Kapitel 11

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Lebe dein Leben auf alle möglichen Arten – gut-schlecht, bitter-süß, dunkel-hell, Sommer-Winter. Lebe alle Dualitäten. Habe keine Angst Erfahrungen zu machen, denn umso mehr Erfahrung du hast, umso reifer wirst du werden.  


»Ich weiß nicht ob das so gut ist, wenn du mit hereinkommst!«, nuschelte ich, als mich Josh wieder auf die Beine stellte, weil ich prompt an die Meinungsverschiedenheit mit Stella dachte. Kurz musste er mich an der Schulter stützen, damit ich wieder richtigen Halt fand. In diesem Moment befanden wir uns am hinteren Tor, was zum Garten des riesigen Hauses anschloss. Fast an der gleichen Stelle biss mich auch dieser Köter von Viola und geradewegs erinnerte ich mich an das Geschehene. Unwillkürlich bekam ich eine Gänsehaut. Dort vorn... genau da musste ich durchgelaufen sein, als ich schlafwandelte oder was auch immer ich mitten in der Nacht tat. Alles kam mir so surreal vor und ich fühlte mich noch immer nicht wirklich geistig anwesend. Zumindest war da ein kleines Tor durch das wir nun mussten.

Mein Blick wanderte nach oben, weil Josh mindestens ein Meter neunzig messen musste. Seine Augen starrten eindringlich in meine. Faszinierend. Noch nie hatte ich diese Farbe gesehen. Auf jeden Fall nicht seine so betrachtet. Das Braun verlief nach inne ins Grün, aber so intensiv, dass es schon fast wundersam wirkte. Wie ein reflektierendes Licht, was nicht vorhanden war. Sie zogen mich regelrecht zu ihm hin, als wollten sie mich jeden Moment verschlingen. Eilig schüttelte ich meinen Kopf und blickte erneut in sein Gesicht, wobei ich bemerkte, dass sie sich verändert hatten. Träume ich? Sie waren zwar nun nicht mehr so stechend, doch immer noch interessant und anders, wie bei den Menschen die ich kannte, anzuschauen. Er hingegen tat so, als wenn gar nichts wäre. Mir fehlte eindeutig der Schlaf oder möglicherweise lag es noch immer an meiner Verwirrtheit.

Gerade, als ich mich herumdrehen wollte, um mich zu verabschieden, stand Josh aber schon mit auf dem Grundstück. »Ich werde dich hineinbringen und da kannst du jetzt sagen, was du willst. Du wirst mich nicht daran hindern. Ich habe sowieso noch etwas zu klären«, sprach er hart. »Aber...«, begann ich stotternd, doch er fiel mir auf der Stelle ins Wort. »Kein aber. Ich habe dich gerade mitten im Wald gefunden. Dort ist es gefährlich. Da hätte sonst was passieren können. Nicht nur, dass es dort wilde Tiere gibt, sondern auch Stellen, wo du dir das Genick brechen kannst. Du wohnst bei Stella. Sie hätte auf dich aufpassen müssen und... Viola genauso.« Jedoch war ich kein Baby mehr.

»Viola bestimmt nicht. Sie hasst mich aus irgendeinem erdenklichen Grund den ich dir nicht sagen kann, aber Stella... Was hätte sie denn machen sollen? Sicher hat sie auch geschlafen. Du kannst ihr doch nicht die Schuld dafür geben, dass ich mitten in der Nacht einfach abhaue. Ich weiß auch nicht. Normalerweise passiert mir so was nicht. Das hatte ich zum ersten Mal.« Sein Blick glitt über mein dreckiges verschmiertes Shirt und meine nackten mit Schlamm verkrusteten Beine. Eilig schüttelte er mit dem Kopf und murrte: »So etwas darf nicht passieren und das hätte es auch nicht, wenn die beiden auf dich aufpassen würden.« Innerlich verdrehte ich die Augen.

»Wie sollten sie das denn tun?«, rief ich ihm noch hinterher, als er ohne ein weiteres Wort an mir vorbeihuschte und die Klinke vom Haus nach unten drückte. Zugleich stand Stella auch schon vor ihm. Ihre grünen Augen verdrehten sich genervt und ihre Mundwinkel wanderten nach unten. »Was willst du denn hier?«, fragte sie knurrend, aber als ihr Blick hinter Josh und somit auf mich fiel, sog sie lautstark die Luft ein und hauchte: »Was ist denn mit dir passiert?« Komplett verwirrt riss sie die Lider nach oben und begann mich eindringlich zu betrachten.

Ich hingegen konnte zu der ganzen Situation rein gar nichts sagen, mich nicht einmal rechtfertigen, weil Josh sie an den Oberarmen packte, nach hinten drängte und mich im Anschluss ebenso hineinzog. »Das frage ich mich auch«, brüllte er schlagartig wie ein Irrer los und die Tür fiel krachend ins Schloss. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass er so sein konnte. Das passte nicht zu ihm. Jedoch ließ mich diese autoritäre Art Abstand suchen und ich stolperte sofort drei Schritte von ihm weg. Eilig schlang ich die Arme um meinen ausgekühlten Körper und riss weit die Augen auf. In diesem Moment fühlte ich mich mehr als nur fehl am Platz. »Wie kannst du zulassen, dass sie nachts in den Wald geht? Wie verdammt? Da hätte alles passieren können«, brüllte er los. 

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt