicht mehr die Bohne, denn ich war extrem rasend vor Wut. »Du verdammtes Stück Scheiße!«, brüllte ich und erneut flog etwas durch den Raum. Dieses Mal war es eine Vase. Auf einen Schlag setzte mein Hirn komplett aus und alles rauschte nur so an mir vorbei. Ich realisierte fast gar nichts mehr. Als würde mich eine unsichtbare Macht steuern. 

Binnen weniger Sekunden flog ein Stuhl, den ich aus einer Ecke schnappte, durch das Zimmer und zerschellte in Splitter. Der schwerfällige Schreibtisch aus purer Eiche, war ebenso kein Problem. Ihn kippte ich schreiend um. Und das passierte alles aus meiner eigenen Kraft? Wo kommt sie nur auf einmal her? Ich wusste nicht, wie lange mein Ausraster andauerte, denn ich konnte nicht mehr in die Realität zurück. Ich war schlagartig ein komplett anderer Mensch und es dauerte auch bloß einen Moment bis der rot verschleierte Blick vor meinen Augen, sich wenigstens etwas auflöste. 

Einen Augenblick später war ich fassungslos. Das war alles so unwirklich, so falsch, doch ich konnte nicht anders. So sehr ich auch wollte, zog mich diese enorme Kraft immer wieder in ihren Bann, ließ mich sauer werden und die Macht die ich dabei fühlte, lullte mich in eine Art Trance ein. Urplötzlich wurde jedoch die Tür aufgerissen und fiel krachend gegen die Wand dahinter. Blitzartig fuhr ich mit einem lauten Knurren so schnell herum, dass ich fast selbst einen Schock bekam. Geschieht das wirklich?, dachte ich kurz und sah wie Duncan und Josh vor meinem Gesicht auftauchten. »Du...«, schrie ich Dan an. »Du hast versprochen nicht wieder zu gehen« und er formte seine wunderschönen hellen Augen zu Schlitzen.

»Ich war nur kurz unten, um Kaffee zu machen. Josh lief mir über den Weg... und nun dieser ganze Krach. Was hast du getan?«, hauchte er und blickte sich kurz um. Ich tat es ihm gleich. Oh, Gott. Hier sah es furchtbar aus. War ich das gewesen? Ich konnte es kaum fassen und meine Atmung beschleunigte sich hörbar. »Beruhige dich«, sprach Joshua hingegen hart und Stella kam soeben angerannt. »Scheiße«, rief sie. »Was ist denn mit dir nicht in Ordnung?«, aber als sie mein Gesicht sah, raunte sie nur: »Fuck! Was hat das zu bedeuten?« und unvermittelt näherten sich alle drei mit gebückter Haltung. Ganz langsam. Wie bei irgendeinem scheuen Tier. Und so, dass ich nicht wusste, wie ich an ihnen vorbeikommen sollte. Sie engten mich ein, bedrängten mich. Wie komme ich da bloß wieder raus?  

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt