Kapitel 8

4.7K 243 20
                                    

Homo homini lupus - Der Mensch ist dem anderen ein Wolf


Ich war geschockt und vollkommen neben der Spur, als mich Stella eilig auf die Beine zog. Das Zittern ließ gar nicht mehr nach. Meine Glieder bebten unaufhaltsam. Zum Glück war sie da, sonst wäre ich echt aufgeschmissen gewesen. Ich bekam ja nicht einmal hin allein zu stehen. »Dieses Vieh hat mich echt gebissen«, sprach ich atemlos und mein Blick fiel auf meinen Arm, den ich ihr entgegenstreckte. Verbluten würde ich selbstverständlich nicht. Es sah nicht mal so schlimm aus wie erst gedacht. Trotz alledem brannte es und ich wusste nicht, ob dieses Ding möglicherweise irgendwelche Krankheiten besaß.

»Warum hast du mir nicht gesagt, dass ich aufpassen muss?«, schnauzte ich sie binnen weniger Sekunden an. Wenn irgendein bissiges Tier durch die Wälder streifte, musste ich das wissen. Gerade da ich nun hier wohnte. Verdammt noch mal. Zugleich schlug die Panik in Wut um. »Und warum redest du mit dem Tier, als würde es dich verstehen?« Ich ließ Stella keinen Moment aus den Augen. Sie war mir eine Erklärung schuldig. Wenn es hier Wölfe gab oder dergleichen, die gefährlich waren, dann sollte sie mir das auf der Stelle sagen. »Das war kein Wolf!«, erklärte sie trocken. »Das ist... Shila.« Hä?

»Wer bitte schön ist den Shila?«, motzte ich und wedelte mit meinem verletzten Arm herum. »Das ist die Hündin meiner Schwester«, erklärte sie nun streng. »Du willst mir sagen, dass Viola so ein Vieh hat? Warum ist es nicht in einem Zwinger? Es ist gefährlich und hat mich gebissen. Wie kann dieser Köter denn frei herumlaufen?«, knurrte ich aufgebracht. Ich konnte nicht mehr so tun, als wäre nichts gewesen. Immerhin durfte man so etwas nicht unterschätzen. Dieses Biest hätte mir erheblichen Schaden zufügen können. War Stella das überhaupt bewusst?

Sofort sah ich die fletschenden Fänge und die gelben Augen vor mir, als würde ich noch immer in diesem Alptraum stecken. Wäre der Zaun nicht gewesen, dann stünde ich sicherlich nicht hier. Das Ding hätte mich eindeutig zerfleischt. »Es tut mir leid, Heaven. Ich habe ihr gesagt, dass sie den Hund nicht herauslassen soll. Hätte ich gewusst, dass sie dieses Risiko eingeht, hätte ich dich gewarnt, oder wäre mit hier gewesen. Los komm, damit ich mich um deinen Arm kümmern kann« und sie zog mich eilig nach drinnen in die Küche.

»Ich hoffe du bist uns nicht allzu böse. Das war sicher keine Absicht«, aber ich hörte irgendwie den Zweifel in ihrer Stimme. Hasste mich Viola so sehr, dass sie mir so ein Vieh auf den Hals hetzte? Das war doch Irrsinn. Ich hatte ihr nie etwas getan, machte ihr auch nicht den Platz streitig, falls sie das dachte. Ich wollte einfach nur ein neues Zuhause haben, wo man mich mochte und ich vor Einsamkeit nicht zugrunde ging. War das denn zu viel verlangt? Ich brauchte auch definitiv keine Konkurrenzkämpfe. So war ich nicht gestrickt und würde ich auch niemals sein.

Zugleich verfrachtete mich Stella auf einen Stuhl am Tisch. Ich sah ihr zu, wie sie eine Schüssel aus dem Schrank holte und die Folie eines neuen Lappens entfernte.  »Das wird nicht noch einmal passieren. Das verspreche ich dir. Wenn ich mit deinem Arm fertig bin, werde ich mit meiner Schwester ein ernstes Wörtchen reden. Das geht einfach gar nicht, was sie da getan hat«, teilte mir die Rothaarige mit und beugte sich zu mir herunter, um meine Wunde zu säubern.

»Dann fang schon mal damit an. Ich bin ganz Ohr«, erschreckte mich prompt Viola, die unverhofft in der Tür stand. Stella schien es gar nicht zu wundern. Das Mädchen war so verdammt leise, dass ich sie nie und nimmer gehört hätte, auch wenn alles still gewesen wäre. Sie verhielt sich wie ein Geist. Und nun stand sie bloß ein paar Meter von uns entfernt und durchlöchere ihre Schwester mit kalter Miene. Die Hände jedoch locker in die Seiten gestemmt. Ihr Blick fuhr kurz über meinem Arm, als sie murmelte: »Das heilt doch wieder. Stellt euch nicht so an.« Auf einmal bemerkte ich ein Zittern neben mir und Stella schien fast zu explodieren, als sie lautstark brüllte: »Was bildest du dir eigentlich ein? Du bist nichts weiter, als ein kleiner Welpe. Du lebst hier in meinem Haus.« Zugleich verdrehte ich die Augen, da ich keinen Bock auf Diskussionen hatte.

White Moon - Kiss of the WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt